Nur wenige Menschen sind derzeit in den Städten unterwegs. Junge noch weniger. Foto: dpa
Von Erich Reimann
Köln. Corona ist nicht an allem schuld. Zwar sorgt der pandemiebedingte Lockdown aktuell in ganz Deutschland für leere Innenstädte. Doch auch ohne die Corona-Krise hätten die Stadtzentren ein Problem: Viele junge Leute finden sie als Einkaufsort nicht mehr sonderlich attraktiv. Der Beziehungsstatus zwischen den unter 25-jährigen Verbrauchern und den Einkaufsmeilen ist kompliziert.
Die treusten Anhänger der Innenstädte würden immer älter, heißt es in der am Donnerstag veröffentlichten Studie "Vitale Innenstädte" des Instituts für Handelsforschung Köln (IFH). Dafür wurden im September und Oktober – also vor dem zweiten Lockdown, als sich das Leben in den Fußgängerzonen gerade ein wenig normalisiert hatte – in 107 Innenstädten 57.863 Passanten befragt. Ein Ergebnis: Das Durchschnittsalter der Innenstadtbesucher stieg seit 2016 von 45,2 auf 47,5 Jahre. Die jüngeren Verbraucher machten sich dagegen rar. Waren 2016 noch 21 Prozent der Besucher und Besucherinnen in den Fußgängerzonen 25 Jahre oder jünger, so waren es 2020 nur noch 16 Prozent. Zwar schätzen auch die Jüngeren die Innenstadt als Ort zum Wohlfühlen oder zum Ausgehen und Leute treffen. Doch die Begeisterung, dort auch einzukaufen, ist merklich geringer. Während zwei Drittel der Befragten über 50-Jährigen zum Einkaufen in die Stadt gekommen waren, wollte von denen im Alter bis 25 Jahre nur jeder zweite shoppen.
Ein Grund dafür: Die Begeisterung der jüngeren Generation für das Warenangebot in den Einkaufsstraßen ist überschaubar. Nur 45 Prozent der bis zu 25-Jährigen bezeichneten das Angebot an Textilien, Schuhen und Lederwaren in den Innenstädten als "gut" oder "sehr gut". Gerade einmal 36 Prozent waren mit dem Angebot an Elektronik oder Sport-, Spiel- und Hobbyartikeln zufrieden. Viele finden offenbar im Internet passendere Angebote. Gut ein Drittel der jüngeren Konsumenten gab an, seit zwei oder drei Jahren seltener in die Stadt zu kommen, weil sie mehr online einkaufen.
Corona hat die Spaltung zwischen den Generationen eher noch verstärkt. Während gut die Hälfte der über 50-Jährigen angab, in der Pandemie bewusst mehr in der Innenstadt einzukaufen, um die lokalen Anbieter zu stärken, tat dies in der Gruppe der unter 25-Jährigen nicht einmal jeder Dritte. Stattdessen kauften die sie verstärkt bei den großen Online-Marktplätzen und -Händlern wie Amazon, Otto oder Zalando.
Nach einer Studie der Unternehmensberatung KPMG und des Handelsforschungsinstituts EHI dürfte schon 2030 die Hälfte der Mode in Deutschland online gekauft werden. Damit würde sich der Marktanteil der Onlinehändler verdoppeln – mit dramatischen Folgen für die Innenstädte. Laut Studie könnten sich die Handelsflächen im Textilbereich halbieren. Der Handelsexperte Thomas Roeb von der Hochschule Bonn Rhein Sieg fürchtet, dass sich etliche Innenstädte einem "Tipping Point" (einem Umschlagpunkt) nähern, an dem sich die Situation drastisch verschlechtert. "In den letzten Jahren hat der Siegeszug des Onlinehandels die Innenstädte bereits massiv unter Druck gesetzt. Doch trotz der Umsatzverluste konnten sich die meisten Händler noch über Wasser halten", erklärt er. Aber jetzt könnte auch durch Corona ein Punkt erreicht sein, an dem schlagartig viele Läden in den Einkaufsstraßen aufgeben müssten. Dann drohe ein Teufelskreis. Denn dadurch sinke die Attraktivität der Stadtzentren noch weiter. "Innerhalb von nur 10 oder 15 Jahren könnte das zu einem Zusammenbruch etlicher kleinerer Innenstädte führen", warnte er.
Dennoch sieht IFH-Geschäftsführer Boris Hedde auch Chancen. "Wir müssen schon jetzt planen, was wir nach dem Ende des Lockdown ändern müssen, um die Stadtzentren wieder attraktiver für alle zu machen", verlangt er. Etwa indem sich die Gestaltung der Innenstädte weniger an den Bedürfnissen des Handels orientiere und mehr an denen der Besucher.