Der Rechtsstreit zwischen den Eigentümern der Gelita AG sorgt für Verunsicherung in der Eberbacher Zentrale. Firmenbild
Heidelberg/Eberbach. (dbe) Kurz vor Verkündung des Urteils herrscht am Freitag im Saal 11 des Landgerichts Heidelberg noch gähnende Leere. Auf den Zuhörerrängen sind gerade einmal vier von 25 Plätzen besetzt. Die Stühle vor den reservierten Tischen für "Beklagte" und "Klägerin" sind leer - und bleiben es auch. Um Punkt 12 Uhr lässt die Vorsitzende Richterin Renate Rohde die Tür schließen und verkündet vor fast leeren Reihen ihr Urteil.
Man könnte denken, es geht hier um eine Lappalie, ein Verkehrsvergehen oder einen Nachbarschaftsstreit. Doch es geht um viele Millionen Euro, um Mehrheitsverhältnisse in einem Konzern von Weltrang, um den Wert eines Unternehmens, um Schadenersatzzahlungen - in dem Familienstreit rund um den Weltmarktführer für Gelatine, die Gelita AG aus Eberbach, geht es vor allem um Macht.
Das Landgericht Heidelberg hat am Freitag bei einem der größten Streitpunkte der langjährigen Familienfehde - es sind noch weitere Verfahren anhängig - ein Urteil gesprochen. Demnach wurde die Beteiligung an dem Gelatinekapsel-Hersteller R.P. Scherer im Jahr 2012 nicht unter Wert verkauft.
Peter Koepff, Sohn des Unternehmensgründers, hatte einen "besonderen Vertreter" berufen, der prüfen sollte, ob die Beteiligung weit unter dem Marktwert verkauft wurde. Das US-Unternehmen Catalent hatte 43 Millionen Euro bezahlt, laut Peter Koepff wären hingegen 80 Millionen Euro ein realistischer Wert gewesen. Peter Koepff argumentierte, dass die Beteiligung nur verkauft wurde, um einen Aktien-Deal seines Neffen zu finanzieren.
Nach dem Verkauf von R.P. Scherer gab es eine "Superdividende" für die Aktionäre. Statt acht Euro pro Aktie wie im Jahr 2011 gab es 2012 65 Euro pro Aktie, ein Plus von über 700 Prozent. Dieses Geld habe Philipp Koepff, Enkel des Firmengründers, genutzt, um ein 25-prozentiges Aktienpaket von einem weiteren Familienmitglied zu erwerben - und so mit 51,5 Prozent der Aktien zum mächtigen Mehrheitsaktionär zu werden. So die Argumentation von Peter Koepff und dem von ihm eingesetzten "besonderen Vertreter", der daher im Namen der Gelita AG Klage gegen Vorstände und Aufsichtsräte einreichte und Schadenersatz forderte.
Das Gericht folgte der Argumentation von Peter Koepff nicht. Der Verkauf von R.P. Scherer habe zur Strategie des Unternehmens gepasst, sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren, sagte die Vorsitzende Richterin Rohde gestern. Pflichtverletzungen durch den Vorstand und den Aufsichtsrat seien objektiv ausgeschlossen. Vielmehr sei der Verkauf eine "unternehmerische Entscheidung zum Wohle der Gesellschaft" gewesen.
Zudem hätte die Konzernführung durchaus Alternativen zum Verkauf abgewogen. Da Vorstand und Aufsichtsrat zudem das zu verkaufende Unternehmen sehr gut kannten, sei eine allumfassende externe Wert-Prüfung nicht notwendig gewesen, wie sie etwa üblich ist, wenn ein fremdes Unternehmen gekauft werden soll. Zudem, so das Gericht in der Urteilsbegründung, hätten Vorstand und Aufsichtsrat zum Zeitpunkt des Verkaufs von R.P. Scherer nichts vom dem geplanten, millionenschweren Aktienerwerb von Philipp Koepff gewusst - eine Beeinflussung sei daher "ausgeschlossen".
Hinzu kommt, dass Philipp Koepff zum Kauf der Anteile gar nicht die Superdividende gebraucht hätte. Vielmehr gebe es die Bestätigung einer Bank über die Bereitstellung von fast 200 Millionen Euro zum Erwerb von Unternehmensanteilen.
In der Zentrale in Eberbach dürfte die Erleichterung nach der Entscheidung des Gerichts am Freitag groß gewesen sein. Wie zu hören war, habe der "besondere Vertreter" für viel Unruhe im Unternehmen gesorgt. Schließlich darf er rechtlich in alle Akten Einsicht nehmen - und hat dies dem Vernehmen nach auch fleißig getan.
Jetzt könnten sich die rund 2600 Mitarbeiter des weltgrößten Gelatine-Herstellers wieder auf die Geschäfte konzentrieren, die jüngst nicht mehr so gut wie in der Vergangenheit liefen.
Obwohl das letzte Wort vielleicht noch nicht gesprochen ist: Das jetzt gesprochene Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Kläger-Seite kann innerhalb einer Frist von einem Monat ab Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe Berufung einlegen.