Eppingen

In der Raußmühle  soll sich das Rad wieder drehen

Verwunschen, ein wenig wild, aber voller liebenswerter Details: Am Mühlentag am Pfingstmontag öffnet sich die Tür.

18.05.2024 UPDATE: 20.05.2024 04:00 Uhr 4 Minuten, 4 Sekunden
Verwunschen, ein wenig wild, aber voller liebenswerter Details: An und in der Raußmühle, hier das Nebengebäude, gibt es an Pfingsten viel zu entdecken. Foto: Heiko P. Wacker

Von Heiko P. Wacker

Eppingen. Schon vor 690 Jahren drehte sich das Rad der Raußmühle in Eppingen, seit 1964 stand es jedoch still. Nun soll es sich bald wieder drehen – zu musealen Zwecken zumindest. Am Pfingstmontag wird man sehen können, wie weit das Projekt gediehen ist, Mitte April begann die Rekonstruktion. Zum traditionellen Mühlentag öffnet Frank Dähling die Pforte der historischen Mühle für Besucher.

Er tut dies gern – und er tut dies oft, nicht nur zum Mühlentag oder dem Tag des offenen Denkmals im September. Auch Gruppen, Schulklassen oder Wissenschaftler sind ihm willkommen, dem "Raußmüller", wie er sich selber nennt. Und das darf er: Im kommenden Jahr macht er sein 50. in der Mühle voll, die er 1975 voller Enthusiasmus betrat. Dabei war das Ensemble damals allenfalls für den Abriss gut, zumindest in den Augen vieler Zeitgenossen.

Hintergrund

Infos: 

Anreise: Ideal ist der Besuch per Bahn, vom Bahnhof Eppingen sind es rund 900 Meter bis zur Mühle, oder per Rad, der Elsenztalweg von Eppingen in Richtung Rohrbach, Mühlbach und Sulzfeld führt direkt vorbei. Wer mit dem Auto

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Infos: 

Anreise: Ideal ist der Besuch per Bahn, vom Bahnhof Eppingen sind es rund 900 Meter bis zur Mühle, oder per Rad, der Elsenztalweg von Eppingen in Richtung Rohrbach, Mühlbach und Sulzfeld führt direkt vorbei. Wer mit dem Auto anreist, sollte im nahen Gewerbegebiet entlang der Straße parken, an der Mühle selbst (Sulzfelder Weg 40, 75031 Eppingen) gibt es kaum Parkmöglichkeiten.

Raußmühle: Sie öffnet zum Deutschen Mühlentag 2024 ihre Pforte für Einzelbesucher. Am Pfingstmontag, 20. Mai, sind Gäste von 13 bis 18 Uhr willkommen, wie auch am Tag des offenen Denkmals am 8. September. Eine Anmeldung ist nicht notwendig, festes Schuhwerk indes schon.

Weitere Infos: www.raussmuehle.de

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Doch Dähling sah mehr. Der Geisteswissenschaftler erkannte den Wert der Mühle im Westen von Eppingen. "Als ich ankam, war das Dach schon eingestürzt, das Mühlrad war nur noch in Fragmenten erhalten", erzählt er und führt ins Innere. Dort ist noch das komplette Planetarium vorhanden, "also das Winkelzahnradgetriebe mit den hölzernen Kämmen oder den Transmissionswellen und -riemen", führt er stolz aus.

Der letzte "echte" Müller hat hier noch einmal Hand angelegt und viele der hölzernen, einzeln eingesetzten Zähne erneuert. "Die alten wurden wohl einfach aus dem Fenster in den Mühlengraben geworfen", mutmaßt Dähling, der bei der Sanierung des Grabens etliche fand.

Das verwundert nur auf den ersten Blick, auch wenn man meinen möchte, das Holz sei als Brennstoff nützlicher gewesen. Indes hatten die abgenutzten Zähne eine Bedeutung weit über das Materielle hinaus. Hier sollte ein Teil der Mühlenseele nicht ins Feuer wandern, sondern bei der Mühle verbleiben. Ein gutes Sinnbild für die Gedankenwelt, in der die Menschen auch in unserer Region noch vor nicht zu langer Zeit beheimatet waren.

"Ich bin viel zu aufgeklärt, um nicht abergläubisch zu sein", zitiert Dähling den Philosophen Voltaire – um dann direkt auf allerlei Skurrilitäten zu sprechen zu kommen, die er im Laufe der Jahrzehnte in seiner Raußmühle zusammengetragen hat. Und so erzählt er von Tränenkrüglein, Wolfs- und Bärenzähnen oder dem Arme-Sünder-Fett, mit dem Henker im Anschluss an eine Hinrichtung noch ein kleines Nebengeschäft betrieben.

"Die Menschen damaliger Zeiten lebten in einer Welt voller Dämonen und Geister. Man hatte sich also zu schützen, hatte vor allem das ganz besonders gefährdete Zuhause zu sichern. Und das geschah nicht unbedingt nur mit einer unter der Schwelle oder beim Herd zur Abwehr von Hexen und Dämonen eingemauerten Katze."

Müller Frank Dähling. Foto: Bernd Mueller

Für eine Mühle stellte sich die Situation gleich noch dramatischer dar, war diese doch in mehrfacher Hinsicht gefährdet. Mühlen waren bedroht durch Feinde. Sie hatten zumeist außerhalb der Städte und Dörfer ihren Platz – wegen der Feuergefahr. Mit Mehlstaubexplosionen war noch nie zu spaßen. Auch das Wasser barg Risiken, wenn es mal nicht munter und gebändigt durch den Mühlengraben strömte, sondern über die Ufer trat. "Abgenutzte Mühlsteine wurden deshalb auch nicht vermauert oder weggeworfen, sondern als Schutz neben die Tür gestellt – oder in engen Kehren des Mühlengrabens verwendet."

Jener an der Raußmühle ist leider seit vielen Jahrzehnten trocken gefallen, das Wasserrecht wurde schon 1958 entzogen, der Bach verläuft etliche Meter entfernt an einem Rückhaltebecken vorbei. "Den alten Verlauf kann man aber noch gut im Gelände erkennen", erklärt Dähling. Seine Miene hellt sich am sanierten Teil des Mühlengrabens auf.

Hier wurde das Wasser in Stein gefasst, um das oberschlächtige Mühlrad anzutreiben. Direkt an der Außenwand der Mühle findet sich noch die Welle mit dem metallenen Kerngerüst des Rads, das mit einem Durchmesser von 270 Zentimetern ein klassischer Vertreter dieser über Jahrhunderte nicht veränderten Konstruktion war.

Stark verändert hat sich hingegen die Mühle selbst. Denn die war noch Mitte der 1970er-Jahre eine unrettbare Ruine, der der Abriss drohte. "Da kamen völlig unerwartet ein paar junge Leute, pachteten den zum Schrottplatz umgenutzten Hof, fühlten sich hier wohl, und kauften das Anwesen kurz darauf", blickt der Raußmüller zurück auf die Zeit, in der dann auch die Restaurierung begann.

Die Raußmühle wurde zum Kulturdenkmal erklärt, Mitte der 90er-Jahre kamen Studenten aus ganz Europa, um in zwei akademischen Workcamps die mehr als 30 Meter lange Scheune samt Mauern und Dach wieder aufzubauen. Ein neuer Dachstuhl über dem riesigen Gebäude entstand, handgestrichene Biberschwanzziegel aus abgerissenen Häusern fanden Verwendung.

Der Kleiekotzer bleibt gelassen. Foto: Müller

Parallel begann sich in der Mühle das "Archiv für die Geschichte des ländlichen Lebens" zu etablieren, eine Sammlung bäuerlicher Gerätschaften, Werkzeuge und Artefakte unserer Vorfahren von der Steinzeit bis heute. "Gefunden wurde das alles nicht nur in Eppingen oder im Kraichgau, sondern auch in Museen in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen", erzählt Dähling. So vereinen sich hier Möbel und Schlüssel, Schlösser und Maltersäcke, Mausefallen, Bienenstöcke, Fenster, Türen oder Ziegel zu einem Universum des Alltäglichen der Vergangenheit.

Obskure, mitunter verstörende Originale gehören auch dazu: Dachziegel mit blasenden Winddämonen, "Kleiekotzer", die die vom Mehl abgetrennte Kleie in den hierfür vorgesehenen Kasten spucken, Bockfüße im Ährenkranz, ein Schutzbrief gegen Feuer aus dem 18. Jahrhundert – gefunden in einem Türsturz – oder eine mit einem Pentagramm versehene Bierflasche aus Norddeutschland sind sprechende Beispiele vergangener Zeiten.

Die Hauptaufgabe sehe man aber in der Erhaltung der Mühleneinrichtung im Sinne eines Gesamtkunstwerks, erklärt Dähling. Die DGM, die "Deutsche Gesellschaft für Mühlenkunde und Mühlenerhaltung" stellt jedoch auch klar, dass Mühlen, die langfristig erhalten werden sollen, zumindest ab und an – und wenn auch nur zu Schauzwecken – laufen müssen. "Deshalb haben wir uns nach der langen und mühseligen Mühlkanalsanierung dazu entschlossen, jetzt auch das oberschlächtige Mühlrad zu bauen, um der Raußmühle das wichtigste Exponat zurückzugeben."

Frank Dähling ist stolz. Bei nasskaltem Aprilwetter begannen die Arbeiten: Der Förderverein Raußmühle, zahlreiche Aktive und Stefan Feger, Zimmermann aus Weimar – er leitete auch schon die Restaurierung der Museumsscheune – werden das Mühlrad originalgetreu und sehr traditionell bauen. Dicke Bohlen aus Lärche, ein gutes Augenmaß und eine ganze Menge Schweiß wird es brauchen, um dieses Unikat wieder entstehen zu lassen. "Und vielleicht", so hofft Dähling, "kommt ja auch das Wasser, wenn erst das Rad wieder da ist". Da, wo es sich schon vor fast 700 Jahren drehte.