Riesige Playmobil-Welt ist aufgebaut (Update)
Die Stadt im Mittelalter aus 40.000 Teilen. Das Werk gehört Harald Schaaf aus Neidenstein.

Sinsheim. (tk) Nur noch die gelben Mini-Sinsheim-Fahnen auf die Zinnen – puh, geschafft! Kurz nach 13 Uhr am Donnerstagmittag und nach beinahe drei Wochen akribischer Arbeit war das Werk vollendet: "Ich muss jetzt doch mal raus", sagt Harald Schaaf und dreht eine Runde um den Kirchplatz, während Mitarbeiter des Bauhofs noch Holzhütten zimmern.
Für den Sinsheimer Weihnachtsmarkt, der dort am Wochenende gefeiert wird. Schaaf aus Neidenstein ist der Burgbaumeister der mittelalterlichen Playmobil-Welt, die ab kommendem Samstag im Stadtmuseum einen Monat lang zu sehen sein wird. Wie bereits berichtet, gehört sie zu den größten ihrer Art in Europa – mit annähernd 40.000 Teilen. Zusammen mit Museumsleiterin Dinah Rottschäfer und anhand alter Stadtpläne entstand die Anlage frei nach Alt-Sinsheimer Vorbild.
Für Rottschäfer, die Sinsheim nach fünf Jahren verlässt, ein furioser Abschied, bei dem, wie Schaaf schildert, einiges zu erwarten ist: Als eine ähnliche Landschaft in Neidenstein Premiere hatte, hätten sie die Ausstellung mit vierstündiger Verspätung schließen müssen. Bei der Schau in der Melanchthonstadt Bretten seien am bestbesuchten Tag mehr als 600 Leute gezählt worden.

Von Tim Kegel
Sinsheim. Im Burggraben lagern tausende Teile: Ein Plastikbeutel voller Füchse und Dachse, einer mit den Tieren des Waldes, Dutzende Töpfe und Eimer, kaum größer als ein Fingerhut. Am Morgen sind fünf Kisten angekommen: lauter Bäume. Und das hier, das sind: klitzekleine Schandkörbe für die Gefangenen.
Auch interessant
Willkommen im 13. Jahrhundert: 8,20 auf 2,80 Meter misst die Playmobil-Mittelalter-Spielzeuglandschaft von Harald Schaaf aus Neidenstein, die zurzeit im Stadtmuseum aufgebaut wird. Als große Attraktion zum Jahreswechsel. Rund 80 Boxen voller Material – die meisten davon so groß wie zwei Waschkörbe – hat eine Spedition vom Burgdorf nach Sinsheim gebracht: Zwischen 30.000 und 40.000 Einzelteile, darunter allein 2.000 Figuren und mehr als 100 Ratten.
Dimensionen wie diese machen Schaafs Burglandschaft zu einer der größten ihrer Art in Europa, wobei die anderen nur minimal größer sind. Seit einer Woche wächst auf 16 eigens gezimmerten Holztischen eine wimmelnde Welt empor: allerlei Handwerker, Schlachter und Bäcker, Seil- und Korbmacher, Töpfer und Wachszieher, Huf-, Wagen- und Waffenschmied, die Schänke und der Medicus. In bis unters Dach und in die Ställe mit kleinen Szenen aus dem Leben von damals vollgestellten Fachwerkhäusern.
Jede Runde ums Spielzeug-Diorama, das weiß Schaaf ganz genau, eröffnet nicht nur Kindern immer aufs Neue – und mit der geballten Kraft der Fantasie – die nächsten Entdeckungen; auch Erwachsene werden die Szenerie genießen. Und den Witz und die Überlegung, die der 68-Jährige und Museumsleiterin Dinah Rottschäfer in die Anlage einbauen.
An der Kirche, Martin Luther mit Schriftrolle in der Hand und Katharina von Bora zur Seite – "nicht unbedingt zeitlich passend, aber musste einfach mit": Vernetzt mit Playmobil-Modellbauern weltweit, fand Schaaf die Sonderedition zum Reformationsjubiläum. Bischöfe und Bettelmönche streifen nun ums Gotteshaus. An den Türmen hoch über der Stadt siechen Gefangene in Eisenkörben – ähnliche Schandkörbe, gibt es auch am Kölner Dom. Außerhalb der Stadt ragen die Zinnen einer Burg auf, durch den Wald davor prescht eine wilde Jagd mit Pfeil und Bogen, tummeln sich Wolf und Wildsau. Solche und ähnliche Szenen gibt es auf der Anlage dutzendfach zu entdecken – von der Rauferei bis zum Rittermahl.
Und von Schaaf mit einer Akribie erstellt, wie sie ihm nach einem Berufsleben als Sterilisationsassistent in leitender Funktion an einem Heidelberger Klinikum in Fleisch und Blut übergegangen ist: "Dokumentation ist alles", sagt der drahtige Mann mit der Halskette, während er beim Aufbau in Socken virtuos über die Tische spreizt und die Handgriffe sitzen: Nachts kämen ihm die Ideen, die merke er sich, tags würden sie umgesetzt. Läuft so ein Aufbau drehe sich "ständig das Hamsterrad", ähnlich beim Abbau.
Öfter sagten die Leute dann im Scherz zu ihm, er spiele wieder mit Playmobil; er dazu: "Ich spiele nicht"; trotzdem habe das Projekt zusammen mit seinem Enkel – damals war Lukas neun Jahre alt – den Feinschliff erhalten. Schaaf, auch Vorsitzender im Verein für Kultur- und Heimatpflege Neidenstein, sammelt mittelalterliches Playmobil seit etwa zehn Jahren, was unter diesen Voraussetzungen im Burgdorf grundlogisch erscheint.
Als es aufs 700. Ortsjubiläum im Jahr 2019 zuging, wurde der große Wurf geplant. 18 Monate lang wurden Häuser und Türme vorgefertigt und erweitert. Wurden Bauteile besorgt und aneinander angepasst – in einem Volumen, über dessen Kosten "nicht geredet wird" und das eingelagert inzwischen einen eigenen 20-Quadratmeter-Raum füllt. Pure Leidenschaft – bis hin zur Einstreu: Eimerweise Steinchen und Sand, "von Blau bis Schiefergrau" und bis hin zu den Granitsplittern, die Schaaf von einem Besuch im ostbayerischen Hauzenberg mit heimbrachte. "Es gibt nichts, was es nicht gibt", sagt Schaaf – "und was es nicht gibt, das machen wir uns."
Digitaldrucker befreundeter Playmobil-Freunde halfen schon mal dabei, Türme zu erhöhen: Ein Großteil der Bauteile stammt aus den 1970er- bis 1990er-Jahren, ist längst vergriffen und nur bei Sammlern zu bekommen.
Zweimal hat Schaaf die Anlage bislang in Gemeinden auf- und wiederabgebaut, zuletzt in Bretten, erstmals zum Neidensteiner Jubiläum, jedes Mal sei das Arrangement anders gewesen, abgestimmt auf den – immer mittelalterlichen – Ausstellungsort. Dieses Mal, sagt Rottschäfer, habe sich das Werk "so gut es geht am historischen Sinsheim orientiert".
Orientierung beim Aufbau geben der bekannte Merian-Stich der Stadt aus dem 16. Jahrhundert und der älteste verfügbare Stadtplan aus der Zeit um 1840. "Eine leicht schräg gestellte Kirche" sei ein wesentliches Merkmal, außerdem "ein Leben entlang einer zentralen Straße", auch eine Burg an der Stadtmauer – am heutigen Burgplatz – werde in der Kunststoffwelt umgesetzt. "Der Sitz vom kaiserlichen Vogt in der Stadtburg."