Hirschberg

GLH-Fraktionsvorsitzende kritisiert Defizit beim Klimaschutz

"Konzept kommt zehn Jahre zu spät": Monika Maul-Vogt im RNZ-Jahresinterview.

04.01.2023 UPDATE: 04.01.2023 06:00 Uhr 7 Minuten, 56 Sekunden

Das Hirschberger Rathaus. Foto: Reinhard Lask

Interview
Interview
Monika Maul-Vogt
Fraktionsvorsitzende der Grünen Liste Hirschberg

Von Annette Steininger

Hirschberg. Geht es nach der Grünen Liste Hirschberg (GLH), sollte die Gemeinde kein Neubaugebiet bekommen. Warum sie das so vehement ablehnt und welche Alternativen sie sieht, erläutert deren Fraktionsvorsitzende Monika Maul-Vogt im Jahresinterview. Auch darüber, wie sie Kritik der Freien Wähler sieht und was in Sachen Klimaschutz besser laufen könnte, hat sie mit der RNZ gesprochen.

Frau Maul-Vogt, war 2022 aus Sicht der GLH-Fraktion für Hirschberg besser oder schlechter als 2021?

Ich denke, für Hirschberg war 2022 ein besseres Jahr. Wichtige Projekte wurden auf den Weg gebracht oder schon umgesetzt: Sporthallen, Katastrophenschutz, Kanalsanierungen, sicherer Schulweg, Kulturparkett und "Wir in Hirschberg", Klimaschutzkonzept, Sanierung Alte Villa.

Die Grüne Liste war schon immer ein Gegner der Ortsumgehung. Waren Sie überrascht, dass nun bei den anderen Fraktionen auch größtenteils ein Umdenken stattgefunden hat?

Auch interessant
Hirschberg: Was Bürgermeister Gänshirt über 2022 sagt und was 2023 ansteht
Hirschberg: Bürgermeister ärgert sich "tierisch" über Bürgerinitiative

Dass ein Umdenken stattgefunden hat, war nach dem Verlauf der letzten 1,5 Jahre schon etwas überraschend, aber auch erfreulich. Wie sagt Heraklit? Alles ist im Fluss. Wir müssen uns einfach veränderten Gegebenheiten anpassen. Was vor 40 Jahren richtige Ansätze waren, ist heute nicht mehr unbedingt stimmig. Damals war nicht von zwei weiteren Durchgangsstraßen im Ort die Rede (bei einer Randentlastungsstraße müssten zwei Verbindungen zwischen Landstraße/B 3 und neuer Straße hergestellt werden, Anm. d. Red.). Der "Sterzwinkel", der durch eine solche Straße heftig betroffen wäre, war noch kein Wohngebiet. Die Einstellung zu Mobilität, Verkehr und Nachhaltigkeit war damals eine völlig andere.

Dann freuen Sie sich jetzt sehr über den Beschluss?

Dass sich jetzt tatsächlich eine Mehrheit des Gemeinderats gegen die Straße ausgesprochen hat, freut mich natürlich, aber es ist auch vernünftig. Es gibt viele gute Gründe dagegen. Das fängt an bei den Kosten, die unübersehbar geworden sind. Vor eineinhalb Jahren war als Gemeindeanteil von gut sechs Millionen nur für den Bau an sich die Rede. Jetzt dürften wir schon bei acht Millionen liegen. Dazu kommen die beiden Straßen, die gebaut werden müssten und der Grundstückserwerb. Auch um ein weitreichendes, teures Raumneuordnungsverfahren käme man nicht herum.

Schon finanziell kann sich die Gemeinde eine solche Straße gar nicht leisten. Dazu kommen natürlich unsere Gründe wie erhebliche Steigerung der Lärmbelastung im Ort und die großflächige Versiegelung, die solch ein Bau zur Folge hätte. Er würde eine tiefgreifende Veränderung für Großsachsen bedeuten. Wir bestreiten aber nicht, dass eine erhebliche Verkehrsbelastung am Knotenpunkt B 3/Breitgasse herrscht.

Aber eine Ortsumgehung hätte schon zu einer deutlichen Verkehrsentlastung beigetragen...

Es käme sicher zu einer punktuellen Entlastung in diesem Bereich, aber der Odenwaldverkehr durch die Breitgasse würde ja nicht umgelenkt. Und wir würden zwei Durchgangsstraßen schaffen, einmal die Lobdengaustraße, die viel mehr Verkehr erfahren würde. Und für mich ganz entscheidend der Riedweg: Der würde zur Durchfahrtsstraße für den Odenwaldverkehr, direkt am Seniorenzentrum, der Kinderkrippe und dem Ärztehaus vorbei. Hier laufen auch die Schulkinder. Großsachsen würde nicht verkehrssicherer werden, im Gegenteil.

Und wir würden unserer Naturräume zerschneiden, am Apfelbach entlang zur Villa Rustica. Mir ist es ein Anliegen, diesen Bereich, in dem viele Menschen unterwegs sind, attraktiver zu gestalten und aufzuwerten. Die Gewässerrahmenrichtlinie – hier muss vieles bis 2027 ökologisch umgesetzt werden – sollten wir dabei im Auge behalten. Hier eine Durchfahrtsstraße vorbeizulegen, wäre ein Kardinalfehler für eine künftige Ortsentwicklung.

Sie haben es angesprochen: Die Ortsdurchfahrt von Großsachsen ist ja nach wie vor belastet. Wie will denn die Grüne Liste Hirschberg das Problem nun angehen?

Schauen wir mal nach Schriesheim. Dort ist man gerade dabei, ein Mobilitätskonzept zu erstellen mit dem Ziel: Wie kann Rad- und Fußverkehr im Ort verbessert werden? Wir müssen uns auch nichts vormachen: Es finden viele innerörtliche Autofahrten statt. Wenn man die reduzieren könnte, wären wir schon auf einem guten Weg. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie man Öffentlichen Nahverkehr noch besser erschließen und fördern kann. Was helfen würde, wäre sicher auch, wenn ich mit dem ÖPNV nach Mannheim deutlich weniger als eine dreiviertel Stunde und mehr brauchen würde. Eine Lösung, wie man den Verkehr ganz verschwinden lassen kann, hat sicher niemand.

Die Freien Wähler haben ja die Räte der GLH kritisiert, die sich trotz ihrer Kritik bei der Planung dann bei der Eröffnung des Drogeriemarkts prominent für das Foto platziert haben. Können Sie das nachvollziehen?

(lacht) So ganz kann ich das nicht nachvollziehen. Die Freien Wähler waren ja dabei und hätten also mitbekommen müssen, dass ich erst in der zweiten Reihe stand. Dann hieß es vom Fotografen: "Alle Kleinen nach vorne." Es ist für mich auch eine Selbstverständlichkeit, wenn ich als Gemeinderätin zur Eröffnung eines Geschäfts eingeladen werde, dass ich da auch hingehe. Das gebieten Anstand und Höflichkeit. Ich möchte auch noch mal betonen, dass ich nie etwas gegen den Drogeriemarkt an sich hatte. Es ging uns immer um die Einhaltung der Vorgaben, planungsrechtlich und insbesondere des Wirtschaftlichkeitsgutachtens.

Dabei ginge es ja auch um den Wettbewerbsschutz für die bestehenden Geschäfte. Das Echauffieren über dieses Foto war ein bisschen lächerlich. Es wäre jedem Freien Wähler unbenommen gewesen, sich selbst vorne hinzustellen. Wenn wir keine wichtigeren Probleme in Hirschberg haben, dann geht’s uns blendend!

Auch aus den Reihen der Freien Wähler, nämlich von Alexander May, kam kürzlich der Vorwurf einer Blockadehaltung seitens der Grünen Liste. Ist die GLH manchmal zu kritisch?

Ich weiß nicht, wo er in unserem Beitrag zum Anbau an die Sachsenhalle eine Blockadehaltung gesehen hat. Wir haben ja für die Beauftragung des Büros Hippmann gestimmt. Das einzige, das wir kritisiert haben – und das haben wir durchgängig während des ganzen Verfahrens –, dass die Frage des Klimaschutzes zu wenig beachtet worden ist.

Gleich zu Anfang hatten wir gefordert, in die Auslobung konkrete Nachhaltigkeitskriterien aufzunehmen. Deshalb hatten wir ja auf die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) hingewiesen. Uns ging es nicht um die Zertifizierung, sondern um den Hinweis an die Bewerber: Orientiert euch an diesen Standards. Es steht außer Frage, dass jedes Büro dazu in der Lage wäre. Wir sind in dem Prozess aber immer wieder abgeblockt worden, wenn wir angeregt haben, den Klimaschutz konkreter aufzugreifen.

Insofern sehe ich die Blockadehaltung eher bei anderen als bei uns. Wir stehen dem weiteren Prozedere nicht im Weg, werden aber weiter auf Klimaschutz drängen. Alle Fraktionen betonen immer wieder, dass sie Klimaschutz und Klimaneutralität wollen. Sind das nur Lippenbekenntnisse? Jetzt steht Klimaneutralität leider wieder in Konkurrenz zu Zeitplanung und Kosten.

Immer mal wieder äußert Ihre Fraktion Kritik daran, dass die Gemeinde zu wenig für den Klimaschutz tut oder ihn nicht mitdenkt. Was hätte sie hier besser machen können?

Wir haben ja schon 2014 ein integriertes Klimaschutzkonzept gefordert, als das "Klimaschutzkonzept light" kam. Für sehr wenig Geld mehr hätten wir damals schon ein richtiges Konzept erstellen können. Ich denke, dass das die Basis gewesen wäre, um heute deutlich weiter zu sein. Wir haben auch jedes Mal, wenn eine Heizungserneuerung beschlossen wurde, für eine Umstellung auf erneuerbare Energien gekämpft, und fast jedes Mal fiel die Entscheidung wieder zugunsten von Gasheizungen. Wir haben auch im neuen Kindergarten wieder eine Gasheizung eingebaut. Das Gegenbeispiel: Auch in das Geschäftshaus mit Sparkasse und Drogeriemarkt sollte eine Gasheizung. Aber die Investoren haben kurzfristig alle Pläne umgeschmissen und auf Wärmepumpen gesetzt.

Was ist aus Ihrer Sicht beim Klimaschutz noch schief gelaufen?

Was aus unserer Sicht auch immer gefehlt hat, ist, dass bei Baumaßnahmen nie die Folgekosten eingerechnet worden sind. Unser ehemaliges Fraktionsmitglied Jürgen Steinle wollte das beispielsweise für den Kindergarten-Neubau wissen – die Antwort steht bis heute aus. Alles wichtige Dinge, die in der Zukunft noch wichtiger werden.

Ja, wir sind jetzt endlich mal dran, die Straßenlaternen auf LED umzurüsten, aber auch das hätte früher passieren können. Klimaschutzmaßnahmen bei Sanierungen haben meist keine große Rolle gespielt. Was in Zukunft auch ganz wichtig werden wird, sind CO2-Schattenpreise und Klimaabgaben fürs Heizen. Auch die Gemeinde wird in der Pflicht sein, entsprechende Abgaben zu zahlen. Deshalb denken wir, dass wir es uns nicht leisten können, eine CO2-Schattenbepreisung bei künftigen Maßnahmen außer Acht zu lassen.

Das muss in Baumaßnahmen auch miteingerechnet werden. Zusammengefasst lässt sich über die Klimaschutz-Entwicklung in Hirschberg sagen: zu spät, zu langsam. Wir haben jetzt Gott sei Dank den Klimaschutzmanager, der sich des Konzepts annehmen wird, das jetzt für 2024 angepeilt ist, also quasi zehn Jahre zu spät aus unserer Sicht. Auch die Klimaanpassung, also was man gegen die Überhitzung im Ort tut, hätte man viel früher angehen müssen.

Bei der Jahreshauptversammlung von Bündnis90/Die Grünen hat sich der Hirschberger Ortsverband klar gegen ein Neubaugebiet ausgesprochen. Auch wenn es hier personelle Überlappungen mit der GLH gibt, ist die Grüne Liste hier uneins mit den Bündnis-Grünen?

Nein, wir sind hier nicht uneins. Unsere Haltung ist ebenfalls klar ablehnend. Dafür gibt es viele gute Gründe. Momentan ist da die Forderung nach einem Neubaugebiet mit dem "Feigenblatt" bezahlbarer Wohnraum. Fragt man bei den Befürwortern genauer nach, kommt gleich ein: "Aber bloß nicht zu viel." Ich finde es wirklich bedauerlich, wie hier agiert wird. Vor so einer Entscheidung muss es doch viele Vorüberlegungen geben: Wo will ich als Ort überhaupt hin? Wie viele Einwohner will ich haben? Wie sind die Folgekosten für Infrastruktur? Welche Wohnungen brauchen wir für welche Bevölkerungsgruppen?

Und erst wenn klar ist, welche und wie viele Wohnungen gebraucht werden, wird diskutiert, wie und wo sie realisiert werden können. Wir haben das Ziel der Netto-Null-Versiegelung im Koalitionsvertrag der Landesregierung, die übrigens nicht nur aus den Grünen besteht... Das war hier bisher überhaupt noch kein Thema, das muss aber bei den Kommunen eine Rolle spielen. Auch über den ökologischen Ausgleich ist noch nicht gesprochen worden. Außerdem muss man sich bei den aktuell so hohen Baupreisen doch fragen, ob jetzt der richtige Zeitpunkt für ein Neubaugebiet ist.

Wie deckt man aber dann den Wohnraumbedarf?

Nicole Razavi, Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen, hat ja bei der hiesigen CDU gesagt: "Leerstandsakquise ist Chefsache" und erfolgreiche Modelle vorgestellt. Und wir müssen Lücken schließen. So gibt es beispielsweise im "Sterzwinkel", aber auch an anderen Stellen im Ort immer noch etliche unbebaute Grundstücke. Vielleicht muss man auch über eine Grundsteuer C (eine Steuer auf unbebaute, jedoch baureife Grundstücke, Anm. d. Red.) nachdenken. In einigen guten Wohnlagen haben wir ebenerdige Parkplätze; auch darüber könnte ja Wohnraum entstehen. Und die Überarbeitung bestehender Bebauungspläne kann Möglichkeiten schaffen.

Das heißt, der Bürgermeister soll Ihrer Meinung nach bei den Eigentümern mit Leerstand klingeln?

Wir haben bisher nur einen Brief an die Eigentümer geschrieben, mehr nicht. Mir ist schon bewusst, dass Zeit beim Bürgermeister ein Problem ist, aber ein persönliches Gespräch wäre sicher von Vorteil. Alternativ bietet sich ein Beauftragter an, eine Person mit Standing bei den Bürgern.

Mit Jürgen Steinle ist ja im vergangenen Jahr der Stimmenkönig der Grünen Liste von Bord gegangen. Wie sehr wird das bei der Kommunalwahl 2024 schmerzen?

Uns schmerzt der Weggang von Jürgen sowieso, und es wird sicher auch bei der Kommunalwahl schmerzen. In welchem Umfang kann man heute schwer beurteilen.

Apropos Kommunalwahl: Glauben Sie, dass die Abschaffung der unechten Teilortswahl Sie als Großsachsenerin Stimmen kosten wird?

Das weiß ich nicht; ich hoffe es nicht. Die unechte Teilortswahl hatte nach dem Zusammenschluss sicher ihre Daseinsberechtigung. Es gab ein Ortsteildenken und gibt es teilweise auch noch. Aber ich denke, im Gemeinderat ist es überwunden. Durch die Abschaffung wird aus meiner Sicht das Bewusstsein für die Verantwortung gegenüber der Gesamtgemeinde eher größer. Ich habe mir auch die letzten Wahlergebnisse angeschaut, ob eine Benachteiligung für Großsachsen zu befürchten wäre. Aber wenn wir uns zum Beispiel den heutigen Gemeinderat ansehen, dann hätte er bis auf eine Besetzung bei der SPD ohne unechte Teilortswahl gleich ausgesehen.

Was hat sich die Fraktion der Grünen Liste Hirschberg für dieses Jahr vorgenommen?

Ganz oben auf der Agenda: mehr und noch besserer Klimaschutz. Das bietet sich ja auch an. Wir reden über sehr viele Baumaßnahmen und Sanierungen. Das Gewerbegebiet steht an. Hier spielen überall Klimaschutz und Klimaanpassung eine wirklich große Rolle. Genauso wie Ökologie und Biodiversität. Die Themen Gewässerschutz und Starkregenrisiko-Management müssen uns beschäftigen. Aber auch Entwicklung und Gestaltung der Ortsmitten und die Fortführung der Zukunftswerkstatt mit diesem großen Bürgerengagement. Wünschen würden wir uns auch, dass in der Breitgasse endlich das Schild Tempo 30 hängt – also die Umsetzung des Lärmaktionsplans.

Dieser Artikel wurde geschrieben von:
(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.