Wiesloch

Musiker sehen sich "wirtschaftlich am Rande des Abgrunds"

Für Musiker und Künstler aus der Region ist die Corona-Pandemie eine Katastrophe - Kaum Auftrittsmöglichkeiten

06.08.2020 UPDATE: 07.08.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 8 Sekunden
Leiden unter der Coronakrise und den einhergehenden Einschränkungen: die Band „The Scones“. Foto: Hans-Joachim Of

Von Hans-Joachim Of

Rund um Wiesloch. "Stand März waren für dieses Jahr rund 150 Auftritte fest eingeplant. Bis zum heutigen Tag sind 112 ersatzlos gestrichen", erzählt Olli Roth aus Leimen. Der Singer und Songwriter ist seit 40 Jahren auf den Konzertbühnen der Region und weit darüber hinaus zuhause, doch eine solche Situation habe er "noch nie erlebt".

Der ganze Berufsstand sei durch die Coronakrise betroffen, Existenzen seien massiv bedroht. "Ich weiß, dass es vielen Kollegen, die davon leben, ähnlich geht. Alle stehen am Rande des Abgrundes", so der 57-Jährige, der sich durch Studiojobs über Wasser hält und befürchtet, dass sich die Lage in den nächsten Wochen und Monaten kaum ändert. Rücklagen seien aufgebraucht, die festen Kosten sind da. Die Corona-Soforthilfe sei lediglich ein Tropfen auf dem heißen Stein gewesen. "Es wäre wünschenswert, wenn die Politik klare Aussagen machen und eine gemeinsame Linie fahren würde. So kocht jedes Bundesland sein eigenes Süppchen."

Leidet unter der Coronakrise und den einhergehenden Einschränkungen: Sänger und Songschreiber Olli Roth. Foto: Hans-Joachim Of

Das Virus verändert das Leben für jeden. Seitdem sind die Verhältnisse ziemlich unklar, alles steht unter Vorbehalt. "In der Psychologie nennt man die Phase, in der wir gerade sind, Latenzphase", sagt der Münchener Psychologie-Professor Simon Hahnzog. "Einige haben die Krise bisher ganz gut gemeistert, andere weniger." Unplanbarkeit und Unsicherheit seien die Koordinaten, an denen sich nach wie vor fast alles ausrichte.

Gerade Kunstschaffende aus den Bereichen Musik, Schauspiel oder Kabarett haben derzeit kaum oder keine Auftrittsmöglichkeiten. So auch die weithin bekannte Formation "The Scones" aus Wiesloch und Walldorf. "Wir hatten seit Beginn der Corona-Pandemie Anfang März keine Auftritte. Die bereits gebuchten wurden abgesagt", teilt Dr. Helmut Dörr mit. Besonders traurig sei, so der Gitarrist und Sänger, der zusammen mit Jürgen Köhler die "Little Kurpfalz Coverband" bildet, dass auch etliche anberaumte Benefizkonzerte der Absage-Flut zum Opfer fielen. "Das hat nicht nur uns, sondern auch die Veranstalter sehr getroffen."

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Das Duo hat die Coronazeit dazu genutzt, um neue Lieder zu schreiben. So wird ihr kommendes Album auch das Leben während der Coronakrise thematisieren. Daneben wurden lustige Videos im Homestudio gedreht. "Streaming-Konzerte wollen wir nicht angehen, denn wir brauchen den unmittelbaren Kontakt zum Publikum", heißt es weiter. Zudem wolle man denen, die ein bisschen virtuelles Eintrittsgeld zum Überleben brauchen, nicht außerdem noch Konkurrenz machen. "Und vor Autos zu spielen, macht keinen Spaß", meint Dörr mit Blick auf an Autokinos angelehnte Formate.

"Die gucken ja nur geradeaus – die Autos." Erfreulicherweise steht jetzt doch ein Open-Air-Auftritt an. Am Samstag, 19. September, wird die Formation zusammen mit Sänger Charly Weibel aus Reilingen bei "Mundart im Park" im Wieslocher Gerbersruhpark auftreten. "Vielleicht kommt in diesem Sommer noch eines in der Walldorfer Innenstadt hinzu", wird abschließend berichtet. Auch Michael "Gonzo" Nowak, den man beispielsweise durch die Gruppen "Gonzo’s Jam", "Ausgestöpselt" oder die "Robert-Ahl-Band" kennt, hofft, dass es bald wieder anläuft.

Leidet unter der Coronakrise und den einhergehenden Einschränkungen: Sänger und Songschreiber "Gonzo" Nowak. Foto: Hans-Joachim Of

"Es war ein gewaltiger Schock, als uns innerhalb weniger Tage alle Auftritte und somit die Existenzgrundlage entzogen wurde", so der Vollblutmusiker aus Sinsheim-Steinsfurt. Einige Kollegen habe es weniger, aber andere härter getroffen. Enttäuscht zeigt sich Michael Nowak, der auch für etliche Musikerkollegen spricht, von einigen Städten und Gemeinden, was öffentliche Veranstaltungen angeht. "Sicher gäbe es Auftrittsmöglichkeiten, die man gemeinsam erörtern könnte. Doch keiner will Verantwortung übernehmen", stellt er fest. "Das wird sicher noch eine ganze Weile so bleiben."

Alex Kraft, Frontmann der Italo-Western-Rockband "Dezperadoz" aus der Rhein-Neckar-Region, merkt an, dass er in dieser Zeit viel Ruhe, Ideen für das Songwriting sowie Inspiration für das anstehende nächste Album mit dem Titel "Moonshine" fand, doch für reine Coverbands sei die Situation sehr bitter. "Abgesehen vom Finanziellen fehlt uns allen die Bühne und das Publikum natürlich sehr." Die CD-Release-Party soll, wie schon etliche Male zuvor, im nächsten Jahr wieder im Walldorfer Café Art stattfinden. Unabhängig davon sei in dieser Location bereits im Herbst 2020 eine Show in Planung.

Leidet unter der Coronakrise und den einhergehenden Einschränkungen: Stefanie Nerpel. Foto: Hans-Joachim Of

Stefanie "Stayfunny" Nerpel aus Waibstadt, bekannt durch die TV-Show "The Voice Of Germany", macht Corona fast wahnsinnig, wie sie auf Anfrage der RNZ mitteilt. "Mein letzter offizieller Gig mit Band war am 7. März in der Halle 02 in Heidelberg. Dann erst wieder im Mai in Michelstadt mit kleiner Besetzung." Bis Ende des Jahres wurden 54 Auftritte abgesagt – und das im 30. Bühnenjahr. "Mein Leben hat sich komplett verändert, denn alles, was ich mir jahrelang aufgebaut habe, ist futsch. Die Leidenschaft leidet", klagt sie. "Ob ich jemals wieder davon leben kann, steht in den Sternen, denn abgesehen vom finanziellen Desaster ist es auch ein psychisches Martyrium, weil ich mich als Musikerin unwichtig, nutzlos und vergessen fühle", so Nerpel, die sich von der Politik sinnvolle Entscheidungen gewünscht hätte.

"Wir hängen in der Luft. Ohne Geld, Aussicht auf Besserung, oder Publikum", bilanziert Nerpel. Währenddessen stellt die Bundesagentur für Arbeit fest, dass die Erholung der Kultur noch Jahre dauern könne. Das Sterben von kleineren Locations oder Kultureinrichtungen – die Halle 02 in Heidelberg ist bereits dicht – seien eindeutige Indizien, zumal sich das Verhalten der Menschen in der nach wie vor anhaltenden Coronakrise ständig ändere.

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