Risiko und Chance zweier Torhüter
Pechvogel Koen Casteels wurde in Berlin erfolgreich operiert - Zuvor durfte Alexander Stolz ein geglücktes Bundesliga-Debüt bestreiten

Zuzenhausen/Berlin. Torhüter müssen im Fußball zuweilen mit einem besonders hohen Risiko leben. Siehe im Fall von Koen Casteels. Der 21-jährige belgische Nationalkeeper eilt am Sonntag beim 1:1 zwischen Hertha BSC und der TSG 1899 Hoffenheim waghalsig aus dem Kasten, um Schlimmeres gegen den heranstürmenden Berliner Adrian Ramos (69.) zu verhindern. Dann krachen beide im Beisein von Innenverteidiger Jannik Vestergaard zusammen, und Casteels knallt unglücklich und brutalst auf den Rasen, krümmt sich vor Schmerz und rudert verzweifelt mit den Armen. Ein Horror-Crash mit Folgen.
Alexander Stolz, Ersatzkeeper der TSG 1899: "Koen, komm bald wieder! Ich wünsche ihm gute Besserung. Für mich ging in Berlin ein Wunsch in Erfüllung, ich habe Jahre lang darauf hingearbeitet."
"Hoffes" Nummer eins wird von vier Sanitätern auf einer Trage abtransportiert und noch am Abend in einem Krankenhaus im Westen der Spreemetropole operiert. Der Eingriff dauert knapp zwei Stunden und verläuft gottlob ohne Komplikationen. TSG-Mannschaftsarzt Dr. Henning Ott bleibt als Begleitperson über Nacht in der Hauptstadt und reist angesichts des dramatischen Ereignisses erst am Montagmorgen mit dem Zug zurück nach Nordbaden. Gestern erhielt Casteels moralische Unterstützung von seinen Eltern, die ihn am Krankenbett besuchten.
Während beim Kolumbianer Ramos nach einer MRT-Untersuchung Entwarnung gegeben und lediglich ein Hämatom im rechten Oberschenkel diagnostiziert wurde, bedeutet der Schienbeinbruch für Casteels das vorzeitige Saison-Aus. Und: Sein großer Traum, mit den "Roten Teufeln" an der WM in Brasilien teilzunehmen, ist binnen Sekundenbruchteilen ausgeträumt. Cheftrainer Markus Gisdol wirkte nach der Partie sichtlich mitgenommen, ja geradezu schockiert. "Mein Spieler ist ein Teil meiner Familie. Und wenn sich ein Spieler meiner Mannschaft verletzt, dann trifft uns das hart", sagte Gisdol mitfühlend und ergriffen.
Dank Casteels' Pech kam Alexander Stolz, Hoffenheims Nummer drei, zu seinem unverhofften Bundesliga-Debüt. Mit 30 Jahren! Stolz betonte "die sehr unglücklichen Umstände", unter denen er kalt ins hitzige Gefecht reingeworfen wurde. "Es gehört zum Profidasein dazu, du musst halt immer bereit sein", bilanzierte Stolz den Premieren-Auftritt, "ich bin ganz zufrieden und habe in den 20 Minuten versucht, meinen Job zu machen."
Ein bemerkenswertes Intermezzo war's, denn Stolz rettete mit zwei tollen Paraden gegen Ramos (87.) und Ronny (88.) das Remis für den Kraichgauklub. Es sollte zugleich der späte Höhepunkt einer außergewöhnlichen Profi-Laufbahn sein. Stolz stammt ursprünglich aus der Jugend des SV Hohenwart und des VfR Pforzheim. Zu seinen Karriere-Stationen zählen der SV Sandhausen, FC Nöttingen, VfB Stuttgart II, "Hoffe" 2006/2007 (damals noch in der Regionalliga), die VfB-Profis und der Karlsruher SC. Am Cannstatter Wasen wurde er zwischenzeitlich zum Stellvertreter von Jens Lehmann berufen und lieferte sich mit dem jetzigen VfB-Stammtorhüter Sven Ulreich ein Duell um die Positionen zwei und drei. Lehmann galt als Lehrmeister des fleißigen, akribisch arbeitenden Stolz.
Nachdem Tim Wiese von Gisdol im vergangenen Sommer in die Trainingsgruppe 2 verbannt worden war, erhielt der seinerzeit vereinslose Stolz am 21. August einen Vertrag bis zum Saisonende und somit eine neuerliche Chance.
Am Sonntag (17.30 Uhr) im Heimspiel gegen den FC Augsburg dürfte freilich wieder Jens Grahl (Oberschenkelverhärtung) das Hoffenheimer Tor hüten. Stolz wird hingegen als Ersatzmann zum sechsten Mal nach Schalke, Leverkusen, Hannover, Bayern und Hertha im Kader stehen. Der vorübergehende Schockzustand sollte sich bei Casteels' Teamkollegen bis dahin gelegt haben.
Gestern jedenfalls war der tragische Torhüter-Unfall von Koen Casteels das alles beherrschende Thema. Das Unentschieden aus Berlin geriet beim Dorfverein auf dem Trainingsgelände in Zuzenhausen zur völligen Nebensache.