1899-Hoffenheim-Trainer im Interview

Julian Nagelsmann: "Frauen heulen halt viel weniger rum"

Julian Nagelsmann über die Vorzüge des "schwachen Geschlechts" im Fußball, die internationale Premiere der TSG und seine Vertragsverlängerung

21.07.2017 UPDATE: 22.07.2017 06:00 Uhr 5 Minuten, 9 Sekunden

Julian Nagelsmann entspannt im Trainingslager der TSG Hoffenheim in Oberösterreich: "Nicht nur an Fußball denken wie Nerds." Foto: APF

Von Joachim Klaehn

Windischgarsten. Julian Nagelsmann, seit eineinhalb Jahren Cheftrainer des Bundesligisten TSG 1899 Hoffenheim, hat eine atemberaubende Karriere hingelegt. Der Oberbayer ist maßgeblich für "Hoffes" Europacup-Premiere verantwortlich. Wer ihn in Oberösterreich live erlebt, der spürt, wie er sich gemeinsam mit seinen Schützlingen fokussiert, detailverliebt und erfolgsbesessener denn je auf die neue Saison vorbereitet.

Am morgigen Sonntag wird der "freche Lausbub" Nagelsmann 30 Jahre alt. Am Freitag outete er sich als Freund des Fußballs weiblicher Prägung. "Frauen heulen halt viel weniger rum", sagte Nagelsmann in einem ungezwungenen Interview. Kurz vor seinem runden Geburtstag sind dem hochbegabten Coach neue Schlagzeilen gewiss.

Herr Nagelsmann, wie haben Ihnen denn die Mountainbikestrecken hier gefallen?

Da oben sind drei Trails, wir sind aber nur den leichten davon gefahren. Dann sind wir an die Wurzeralm. Der Kurs war anspruchsvoll, schmal, steil. Einen Sturz hat es gegeben, aber nicht von mir.

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Was fasziniert Sie am Mountainbiken?

Ein großer Vorteil gegenüber Joggen ist, dass du in kurzer Zeit einfach viel mehr siehst. Ein großer Vorteil zum Motorradfahren ist, dass du die Umwelt nicht verpestest. An einem Tag in den Alpen mit dem Radl bist du an so vielen verschiedenen Stellen, zu denen du mit Joggen nicht hinkommst. Also ich zumindest nicht, ein Kenianer vielleicht schon. Radfahren ist von daher die beste Variante. Man kann sich in sehr kurzer Zeit extrem auspowern und beim Bergabfahren hat man einen Adrenalinkick, was Geschwindigkeit angeht. Es geht auch darum, die Natur zu genießen.

Wie wichtig ist es für Sie, mal den Kopf frei zu bekommen?

Sehr wichtig. Ein Trainingslager ist extrem anstrengend für den Trainer. Erst recht, wenn immer wieder Spieler zur Gruppe dazu stoßen. Ballgewinn war jetzt diese Woche dran, Umschalten nach Ballverlust letzte Woche. Hinzu gibt es viele Videositzungen, die du mit der großen Gruppe machst. Ein Alternativprogramm tut da gut, wir bolzen ja ab und zu auf dem Platz, der Sportdirektor spielt Frisbee. Das ist wichtig, damit man sieht: Das sind ganz normale Menschen, die nicht nur an Fußball denken wie Nerds.

Was bedeutet Ihnen die Zahl 30?

Viel bedeutet es mir nicht. Ich war nie der große Feierer. Man ist halt irgendwann geboren. Es ist keine große Leistung, wenn man 30 wird. Es ist zweifellos ein Abschnitt: Die Zwei davor hat noch ein bisschen was Jugendliches, die Drei davor klingt schon sehr erwachsen. Es ist nicht so, dass ich ab morgen in eine tiefe Depression falle (lacht).

Passt Ihre Mischung aus Autorität und Spaß zum Team?

Man muss die Mannschaft immer beobachten. Wie nimmt sie die Dinge auf, die du Drumherum machst. Ich bin offen zu meinen Spielern und frage auch mal, wie kommt es an, wenn ich mal nach dem Training bolze. Ich verlange von meinen Spielern, dass sie den Sport lieben. Und ich finde es gut, wenn sich Spieler und Trainer begeistern lassen. Ich will ja nicht nur ein Theoretiker sein. Sie geben mir in den Einheiten sehr viel zurück. Es gibt da keinen, der sich schont. Bei meiner Mannschaft ist das Gaspedal immer komplett durchgedrückt! Unter solchen Voraussetzungen kann man nebenbei auch mal Spaß und Freude haben.

Ist die Mannschaft weiter als letzte Saison?

Viel weiter, was den aktuellen Stand angeht. Es ist aber keine Garantie dafür, wie es in den ersten Spielen und Wochen läuft. Wenn ich mir die Trainingsleistung und die Taktik anschaue, sind wir aber viel weiter, als wir es letztes Jahr zum gleichen Zeitpunkt waren.

Nadiem Amiri ist im Gegensatz zu Jeremy Toljan, Kerem Demirbay und Sandro Wagner früher als geplant eingestiegen …

Man muss immer die Spieler sehen. Nadiem hat letztes Jahr nicht so viel gespielt, von daher hat er auch nicht so viel Urlaub gebraucht. Kerem hingegen hat ein sehr belastendes Jahr gehabt. Bei Sandro ist es ähnlich, er hat viel und aufreibend gespielt, und Jerry hat im Gegensatz zu Nadiem extrem viel bei der Nationalmannschaft gespielt. Ich habe grundsätzlich allen die Möglichkeit gegeben, drei Wochen frei zu machen.

Ist ein weiterer Sechser ein Thema bei "Hoffe"?

Wir sind schon noch auf der Suche auf dieser Position. Wir müssen halt schauen, einen zu verpflichten, der die Qualität hat, um uns sofort zu helfen. Es gibt viele Sechser, die ich mir wünschen würde, die Frage ist allerdings, wie man den Transfer realisieren kann.

Ist der derzeitige Kader Champions-League-tauglich?

Ich habe mit diesem Kader ja noch nie Champions League gespielt. Das muss ich sehen, wenn es soweit kommt. 80 Prozent aller Kader in der Champions League sind anders bestückt als wir. Wir haben jetzt keinen Kader, der finanziell immer in die Champions League muss.

Viele TSG-Profis melden Ansprüche an. Wird das Kadermanagement für Sie schwieriger?

Es ist sicher komplexer. Wir haben viel mehr Spiele als letzte Saison, also müssen wir die Spielzeit anders verteilen. Der Anspruch steigt bei Spielern wie Trainern. Wir haben jetzt keinen 34-Mann-Kader, sondern alles in einem Rahmen, so dass man es gut steuern kann.

Haben Sie sich vor Hoffenheims internationaler Premiere Rat geholt?

Ich persönlich nicht, eher von Vereinsseite her, was die Organisation anbetrifft. Es macht wenig Sinn, bei Carlo Ancelotti anzurufen. Du kannst das nicht vergleichen. Ich probiere letztlich mein Ding durchzusetzen und schaue eben, ob es funktioniert. Und wenn es nicht funktioniert, dann sitzt hier nächstes Jahr ein anderer. Das war ein Witz! (lacht)

Spüren Sie eine gestiegene Erwartungshaltung?

Wir wollen von der Art und Weise so spielen wie letztes Jahr - attraktiv und erfolgreich. Das ist logisch. Ich werde keinen Tabellenplatz ausrufen. Es gibt ein großes Ziel: Ich möchte dieses Wort Doppelbelastung oder Gefahr schlichtweg nicht hören.

Sie haben Ihren Vertrag verlängert. Erfüllen Sie ihn?

(Lacht) Wie lange habe ich Vertrag? Ich glaube bis 2021. Es ist zumindest ein wichtiges Zeichen für die Spieler. Ich mache nicht den Fehler und sage, ich bleibe fix bis da oder da - und dann ändert sich das sehr schnell. Es ist ja ein Geschäft, bei dem beide Seiten entscheiden müssen, sowohl der Klub als auch ich. Auf jeden Fall haben die Spieler nun die Sicherheit, dass ich definitiv nächstes Jahr und vielleicht noch ein paar Jahre mehr in Hoffenheim bin. Dafür haben wir das gemacht. Ich werde nicht sagen, bis zu welchem Datum ich in Hoffenheim bin, weil ich es selbst nicht weiß. Auf jeden Fall bleibe ich noch ein bisschen, deshalb habe ich schließlich verlängert.

Befürchten Sie, dass die Hoffe-Taktik in der kommenden Saison eher von der Konkurrenz decodiert wird?

Das Problem hatten wir letztes Jahr schon. Außer Bayern, Leipzig und der HSV standen alle Bundesligisten tief gegen uns. Ich werde es weiterhin so handhaben, dass wir uns von hinten rauskombinieren. Lange Bälle gefallen mir einfach nicht.

Welche Mannschaft gucken Sie am liebsten an?

Meine. Ehrlich gesagt, habe ich nicht so viel Zeit zum Fußballschauen. Barcelona habe ich früher viel geguckt. Auch Juventus, weil sie leidenschaftlich verteidigen.

Verfolgen Sie momentan auch die deutschen Frauen bei der EM in den Niederlanden?

Ja. Ich bin sehr verwundert über die hohe Qualität. Aber Frauenfußball ist schon eine andere Welt.

Wie meinen Sie das konkret?

Es ist ein ganz anderer Sport, du kannst dich mehr auf Technik und Taktik konzentrieren. Die athletische Komponente ist unbedeutender als bei uns. Ich schaue es total gerne, weil es ein ehrlicher Sport ist, viel ehrlicher als Männerfußball. Frauen heulen halt viel weniger rum, liegen selten am Boden. Die franzen sich manchmal aus den Schuhen raus, stehen auf und spielen weiter. Deshalb liegt deren Nettospielzeit bei 85 Minuten, im Männerfußball lag sie beispielsweise bei Darmstadt zu Hochzeiten bei 51 Minuten und bei Ingolstadt nicht mal ganz eine Halbzeit lang. Im Frauenfußball gibt es kaum Spielverzögerung, kein Gejammer und keine ständigen Beschwerden bei der Schiedsrichterin. Die hauen sich halt auf die Moppe und es geht einfach weiter. Das gefällt mir wirklich.

Könnte ein anderes Kollektiv den FC Bayern im Titelrennen gefährden?

Es kann was an Bayern vorbeiführen. Doch bei denen ist es immer auch eine Frage des Stolzes. Dann packen sie ein paar Schippen drauf und spielen richtig gut. Wenn sie Normalform haben, dann werden sie Meister. Dortmund wird eine Superrolle spielen können, Leipzig traue ich auch wieder viel zu, darüber hinaus Leverkusen und Schalke.

Zum Abschluss: Liegt ein Buch auf Ihrem Nachtisch?

(Lacht) Nein. Ein silbernes mit dem Apfel drauf, also ein elektronisches Buch.

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