Ein Mitarbeiter überprüft im Bosch-Werk in Immenstadt (Bayern) mit einem Tablet die Betriebsdaten von vernetzten Maschinen für Metallspritzguss. Die Corona-Krise habe gezeigt, dass viele Unternehmen bei der Digitalisierung nicht sehr weit seien, meint die DSAG. Foto: dpa
Von Barbara Klauß
Heidelberg/Walldorf. Die Corona-Krise hat die Defizite vieler Unternehmen bei der Digitalisierung deutlich aufgezeigt. Davon ist die Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) überzeugt. Einem Investitionsreport der DSAG, eines Anwenderverbandes mit mehr als 60.000 Mitgliedern aus über 3500 Unternehmen vom Mittelständler bis zum Dax-Konzern, zufolge bewerteten 63 Prozent ihr Unternehmen als "nicht sehr weit", wenn es um die Digitale Transformation geht – also um die Veränderung der Unternehmen durch digitale Technologien.
"Obwohl die Unternehmen rein technologisch bereits einen hohen Digitalisierungsgrad erreicht haben könnten, zaudern sie, zum Beispiel Zahlungsverfolgung, Lieferströme oder die Anpassung der Produktion an neue Bedingungen und Zusammenarbeitsmodelle ,digital’ zu denken", erklärt Ralf Peters, Fachvorstand für Digitalisierung bei der DSAG.
Ralf Peters. Foto: ZGEs gebe keine Alternative zum digitalen Wandel, erklärt Peters im Gespräch mit der RNZ. "Wirtschaftlich birgt die Digitale Transformation enorme Potenziale und die Unternehmen im deutschsprachigen Raum sind zu Innovationen durchaus fähig." Doch, fügte er hinzu: "Zuvor muss ein Umdenken stattfinden." Bisher begnügen sich seiner Beobachtung nach zu viele Unternehmen damit, bestehende Geschäftsprozesse zu automatisieren – statt einen umfassenden strategischen Blick auf ihre Geschäftsmodelle zu werfen und darüber nachzudenken, wie man Dinge grundsätzlich anders machen könnte.
Als Beispiel erzählt Peters von einer Firma, die unter anderem Seifenspender für Waschräume herstellt. Diese Spender seien mit einer Elektronik ausgestattet, die meldet, wenn der Seifen-Vorrat fast aufgebraucht ist. Doch denke dieses Unternehmen noch einen Schritt weiter, sagt Peters: mit personalisierter Seife. Jeder einzelne, der einen Waschraum betritt, in dem ein Seifenspender der betreffenden Firma hängt, und der über sein Handy identifiziert wird, bekommt die Seife, die er persönlich zuvor definiert hat. Jemand mit Hautproblemen etwa eine besonders schonende. Dazu gibt es ein Abomodell, ähnlich wie bei Netflix, mit dem Seifenhersteller. "Und schon überschreitet die Firma ihre bisherigen Grenzen und integriert die Firma, die die Seifen herstellt", sagt Peters. Firmen wirken zusammen und machen ein gemeinsames Angebot. "So können sie Bedürfnisse decken, von denen vorher vielleicht gar nicht denkbar war, dass man sie überhaupt befriedigen könnte." Und neue Märkte erschließen, von denen man gar nicht wusste, dass sie überhaupt möglich sind.
Peters Erfahrung nach sind jedoch viele Manager viel zu sehr ihren angestammten Geschäftsmodellen verhaftet. "Da könnte viel mehr passieren", meint er.
Besonders schwer tun sich seiner Einschätzung nach kleine und mittlere Unternehmen. "Das überrascht nicht", meint Peters, "der digitale Wandel ganzer Geschäfts- und vielleicht sogar Produktionsmodelle kann teuer sein und viele Mitarbeiter benötigen." Peters spricht von einer längeren Reise, für die man Mitarbeiter, die sich stark für das Thema engagieren. Und die in der Lage sind, Dinge auch mal neu zu denken und Ideen zu entwickeln. Auch Bildung spielt hier eine Rolle: Aus Sicht des DSAG-Vorstands für Digitalisierung müsste ein stärkerer Wissens-Transfer zwischen Universitäten, Forschungseinrichtungen und Wirtschaft erfolgen, um junge Talente praxisnah auszubilden. Zudem spiele die kontinuierliche Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter eine wichtige Rolle.
Nun, in der Corona-Krise, ist aus Peters Sicht die Gefahr groß, dass Projekte zur Digitalen Transformation, die erst einmal kosten, hinten angestellt werden. Dabei sei gerade jetzt ein guter Zeitpunkt, um über Veränderungen nachzudenken. Peters Empfinden nach hatte die Corona-Zeit einen besonderen Effekt: "Wir haben doch alle gesehen, wie engagiert die Leute waren, wie sehr sie ihrem Unternehmen geholfen haben, alles am Laufen zu halten", sagt er. Gerade jetzt sei in den Betrieben der richtige Geist vorhanden. "Warum sollte man den nicht nutzen, um noch einen Schritt weiterzugehen und zu überlegen, was man daraus für einen Nutzen ziehen könnte?", fragt Peters und fügt hinzu: "Das ist für mich Digitalisierung."
Die großen Megatrends – also etwa Globalisierung, Klimawandel, Digitalisierung, neue Mobilität und demografischer Wandel – änderten nun einmal das Umfeld, meint Peters. Und Unternehmen bleibe nichts anderes übrig, als darüber nachzudenken, wie sie ihr Geschäftsmodell verändern müssen, um mit den neuen Trends nicht unterzugehen. "Ein Zurück gibt es nicht. Das gab es noch nie in einer Situation, in der plötzlich alles anders war", sagt Peters. "Es gab immer nur eine neue Zukunft – die man gestalten muss, oder von der man gestaltet wird."