"Das Buch Esther" aus dem Alten Testament, übersetzt von Luther, gedruckt 1908, ist ein Beispiel für die Ernst-Ludwig-Presse. Foto: Friederike Hentschel
Von Marion Gottlob
Welche Themen verbergen sich hinter den Signaturen "KD" und "KDR" in der Universitätsbibliothek Heidelberg? Unter diesen Zeichen findet man Sammlungen von künstlerischen Drucken aus der Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Damals erfuhr die Buchkunst eine Erneuerung. Es entstanden Bücher mit wunderschönem Einband und gekonnter Gestaltung von Schrift und Layout.
Diese Schätze entdeckte der Heidelberger Dr. Jürgen Franssen bei einer Recherche und hatte eine Idee: "Könnte man nicht über die Buchkunst im frühen 20. Jahrhundert eine Ausstellung machen?" Bei der UB erhielt er eine positive Antwort. Mit einer Vorlaufzeit von rund zwei Jahren entstand so in Kooperation mit der Abteilung "Historische Sammlungen der Universitätsbibliothek Heidelberg" die Präsentation "Wie ein fruchtbarer Regen nach langer Dürre …".
Es ist keine Show für Augenblicke, die Ausstellung braucht Muße - am besten eine Führung. Erst dann kann man würdigen, dass Franssen zwischen den Exponaten enge Bezüge deutlich macht. Ja, es ist ein Exkurs, um ein neues Sehen auf Bücher und Schrift zu lernen. Das ist von besonderem Interesse, weil dann die Epoche der Präsentation zum Spiegel unserer Zeit werden kann. Damals wie heute gab es Veränderungen in den Bereichen Druck und Buch - damals kam es zu einer Erneuerung der Buchkunst und des Kunsthandwerks. Heute ist das ungewiss.
Man startet den Rundgang am besten mit den Exponaten der frühen venezianischen und süddeutschen Drucke aus der Zeit von 1450 bis 1500, denn diese Bücher wurden zu Vorbildern für die spätere Erneuerung: Zu sehen ist der Druck der "Historia naturalis" von Plinius (1. Jahrhundert nach Christus) aus dem 15. Jahrhundert. Drucker ist der Franzose Nicolas Jenson, der in Venedig tätig war. Weitere Vorbilder waren die neue Schrift- und Buchgestaltung in England: Dort reagierten Pioniere im 19. Jahrhundert zuerst auf Industrialisierung und Massenfertigung.
Auch eine virtuelle Schau
Denn bis um 1800 entstanden Bücher in Druckereien wie zu Gutenbergs Zeiten: Das Papier wurde von Hand geschöpft, der Text im Handsatz gestaltet und die Bogen auf der Handpresse gedruckt. Erst rund 350 Jahre nach 1450 kam es zur industriellen Buchproduktion. So konnten die Auflagenzahlen gesteigert werden, jedoch verschlechterte sich die typographische Qualität der Bücher. Es gab in der Gestaltung kaum noch neue, kreative Impulse, so Franssen.
So entwickelte sich in England mit den Schriften von John Ruskin und William Morris die "Arts und Crafts Movement" - es wurden Privatpressen gegründet. Morris beschäftigte sich mit spätmittelalterlichen Handschriften und Drucken, sodass er 1889 die Kelmscott-Press gründete. Zu den Nachfolgern zählte die Doves-Press (1900-1916 von Thomas James Cobden-Sanderson und Emery Walker betrieben), die Kunsthandwerker und Künstler in Europa begeisterte. Zu sehen sind etwa "The Works of Geoffrey Chaucer" von Morris von 1898 und einer der fünf Bände von "The English Bible" aus der Doves Press von 1903. Zu den weiteren 50 Drucken der Doves Press gehörte auch eine Ausgabe des "Faust".
Nun kam es auch in Deutschland zu einer Erneuerung: Berühmt wurden die neuen Zeitschriften des Jugendstils mit Titeln wie "Pan" (gegründet 1895), "Jugend" (1896), "Simplicissimus" (1896) oder Insel (1899, die Zeitschrift ist der Ursprung des Insel-Verlags). Diese Zeitschriften wurden zu einem Forum für die neuartigen Ideen der Illustration, aber auch der Schriftgestaltung. Und! Sie gaben zeitgenössischen Künstlern die Chance, ihre Werke, vor allem Illustrationen öffentlich zu machen.
Nun wurden auch in Deutschland Privat-Pressen gegründet: 1907 entstand die Janus-Presse in Leipzig, 1913 folgte in Weimar die Cranach-Pres-se - eine der bekanntesten deutschen Privatpressen. Der Gründer Harry Graf Kessler "ließ in einer eigenen Papiermühle das Büttenpapier schöpfen", so Franssen. Für die Gestaltung der Bücher arbeiteten Spezialisten aus ganz Europa zusammen. So wurde etwa der "Vergil" auf der Leipziger Buchkunst-Ausstellung 1927 ausgezeichnet.
Eine weitere private Presse war die Ernst-Ludwig-Presse in Darmstadt. Es entstand auch die Steglitzer Werkstatt, eine kommerzielle Werbeagentur und Druckerei. "Heute würde man diese Neu-Gründung als Start-up bezeichnen", so Franssen. Veröffentlicht wurden Texte des Klassischen Kanons, zum Beispiel Vergil, Goethe, Schiller oder Hölderlin. Zu sehen sind Ausgaben der "Diotima" von Hölderlin oder der "Römischen Elegien" von Goethe. Franssen: "Texte der abendländischen Kultur sollten eine perfekte Gestaltung erhalten." In seltenen Fällen wurden auch aktuelle Texte veröffentlicht: So gestaltete Melchior Lechter Texte von Stefan George, der Vertrieb erfolgte durch Georges Reihe beziehungsweise seinen Verlag "Blaetter für die Kunst". Der Heidelberger Verlag Richard Weißbach veröffentlichte fünf Drucke des "Argonautenkreises" mit Texten von Jean Paul, Ernst Blass, Christoph Martin Wieland, Nikolai Gogol ("Der Unhold") und Charles Baudelaire.
Die Druckerei "Offizin Haag-Drugulin Graphischer Betrieb GmbH" hieß im 19. und frühen 20. Jahrhundert nur "Offizin W. Drugulin" und ist die einzige Werkstatt, die auch heute Bücher im traditionellen Buchdruck und Bleisatz herstellt. Zu sehen ist unter anderem das Blatt "Vffschneyderey" ("Aufschneiderei") von Christoffel von Grimmelshausen, aber auch der "Tod in Venedig".
Franssen hat Klassische Archäologie, Kunstgeschichte und Christliche Archäo-logie in Bonn sowie Heidelberg studiert und 2003 promoviert. Er ist Inhaber einer Buch- und Offset-Druckerei in Mannheim. Er sagt: "Ich liebe Bücher. Allerdings nutze ich auch digitale Quellen, etwa für die Recherche oder zum schnellen Nachschlagen. Beide Formen schließen sich für mich nicht aus, sondern ergänzen sich. So hat die UB neben der Präsentation der Drucke in ihren Räumen auch eine virtuelle Ausstellung erarbeitet." Der Besuch der realen wie der virtuellen Präsentation lohnt sich.
Info: Bis 10. Februar 2019