Feuerwehrmann - für viele Kinder ein Traumberuf. Dem Gesetz nach darf in Deutschland jeder arbeiten, was er möchte. Die Realität sieht manchmal anders aus. Foto: dpa
Von Barbara Klauß
Heidelberg. Jeder hat laut Grundgesetz das Recht, "Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen". Aber kann tatsächlich jeder seinen Wunschberuf ausüben? Wie frei ist die Berufswahl wirklich? Eine Bestandsaufnahme.
> Einschränkungen: Eine Garantie, dass jeder in seinem Traumberuf und an seinem Traumarbeitsplatz unterkommt, gibt das Grundgesetz natürlich nicht. Eine Grenze setzt der Markt: Jemand, der unbedingt als Luft- und Raumfahrttechniker in Brandenburg arbeiten möchte, dort aber keine Firma findet, die ihm den passenden Job bietet, kann sich selbstverständlich nicht aufs Grundgesetz berufen. Auch der Staat greift zum Teil regulierend ein, etwa indem er festlegt, wie viele Ärzte sich in bestimmten Gegenden niederlassen dürfen. Sind die Kontingente erschöpft, haben die übrig gebliebenen Pech gehabt. Umgekehrt kann der Staat aber keinen Arzt zwingen, eine Praxis in einer der ländlichen Regionen zu eröffnen - obwohl die zum Teil dramatisch unterversorgt sind.
> Fachkräfte: Ähnlich ist es auf dem Lehrstellenmarkt. Hier trägt die freie Berufs- und Ausbildungsplatzwahl dazu bei, dass sich ein Ungleichgewicht ergibt. Während Wirtschafts- und Handwerksverbände mangelndes Interesse an Ausbildungsberufen beklagen (2008 gab es laut Statista 1,6 Millionen Auszubildende in Deutschland, 2017 nur noch 1,3 Millionen), steigt die Zahl der Studierenden kontinuierlich an: Von gut 2 Millionen im Wintersemester 2008/09 auf fast 2,9 Millionen 2018/19. Auch wenn der Staat die Ausbildungsberufe als wichtig erachtet: Niemand kann gezwungen werden, sich zum Pfleger oder Installateur ausbilden zu lassen, wenn er lieber Geologie studieren möchte.
So erreichte die Zahl der unbesetzten Lehrstellen laut Deutschem Industrie- und Handelskammertag (DIHK) im vergangenen Herbst ein Rekordhoch. Fast 58.000 unbesetzte Lehrstellen meldete die Bundesagentur für Arbeit Ende September. Es sind vor allem Hotels, Gaststätten und Handwerker wie etwa Bäcker und Metzger, die nicht genug Lehrlinge finden; sie fehlen aber auch am Bau, in Metallberufen und der Energietechnik. Immer vehementer warnen Wirtschaftsverbände vor einem Fachkräftemangel.
Doch die brummende Konjunktur eröffnet den jungen Leuten heute eine große Wahlfreiheit. Um dennoch wieder mehr Jugendliche für eine Lehre zu gewinnen, hat die Bundesregierung gerade erst einen Mindestlohn für Auszubildende eingeführt: Ab 2020 sollen sie mindestens 515 Euro im Monat erhalten.
> Herkunft: Eine große Rolle bei der Frage, welchen Beruf man ausübt, spielt nach wie vor die Herkunft. Einer Studie des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem vergangenen Jahr zufolge, hat sich die soziale Mobilität in Deutschland in den zurückliegenden 30 Jahren kaum verändert: Wenn Eltern leitende Angestellte oder Ärzte waren, ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass der Nachwuchs ebenfalls eine solche Position findet als bei einem Arbeiterkind.
> Rollenmuster: Auch Rollenmuster haben immer noch eine große Bedeutung bei der Berufswahl: Ein Blick in Kitas und auf Baustellen zeigt, dass sich an der Rollenverteilung auf dem deutschen Arbeitsmarkt wenig verändert hat, heißt es 2018 beim Institut der deutschen Wirtschaft (IWD) in Köln. Während in einigen Bau- und Metallberufen deutlich weniger als zehn Prozent der Beschäftigten Frauen sind, beträgt ihr Anteil in den Berufen des Erziehungs- und Gesundheitswesens mehr als 80 Prozent. Auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) stellt fest, dass gesellschaftlich geprägte Stereotype die Berufswahl von Frauen und Männern noch immer maßgeblich beeinflussen.
> Führung: Besonders schwer haben es Frauen, wenn sie den Berufswunsch "Chef" haben. In Aufsichtsräten der 100 größten börsennotierten Unternehmen gibt es (aufgrund einer Quote) zwar immerhin 30 Prozent Frauen - in den Vorständen sind es aber lediglich 8,5 Prozent. Als "deprimierend schlecht" hat das Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich bezeichnet. Laut Statista betrug der Frauenanteil in Führungspositionen im Oktober 2018 knapp 17 Prozent.
> Migration: Auf dem Weg zum Wunschberuf stehen auch Menschen vor Hürden, die oder deren Vorfahren nicht aus Deutschland stammen. Sie suchen hierzulande länger nach einer Stelle und kassieren häufiger Absagen, wie ein Versuch am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung ergab: Forscher schrieben Tausende fiktive Bewerbungen, die zum Teil darauf schließen ließen, dass die Vorfahren der Bewerber aus einem anderen Land stammten. Das Ergebnis: Bewerber mit Vorfahren aus vielen europäischen, ostasiatischen und nordamerikanischen Ländern wurden genauso behandelt wie Menschen ohne Migrationshintergrund. Personen, die aus afrikanischen und muslimischen Ländern stammten, waren jedoch von Diskriminierung betroffen.
> Behinderung: Menschen mit Behinderung haben häufig große Probleme bei der Suche nach dem Wunsch-Arbeitsplatz: Wer gerne in einer regulären Firma arbeiten möchte, hat schlechte Chancen: Unter den rund zehn Millionen behinderten Menschen in Deutschland liegt die Arbeitslosenquote bei knapp zwölf Prozent - und damit mehr als doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderung (gut fünf Prozent). Dabei sind Arbeitgeber mit 20 und mehr Beschäftigten gesetzlich verpflichtet, mindestes fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze an Schwerbehinderte zu vergeben. Tun sie das nicht, müssen sie eine Ausgleichsabgabe (im höchsten Fall 320 Euro im Jahr) zahlen.
> Hartz-IV: Das Gesetz zwingt niemanden zur Arbeit. Auch für Bezieher von Arbeitslosengeld II gibt es keine Arbeitspflicht, obwohl er von Politikern immer mal wieder gefordert wird. Allerdings unterliegen Hartz-IV-Empfänger etlichen Pflichten. Sie dürfen die Jobsuche nicht schleifen lassen, sondern müssen sich regelmäßig bewerben. Zumutbare Jobangebote dürfen sie nicht einfach ablehnen. Außerdem müssen sie sich regelmäßig bei den Jobcentern melden. "Fördern und Fordern" nannte einst Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder dieses Prinzip. Verstößt ein Leistungsempfänger gegen diese Pflichten, kann ihm das Arbeitslosengeld II gekürzt werden. Wegen dieser Sanktionen gibt es derzeit eine Debatte - und ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Es soll klären, ob Leistungskürzungen für Hartz-IV-Empfänger Grundrechte verletzen.
Im konkreten Fall geht es um einen arbeitslosen Mann aus Erfurt. Vom Jobcenter wurde ihm ein Job als Lagerarbeiter angeboten. Weil er lieber in den Verkauf wollte, lehnte er den Job ab. Daraufhin kürzte das Jobcenter ihm sein Arbeitslosengeld um 30 Prozent. Weil er einen Gutschein zur Erprobung bei einem Arbeitgeber nicht einlöste, kam es zu einer weiteren Kürzung. Insgesamt bekam er eine Kürzung von 60 Prozent. Dagegen klagte der Mann. Das Sozialgericht Gotha setzte das Verfahren aus und schickte die Sache nach Karlsruhe. Die Thüringer Richter sind der Meinung, dass sämtliche Sanktionsregeln nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Noch ist kein Urteil gefallen.