Messerattacke in Wiesloch

Landtags-Ausschuss soll Flucht von PZN-Patient klären (plus Video)

Der Sozialausschuss des Landtags von Baden-Württemberg trifft sich zur Sondersitzung. Unter Verdacht steht ein psychisch kranker Mann, der zuvor aus einer Klinik geflohen war.

08.09.2023 UPDATE: 14.09.2023 17:34 Uhr 12 Minuten, 24 Sekunden
Vor dem Kubus am Adenauerplatz, in dem ein 33-jähriger PZN-Patient eine 30-Jährige beim Einkaufen mit einem Messer tödlich verletzte, haben am Samstag und Sonntag zahlreiche Wieslocher Blumen abgelegt und Kerzen aufgestellt. Foto: Teufert

Wiesloch/Stuttgart. (dpa) Mit dem Messerangriff befasst sich jetzt auch der Landtag. Der Sozialausschuss soll aufklären wie es zu der Tat am vergangenen Freitag gekommen ist. Dem Antrag der Fraktionen von SPD und FDP für die Sitzung am morgigen Freitag zufolge, soll geklärt werden, wie der tatverdächtige, psychisch kranke Mann aus dem Psychiatrischen Zentrum Nordbaden (PZN) entweichen konnte.

Zudem wollen die Oppositionspolitiker wissen, was für aktuelle und mittelfristige Maßnahmen die Landesregierung plant. Sie fordern darüber hinaus eine bessere Ausstattung des Maßregelvollzugs im Land.

Der 33-jährige tatverdächtige PZN-Insasse ist inzwischen wie geplant in die Psychiatrie nach Weinsberg verlegt worden. Er sei in dem Klinikum am Weissenhof im Landkreis Heilbronn eingetroffen, sagte am Mittwoch der Ärztliche Direktor der Einrichtung, Matthias Michel.

Update: Donnerstag, 14. September 2023, 17.33 Uhr


PZN-Patient soll nach Weinsberg

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Wiesloch. (dpa/) Die tödliche Messerattacke auf eine 30 Jahre alte Frau in Wiesloch, für die ein zuvor aus der Psychiatrie geflohener Mann verantwortlich sein soll, hat ein parlamentarisches Nachspiel. An diesem Freitag werde es eine Sondersitzung des Sozialausschusses geben, teilten die SPD- und die FDP-Landtagsfraktion am Montag mit. Anschließend sei eine Aussprache anberaumt.

Sozialminister Manne Lucha (Grüne) erklärte nach Worten einer Sprecherin, dem Sozialausschuss selbstverständlich "Rede und Antwort zu stehen und umfänglich über den Fall und das, was bis dahin bekannt ist, zu berichten". Der Tat dringend verdächtig ist ein 33 Jahre alter Mann, der zuvor aus dem Psychiatrischen Zentrum Nordbaden geflohen war.

Bisherigen Erkenntnissen zufolge hatte der Mann auf seiner Flucht durch die Wieslocher Innenstadt am vergangenen Freitag ein Kaufhaus betreten und dort ein Messer entwendet. Damit soll er unmittelbar darauf in dem Laden auf die 30-Jährige eingestochen haben. Das teilte die Staatsanwaltschaft Heidelberg mit. Die Frau starb im Krankenhaus.

Gegen den 33-Jährigen wurde Unterbringungsbefehl wegen Mordes erlassen. "Dieser Tod ist schrecklich und darf nicht ohne Folgen bleiben", sagte der SPD-Gesundheitsexperte Florian Wahl. "Minister Lucha muss nun alles daransetzen, dass es im Maßregelvollzug keine weiteren Ausbrüche mehr gibt", ergänzte der gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Jochen Haußmann.

Der mutmaßliche Täter und das Opfer kannten sich nicht. Warum genau der Mann zustach, ist unklar. "Wir vermuten, dass wir das auch nicht herausfinden werden", sagte ein Sprecher der Anklagebehörde am Montag. "Der Mann ist psychisch krank." Laut Mitteilung ist er dringend verdächtig, "aufgrund einer wahnhaften Störung im Zustand der Schuldunfähigkeit heimtückisch einen Menschen getötet zu haben". Zur Tat geäußert habe er sich bisher nicht.

Er soll nun in die Psychiatrie nach Weinsberg verlegt werden, sagte eine Sprecherin des PZN. Wann genau dies geschehen soll, sei noch unklar. Die Einrichtung in Weinsberg gehört ebenso wie das PZN zu den sieben Zentren für Psychiatrie in Baden-Württemberg.

Laut Anklagebehörde fiel der Mann bereits durch mehrere Straftaten auf. Seit 2020 war er in der Psychiatrie untergebracht, zunächst vorläufig und seit 2021 im Rahmen eines sogenannten Sicherungsverfahrens angeordnet vom Landgericht Heidelberg. Gegenstand dieses Verfahrens seien sieben seit Juli 2020 begangene Straftaten gewesen: Eine sexuelle Belästigung, eine vorsätzliche Körperverletzung, zwei Fälle der Beleidigung sowie drei Fälle des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, teilte die Staatsanwaltschaft Heidelberg weiter mit.

Wie es aus dem Sozialministerium hieß, hatte es in den zurückliegenden Jahren keine sogenannte Entweichung aus dem Sicherheitsbereich des PZN in Wiesloch gegeben. Im Vorjahr seien es in allen sieben Zentren für Psychiatrie insgesamt 56 Entweichungen gewesen. In den sechs Jahren davor kam es den Angaben zufolge zu durchschnittlich 52 solcher Vorkommnisse pro Jahr.

Es habe aber in den letzten 20 Jahren keinen einzigen Fall gegeben, bei dem es im Zusammenhang mit einer Flucht aus dem Maßregelvollzug zu einem Tötungsdelikt gekommen sei. "Dies ist ein extremer und sehr tragischer Vorfall, bei dem die weiteren Ermittlungen zeigen werden, wo noch Ansatzpunkte zur Vermeidung einer solchen Tat liegen könnten." Maßregelvollzug ist für Straftäter gedacht, die psychisch krank oder süchtig sind.

SPD-Gesundheitsexperte Wahl hatte am Sonntag von einer fatalen baulichen Situation und einem massiven Personal- und Platzmangel im PZN gesprochen. Eine Sprecherin der Einrichtung berichtete zwar von einem Anstieg der Belegung um 20 Prozent seit dem Jahr 2018. Die personelle Ausstattung sei aber entsprechend angepasst worden.

Erst im Juni habe es einen Ortstermin für eine sicherungstechnische Beratung durch einen Sachverständigen des Landeskriminalamtes gegeben. Dabei seien die vorhandenen Sicherheitsstandards als insgesamt gut bewertet worden. Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Sicherheit seien zu Teil schon umgesetzt.

Update: Montag, 11. September 2023, 15.21 Uhr


Im PZN sind "alle maximal erschüttert" vom Messerangriff

Von Timo Teufert

Wiesloch. An eine solch schreckliche Tat, wie sie ein Patient des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden (PZN) am Freitag in der Wieslocher Innenstadt verübt hat, kann sich Christian Oberbauer, Medizindirektor der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, nicht erinnern. Der Mann war bei einem Gang zur Arbeitstherapie geflohen und hatte in einem Bekleidungsgeschäft am Adenauerplatz eine 30-Jährige so schwer mit einem Messer verletzt, dass sie kurz darauf in einem Krankenhaus verstorben ist.

Ein Richter hat am Samstag Haftbefehl gegen den tatverdächtigen 33-Jährigen erlassen. Nachdem er von Freitag auf Samstag in einer Polizeizelle war, ist er nun zurück im PZN: "Am Samstag wurde ein neuer Unterbringungsbefehl eröffnet und am Samstagmittag kam er zurück zu uns", berichtete Oberbauer am Sonntag bei einem Pressegespräch. Er befinde sich auf der Aufnahmestation und sei in einem besonders gesicherten Krisenraum untergebracht und werde dort engmaschig betreut. "Wir streben an, den Patienten relativ zügig in unsere Schwesterklinik, die Maßregelvollzugsklinik in Weinsberg, zu verlegen", so Oberbauer.

Der Patient war wegen sieben Einzelstraftaten aus unterschiedlichen Bereichen durch Beschluss des Landgerichts Heidelberg seit 2021 untergebracht und hatte sich seither Lockerungen erarbeitet. So durfte er begleitet in die Stadt und zur Arbeitstherapie. "Von der einzelnen Straftat her – auch nach gerichtlicher Bewertung – waren es keine sehr schweren Straftaten, keine gravierenden Straftaten", so Oberbauer.

Die Summe der Straftaten hätten nach seiner Einschätzung aber dazu geführt, dass das Gericht eine Unterbringung ausgesprochen habe. Darunter sei Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, mehrfache Beleidigungen, vorsätzliche Körperverletzung und eine sexuelle Nötigung gewesen.

Der Patient war mit fünf weiteren Patienten von der geschlossenen Rehabilitationsstation, in der er lebte, auf dem Weg zur Arbeitstherapie, als er am Freitag floh. Rund 200 Meter betrage diese Strecke, schätzt der Chefarzt. "Begleitet von zwei Mitarbeitern", wie Oberbauer berichtete. Dabei habe er sich von der Gruppe entfernt, sei weggelaufen.

Eine Mitarbeiterin sei dann mit den fünf anderen Patienten zurück auf die Station gegangen, ein Pflegedienst-Mitarbeiter sei dem Patienten hinterher – "zunächst gerannt, dann wurde gegangen". Danach habe sich das Geschehen in die Stadt verlagert, wo es "zu der schrecklichen Straftat" kam.

Der genaue Ablauf und der Weg, den der Mann zurücklegte, sei Gegenstand der polizeilichen Ermittlungen, deshalb könne er dazu nichts sagen, erklärte Oberbauer. Der Mitarbeiter habe aber weitgehend und kontinuierlich Kontakt zu dem Patienten gehabt, sagte der Chefarzt auf Nachfrage.

Es sei aber falsch, dass die Mitarbeiter die Patienten nicht festhalten dürften: "Unsere Mitarbeiter dürfen auch unmittelbaren Zwang anwenden." Auch Handfesseln seien möglich. Aber natürlich seien die Mitarbeiter gehalten, zunächst auf andere Weise auf jemanden einzuwirken – etwa durch Ansprache. Außerdem sollen sich die Mitarbeiter nicht selbst in eine gefährliche Situation begeben.

Für die Anzahl der Mitarbeiter, die eine Gruppe beispielsweise zur Arbeitstherapie begleiten, habe man vorgegebene Betreuungsschlüssel. "Das sind Therapieschlüssel, die seit vielen Jahren so etabliert sind." Zudem bekämen nur Patienten Lockerungen und Ausgangsmöglichkeiten in Begleitung, bei denen "wir uns sorgfältig und in mehreren Überprüfungsschritten dazu entschlossen haben, ihnen Lockerungen zu geben", so Oberbauer. Er sagte aber auch, dass die Personenschlüssel durch das PZN selbst definiert wurden.

Die Sicherheitsmaßnahmen würden nun auf den Prüfstand gestellt: "Jedes besondere Vorkommnis, jeder Übergriff, jede Entweichung und Flucht wird bei uns strukturiert und sorgfältig nachbesprochen", so Oberbauer. Vor allem unter dem Aspekt, ob es Optimierungsbedarf gebe oder etwas falsch gelaufen sei. "Natürlich ist es unsere Aufgabe, uns zunächst intern intensiv damit zu beschäftigen, wie das Ereignis zu erklären ist und ob daraus Veränderungen oder Verbesserungsbedarf abzuleiten ist."

Parallel gebe es die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, deren Ergebnis für das PZN sehr wichtig sei. "Abgeschlossen ist unsere interne Meinungsbildung noch nicht." Dazu sei alles zu frisch. "So wie es sich vorläufig darstellt, haben die Mitarbeiter so gehandelt, wie es vorgesehen ist", erklärte der Chefarzt.

Aus medizinischer Sicht habe er bislang keine Hypothese, was bei dem Mann schief gelaufen sein könnte: "Jeder von uns macht sich Gedanken, wie er das verstehen kann. Es ist für uns zum jetzigen Zeitpunkt unverständlich, auch aus Kenntnis des Herrn." Die Mitarbeiter seien in unterschiedlicher Form belastet: Die direkt Betroffenen seien sehr mitgenommen, einer sei freigestellt.

"Es sind aber alle PZN-Mitarbeiter betroffen", unterstrich Oberbauer tief bewegt. Wenn man auf Station gehe, sehe man weinende Mitarbeiter und Oberärzte. "Wir sind alle maximal erschüttert." Das unterstrich auch Vincent Karfus, stellvertretender Geschäftsführer des PZN: "Wir sind tief schockiert, in tiefer Trauer und ein Stück weit paralysiert."

"Für mich, für uns alle, für die Mitarbeiter des gesamten PZN möchte ich zum Ausdruck bringen, dass wir alle schockiert, fassungslos und entsetzt sind über die Tat des uns anvertrauten Patienten." Es sei schwer, die richtigen Worte zu finden. "Unsere Gedanken, unser Mitgefühl, unsere Anteilnahme und unsere Trauer gelten der jungen Frau, die ums Leben gekommen ist, ihren Angehörigen, ihren Freunden, allen, die mit ihr vertraut waren", erklärte der Chefarzt.

Er geht davon aus, dass der tödliche Messerangriff "uns alle noch lange beschäftigen" wird. Gerade in Hinblick auf die Koexistenz mit der Stadt Wiesloch sei der Vorfall katastrophal. "Es ist schrecklich und furchtbar. Wir waren bislang der Überzeugung, dass wir einen guten Stand in der Stadt haben, gute Kontakte zu den Verantwortlichen pflegen und die Bewohner der Stadt durch unsere Patienten nicht einer besonderen Gefährdung aussetzen." Er könne mit gutem Gewissen sagen, dass forensische Patienten bisher nicht verantwortlich für gravierende Vorfälle in der Stadt Wiesloch waren. "Bis zu diesem Maximalereignis."

Für das Auslösen des Bürgertickers, mit dem das PZN per SMS über Vorfälle informiert, sei die Zeit zu kurz gewesen – der Mann hatte sich laut Oberbauer kurz vor 13 Uhr aus der Patientengruppe entfernt, die Tat in der Wieslocher Innenstadt wurde nach Polizeiangaben kurz nach 13 Uhr verübt. Wie der Patient an die Tatwaffe kam, ist weiterhin offen: "Wir haben keine Kenntnis davon, dass sich der Herr bei uns ein Messer beschafft hätte oder auf dem Weg zur Arbeitstherapie schon besessen hätte", so Oberbauer.

Update: Sonntag, 10. September 2023, 19.52 Uhr


Tödlicher Messerangriff wird Politikum

Wiesloch. (dpa) Die tödliche Messerattacke auf eine Frau in Wiesloch, mutmaßlich von einem kriminellen Psychiatrie-Patienten begangen, muss aus Sicht der Opposition im Landtag aufgearbeitet werden. Ein Richter erließ derweil einen Unterbringungsbefehl gegen den Tatverdächtigen. Der 33-Jährige kam also statt in ein Gefängnis zur Untersuchungshaft wieder ins PZN in Wiesloch.

Nach Auskunft von Christian Oberbauer, Medizindirektor des Maßregelvollzugs am PZN, soll er möglichst bald in eine andere Einrichtung verlegt werden. Die Mitarbeiter vor Ort seien zu betroffen von dem Geschehen.

Sozialminister Manne Lucha (Grüne) müsse dem Sozialausschuss Rede und Antwort stehen, wie es zur Flucht des Mannes mit den tragischen Folgen kommen konnte, sagte SPD-Gesundheitsexperte Florian Wahl am Sonntag. Ähnlich äußerte sich die sozialpolitische Sprecherin der AfD-Fraktion, Carola Wolle. Sie argumentierte mit öffentlichem Interesse, "da die Aufgabe des Maßregelvollzugs darin besteht, die Öffentlichkeit vor psychisch kranken Menschen zu schützen".

Der Beschuldigte war am Freitag aus dem PZN geflohen. Pflegekräfte hätten ihn und andere Patienten auf dem Weg in die Arbeitstherapie begleitet, als er spontan das Gelände verließ. Die Ermittler werfen dem Mann vor, anschließend in einem Geschäft in der Innenstadt eine 30-Jährige derart verletzt zu haben, dass sie im Krankenhaus starb.

Der Mann war den Angaben nach infolge eines Gerichtsurteils seit 2021 wegen mehrerer Delikte wie vorsätzliche Körperverletzung und Nötigung auf einer geschlossenen Rehabilitationsstation im PZN untergebracht. Das nennt man Maßregelvollzug. Dieser ist für Straftäter vorgesehen, die zum Beispiel psychisch krank oder süchtig sind. Das PZN teilte über den 33-Jährigen mit: "Wegen seiner seelischen Störung wurde gerichtlich die Schuldunfähigkeit des Mannes festgestellt."

Er hatte die fünfte von neun Lockerungsstufen erreicht, sagte Oberbauer der Deutschen Presse-Agentur. Damit durfte er die Station in Begleitung verlassen. Entweichungen wie jene am Freitag gebe es im Schnitt fünfmal pro Jahr. "Aber so ein Ereignis haben wir noch nie gehabt", sagte der Chefarzt. "Das Ende ist katastrophal gewesen." Alle in der Klinik zerbrechen sich seinen Angaben nach seither den Kopf. "Jeder ist erschüttert und fassungslos", sagte Oberbauer. Er habe weinende Oberärzte auf den Stationen gesehen. "Es ist ein Ereignis, das wir in keinster Weise vorhergesehen haben."

Jede Entweichung werde nachgearbeitet, man habe einen Krisenstab eingerichtet. Als Sofortmaßnahme seien die Ausgänge auf den Stationen eingeschränkt worden. Das solle aber nicht auf Dauer so bleiben, sagte Oberbauer. Seinen Angaben zufolge wird wegen des Vorfalls nicht gegen das PZN oder einzelne Mitarbeiter ermittelt.

SPD-Politiker Wahl sagte in Bezug auf Minister Lucha: "Er muss vor den Abgeordneten und der Öffentlichkeit erklären, was passiert ist, wie was möglich war und welche Maßnahmen er ergriffen hat, um weitere Taten zu vermeiden." Eine geforderte Sondersitzung könnte schon am Freitag stattfinden, teilte die SPD-Fraktion mit.

"Erst vor wenigen Wochen habe ich die Einrichtung in Wiesloch selbst besucht", sagte Wahl demnach. "Und ich habe die fatale bauliche Situation erlebt sowie den massiven Personal- und Platzmangel - gerade auch im Maßregelvollzug." Minister Lucha wisse von diesen Zuständen seit Jahren und habe es nicht vermocht, die Situation zu entlasten. "Er ist nun in der Verantwortung lückenlos darlegen zu können, dass die chronische Unterfinanzierung der Psychiatrie, die seit Jahren nicht ausreichenden Plätze für den Maßregelvollzug nicht ursächlich waren für den schrecklichen Vorfall in Wiesloch."

Auch AfD-Politikerin Wolle hinterfragte, welche Rolle Personal- und Platzmangel in der Einrichtung beim Tathergang spielten. Weiter monierte sie: "Dass der Täter erneut in einer psychiatrischen Klinik untergebracht wird und nicht in Untersuchungshaft sitzt, zeugt davon, dass auch die Justiz blind zu sein scheint für die unzureichende gesundheitliche Infrastruktur in Baden-Württemberg."

Die gerichtlichen Zuweisungen in den Maßregelvollzug haben laut dem Ministerium in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen. "Wir arbeiten entsprechend daran, die Kapazitäten auszuweiten und Plätze zu schaffen - und zwar schon seit langem", teilte ein Sprecher mit. Die Behandlungsplätze im Maßregelvollzug seien von Anfang 2017 bis Ende Juni 2023 um mehr als 42 Prozent auf 1468 erhöht worden.

Allein seit Mai 2021 seien die Kapazitäten an bestehenden Standorten etwa durch Verdichtung, Umnutzung, Sanierung und Modernisierung um 203 Plätze gesteigert worden, was der Größenordnung einer zusätzlichen Maßregelvollzugs-Klinik entspreche, hieß es. Zudem würden mit Neubauten in Wiesloch 54 Plätze sowie am Standort Calw 50 Plätze zusätzlich geschaffen, jeweils mit geplanter Inbetriebnahme 2024. Das ehemalige Gefängnis Fauler Pelz in Heidelberg wird seit August ebenfalls als Einrichtung für den Maßregelvollzug genutzt.

Der Justizexperte der SPD-Fraktion, Boris Weirauch, forderte von der Landesregierung auch eine Antwort darauf, warum die Bevölkerung nicht gewarnt worden sei. "Eine Warnung hätte die Menschen in Wiesloch sensibilisiert, stattdessen war man arglos der Gefahr ausgeliefert."

Er kritisierte die Landesregierung zudem mit Verweis auf eine Vielzahl geflüchteter Menschen aus psychiatrischen Einrichtungen in den vergangenen Jahren. "Es war leider zu befürchten, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis etwas Schlimmes passieren würde."

Woher der Mann das Messer hatte, werde noch ermittelt, sagte ein Polizeisprecher am Samstag. Geklärt werden solle nach Möglichkeit auch, inwiefern sich der 33-Jährige und die Frau kannten. Ob sich der Tatverdächtige zu dem Geschehen geäußert hat, sagte der Sprecher nicht. Details dazu dürften erst in der neuen Woche bekanntwerden.

Update: Sonntag, 10. September 2023, 17.13 Uhr


Haftbefehl gegen PZN-Patient nach tödlichem Messerangriff erlassen

Wiesloch. (dpa) Nach einem tödlichen Messerangriff auf eine Frau hat ein Richter am Samstag Haftbefehl gegen den tatverdächtigen Psychiatrie-Patienten erlassen. Wie genau der Vorwurf lautet, sagte ein Polizeisprecher am Nachmittag nicht. Er äußerte sich auch nicht dazu, ob der 33-Jährige in ein Gefängnis oder eine Psychiatrie kommt. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Mann am Freitag aus dem Psychiatrischen Zentrum Nordbaden in Wiesloch geflohen war und in einem Geschäft in der Innenstadt eine 30-Jährige derart verletzte, dass sie im Krankenhaus starb.

Der Tatverdächtige war nach Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft aufgrund eines Urteils des Landgerichts Heidelberg seit 2021 im PZN untergebracht. Die Einrichtung erklärte, zu seinen Delikten zählten vorsätzliche Körperverletzung, Nötigung und Beleidigung. "Wegen seiner seelischen Störung wurde gerichtlich die Schuldunfähigkeit des Mannes festgestellt." Der Patient sei auf einer geschlossenen Rehabilitationsstation untergebracht gewesen.

Da er bei der Therapie Fortschritte gemacht habe, sei ihm begleiteter Ausgang auf dem PZN-Gelände und in der Stadt Wiesloch ermöglicht worden, hieß es weiter. Am Freitag sei der Mann in einer Gruppe von sechs Patienten und begleitet von Pflegefachkräften auf dem Weg in die Arbeitstherapie auf dem PZN-Gelände gewesen, als er plötzlich floh. "Eine der Pflegekräfte nahm unmittelbar die Verfolgung auf. Zeitgleich wurde die örtliche Polizei informiert."

Woher der Mann das Messer hatte, sei Teil der Ermittlungen, hatte ein Polizeisprecher am Samstagmorgen gesagt. Geklärt werden solle nach Möglichkeit auch, inwiefern sich der 33-Jährige und die Frau kannten. Ob sich der Tatverdächtige zu dem Geschehen geäußert hat, sagte der Sprecher nicht. Nähere Erkenntnisse dürften frühestens in der neuen Woche bekannt werden.

Straftäter, die zum Beispiel psychisch krank oder süchtig sind, kommen in der Regel nach einer Verurteilung nicht in ein Gefängnis, sondern werden im sogenannten Maßregelvollzug untergebracht.

Update: Samstag, 9. September 2023, 10.44 Uhr


33-jähriger PZN-Patient flieht und ersticht Frau

Wiesloch. (seb/RNZ/rl) In der Wieslocher Hauptstraße, im Kubus am Adenauer, wurde kurz nach 13 Uhr eine 30-jährige Frau durch einen Messerangriff schwer verletzt und erlag später ihren zugefügten Stichverwundungen. Wie ein Sprecher der Polizei weiter mitteilte, konnte der 33-jährige Tatverdächtige sofort danach festgenommen werden.

Der Tatverdächtige ist Patient des Psychiatrischen Zentrum Nordbaden, wo er nach einem Urteil des Heidelberger Landgerichts seit 2021 im Maßregelvollzug untergebracht war, teilte das PZN in einer Stellungnahme mit. Der 33-Jährige saß wegen mehrerer Delikte, darunter vorsätzliche Körperverletzung, Nötigung, Beleidigung ein. Wegen seiner seelischen Störung wurde gerichtlich die Schuldunfähigkeit des Mannes festgestellt, hieß es.

Der 33-Jährige sei auf einer geschlossenen Rehabilitationsstation untergebracht gewesen. Nach Therapiefortschritten hatte er im stufenweisen Lockerungskonzept eine Stufe erreicht, der ihm begleiteten Ausgang auf dem Gelände des PZN und in der Stadt Wiesloch ermöglichte. 

Am heutigen Freitagnachmittag war er in einer Gruppe von sechs Patienten unterwegs auf dem Weg in die Arbeitstherapie auf dem PZN-Gelände. Die Gruppe wurde von erfahrenen Pflegefachkräften begleitet. Allerdings entfernte er sich spontan und unerlaubt von der Gruppe. Einer der Pfleger nahm unmittelbar die Verfolgung auf, zeitgleich wurde die örtliche Polizei informiert.

Trotzdem kam der 33-Jährige bis in die Wieslocher Innenstadt. Hier griff er in einem Ladengeschäft die 30-jährige Frau mit einem Messer an und verletzte sie schwer. Als er das Geschäft danach verließ, traf er auf Polizeikräfte. Diese nahmen ihn nach Androhung des Schusswaffengebrauchs fest.

Die schwerverletzte Frau wurde umgehend in ein Krankenhaus gebracht, wo sie noch am Nachmittag ihren Verletzungen erlag. Mindestens drei Zeugen der Tat erlitten nach RNZ-Informationen einen Schock und wurden vom Roten Kreuz behandelt, eine Frau kam vorsorglich auch ins Krankenhaus.

Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte waren mit einem Großaufgebot in der Hauptstraße, auch ein Rettungshubschrauber war hinzugerufen worden. Der Einsatz zog eine größere Menschenmenge an, die das Geschehen beobachtete.

Einige wollten auch zur Bank, einkaufen oder zur Post, einige machten sich Sorgen um Verwandte, die sie im Kubus vermuteten. Derweil waren die Händler des Wochenmarkts noch im Abbau begriffen.

Oberbürgermeister Dirk Elkemann informierte sich vor Ort über den "schrecklichen Vorfall": "Wir stehen unter Schock", sagte er, "unsere Gedanken sind beim Opfer und den Angehörigen."

Ort des Geschehens

Update: Freitag, 8. September 2023, 18.45 Uhr