Schwerbehinderter verlangt Entschädigung
Ikea akzeptierte ärztlich bescheinigte Maskenbefreiung nicht und verwies Kunden der Walldorfer Filiale.

Von Sophia Stoye
Walldorf. Für viel Diskussionsstoff sorgte ein RNZ-Artikel unter den Leserinnen und Lesern sowie in den sozialen Medien. Bei einem Besuch der Walldorfer Ikea-Filiale wurde Norbert Beutlberger, weil er aus gesundheitlichen Gründen keinen Mund-Nase-Schutz trug, zum Verlassen des Hauses aufgefordert. Auch nachdem der Schwerbehinderte eine ärztlich bescheinigte Befreiung der Maskenpflicht vorwies, musste er die Filiale verlassen, denn das schwedische Unternehmen verlangt bei allen Besuchern – ohne Ausnahme – das Tragen einer Maske.
Beutlberger drückte für diese Vorgehensweise Unverständnis aus und verlangte, den Geschäftsführer zu sprechen. "Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG, siehe Hintergrund) steht über dem Hausrecht", meint der Schwerbehinderte – der Walldorfer Ikea-Geschäftsführer bezog sich aber auf eine Anordnung der Konzernleitung und damit auf das Hausrecht.
Hintergrund
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), umgangssprachlich auch als Antidiskriminierungsgesetz bezeichnet, sichert die Gleichbehandlung aller Menschen zu. "Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts,
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), umgangssprachlich auch als Antidiskriminierungsgesetz bezeichnet, sichert die Gleichbehandlung aller Menschen zu. "Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen", heißt es in § 1 des Gesetzes. Damit das verwirklicht und eingehalten werden kann, erhalten die vom Gesetz geschützten Personen Rechtsansprüche gegen Unternehmen, Institutionen und Privatpersonen, für den Fall, dass diese gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen.
Zwar gilt bereits in Artikel 3 des Grundgesetzes, dass niemand wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt sowie auch niemand wegen seiner Behinderung diskriminiert werden darf. Allerdings bezieht sich dies im Grundgesetz nur auf das Handeln des Staates und ist im Verhältnis der Bürger untereinander nicht anwendbar. Da greift das AGG. (stoy)
Denn das schwedische Unternehmen beschloss, das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes beim Besuch eines Ikea-Einrichtungshauses für alle Kunden bis auf Weiteres verpflichtend zu machen, um die Gesundheit von Kunden und Mitarbeitern zu schützen. Das ist auch der Fall, wenn ein ärztliches Attest vorliegt. "Um dies für Kunden mit vorliegendem Attest so angenehm wie möglich zu gestalten, akzeptieren wir auch Schal, Tuch oder Rollkragenpullover als Schutz. Wo immer möglich, bieten wir den betroffenen Kunden auch ein Schutzschild an", erläutert Pressesprecherin Kim Steuerwald auf RNZ-Anfrage.
Ob es in begründeten Einzelfällen Sinn ergäbe, von dieser Regelung zur Maskenpflicht für alle Kunden abzuweichen, liege im Ermessen des jeweiligen Einrichtungshauses, so Steuerwald weiter. Sie argumentierte, dass auch gefälschte Atteste in Umlauf seien, die man von echten kaum unterscheiden könne. Ferner könnte ein Kunde ohne Maske in anderen den Wunsch hervorrufen, selbst die Maske abzunehmen. "Wir sind uns bewusst, dass wir Menschen, die ärztlicherseits vom Tragen einer Maske freigestellt sind, damit eventuell auch verärgern. Das tut uns sehr leid", heißt es weiter von Seiten des Unternehmens.
Wie Steuerwald andeutete, wurde Norbert Beutlberger auch in Walldorf ein Gesichtsschutzschild angeboten, allerdings sei auch das für ihn unzumutbar. Denn der Schwerbehinderte leidet an COPD, einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung.
Diese Krankheit tritt häufig mit einem Lungenemphysem auf, wodurch der Luftgehalt der Lunge krankhaft erhöht und die Fähigkeit zur Aufnahme von Sauerstoff reduziert wird. Deshalb bekam er auch von einem Lungenfacharzt ein Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht. "Das ist wichtig, weil COPD das Einatmen betrifft und das Lungenemphysem das Ausatmen. Damit nutzt mir das Angebot eines Plexiglases nichts", erklärt Beutlberger.
Bei kurzer Wartezeit von ein paar Minuten sei das zwar zumutbar, meint er, aber bei Ikea sei das nicht der Fall gewesen. "Für mich ist das alles auch nachvollziehbar, aber die Begründung, dass andere die Maske dann ausziehen würden, finde ich sonderbar", sagt Beutlberger und ergänzt, dass er seinen Schwerbehindertenausweis sichtbar auf seinem Hemd angebracht hatte.
"Die Sache ist kompliziert, weil verschiedene Grundrechte im Raum stehen: Das Recht auf Freiheit, also sich diskriminierungsfrei zu bewegen, gleichzeitig aber auch ein Recht auf körperliche Unversehrtheit", erklärt Patrick Alberti, Beauftragter für Menschen mit Behinderung des Rhein-Neckar-Kreises. Zudem gebe es bestimmte Möglichkeiten, auch in Geschäften von der Maskenpflicht abzusehen. "Das muss man im Einzelfall ausmachen", so Alberti. Seiner Ansicht nach gebe es bei Ikea genug Platz, um den Mindestabstand einhalten zu können, was einem von der Maskenpflicht befreiten Schwerbehinderten den Einkauf ermöglichen könnte. Wäre in diesem Fall eine Schutzmaske zumutbar gewesen, hätte das auch eine Alternative sein können, meint der Beauftragte für Menschen mit Behinderung. Außerdem könne eigentlich jeder das Hausrecht ausüben wie er wolle, nicht aber, wenn es aufgrund von körperlichen oder geistigen Merkmalen zur Diskriminierung käme – das AGG müsse immer berücksichtigt werden, so Alberti weiter.
Dies bestätigt auch das Ministerium für Soziales und Integration auf RNZ-Anfrage. Zwar sei die Maskenpflicht für sich genommen noch keine diskriminierende Maßnahme, da sie schließlich alle Bürgerinnen und Bürger betreffe, allerdings gebe es Ausnahmen. "Rechtlich möglich ist auch, dass ein Inhaber des Hausrechts, um für Kundinnen und Kunden sowie für Beschäftigte gesundheitliche Gefahren abzuwenden oder zu minimieren, Regelungen trifft, die über das hinausgehen, was in staatlichen Regelungen als Mindeststandard festgelegt ist", erklärt Pressesprecher Pascal Murmann. Deshalb könnte zum Beispiel durch das Hausrecht die Pflicht, eine Maske zu tragen, auch für Bereiche vorgeschrieben werden, für die das staatliche Regelungen nicht vorsehen.
"Es ist für die Verantwortlichen mitunter aber schwierig festzustellen, ob sich eine Person zurecht auf eine Ausnahme von der Maskenpflicht beruft oder ob sie das nur behauptet", so Murmann weiter. Dennoch dürfe die konkrete Umsetzung der Maskenpflicht trotz der Schwierigkeiten nicht diskriminierend sein. "Wer – bestätigt durch ein vorgelegtes ärztliches Attest – wegen einer Behinderung keine Maske tragen kann, ist von der Verpflichtung befreit. Möchten die Verantwortlichen dennoch den Zugang verweigern, müssten sie der betroffenen Person in jedem Fall zunächst Alternativen zum Tragen einer Alltagsmaske ermöglichen. Kommen solche Alternativen aufgrund der Behinderung nicht in Frage, so wäre die Ausübung des Hausrechts vor dem Hintergrund des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbot des § 19 AGG zu bewerten", resümiert Pascal Murmann.
Das bedeutet: Wenn jemand einen Sachverhalt als Verstoß gegen das AGG sieht, hat er die Möglichkeit, einen Entschädigungsanspruch beim Schädiger, in diesem Fall Ikea, geltend zu machen. "Wird eine solche Entschädigung in Form eines Geldbetrags vom Schädiger abgelehnt, muss gerichtlich darüber entschieden werden", erklärt der Heidelberger Rechtsanwalt Yalçın Tekinoglu, der sich insbesondere für Opfer von Diskriminierung einsetzt. Dennoch könne die betroffene Person gerichtlich keinen Zutritt zum Kaufhaus erwirken. Eine andere Möglichkeit sei es, sich an eine Anti-Diskriminierungsstelle zu wenden, die sich dann um einen außergerichtlichen Vergleich bemühe, so Tekinoglu. Die notwendige Frist von sechs Wochen hat Beutlberger eingehalten: Nach dem Vorfall machte er einen Anspruch von 20 000 Euro geltend: Die Summe, die er selbst festgelegt hat, will er im Erfolgsfall ans Antidiskriminierungsbüro in Mannheim spenden.
Die Frage, welches Gesetz über welchem steht, sei in diesem Fall schwierig zu beantworten: "Wenn man Verbote aufstellt, muss man immer schauen, dass es nicht nur eine bestimmte Menschengruppe trifft. Das darf nicht der Fall sein", erklärt Tekinoglu. Zwar könne man so argumentieren, dass die Maskenpflicht auf alle zutreffe, allerdings sieht Tekinoglu darin einen entscheidenden Unterschied: "Bei Personen, die sagen, sie wollen keine Maske tragen, ist das ihr freier Wille. Die müssen mit den Konsequenzen leben, wenn sie beispielsweise zum Verlassen eines Kaufhauses aufgefordert werden. Menschen mit einer Behinderung hingegen, die aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen können, haben diesbezüglich gar keine andere Möglichkeit oder Entscheidungsfreiheit."
Update: Dienstag, 8. September 2020, 18.55 Uhr
Darum gilt die Maskenpflicht-Befreiung nicht im Walldorfer Ikea
Trotz seiner attestierten schweren Behinderung musste der Besucher die Filiale verlassen.

Walldorf. (stoy) Empört war RNZ-Leser Norbert Beutlberger, als er vor ein paar Tagen den Walldorfer Ikea besuchte. Wegen einer schweren Behinderung ist er von der Maskenpflicht befreit und trug dementsprechend keine Mund-Nasen-Bedeckung.
Als ihn Security-Mitarbeiter darauf hinwiesen und sich auf das Hausrecht beriefen, wurde Beutlberger trotz seines Schwerbehindertenausweises sowie einer ärztlichen Masken-Befreiung zum Verlassen des Hauses aufgefordert.
"Die Blicke der anderen Menschen sind schon schwer auszuhalten. Das Antidiskriminierungsgesetz steht über dem Hausrecht", meint der RNZ-Leser. Weiter erzählt er, dass sich der Geschäftsführer der Walldorfer Filiale entschuldigend auf eine Anordnung der Konzernleitung bezog.
Denn das schwedische Unternehmen beschloss, das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes beim Besuch eines Ikea-Einrichtungshauses für alle Kunden bis auf Weiteres verpflichtend zu machen, um die Gesundheit von Kunden und Mitarbeitern bestmöglich zu schützen. Dies gelte auch für den Fall, dass ein ärztliches Attest vorliege.
"Um dies für Kunden mit vorliegendem Attest so angenehm wie möglich zu gestalten, akzeptieren wir auch Schal, Tuch oder Rollkragenpullover als Schutz. Wo immer möglich, bieten wir den betroffenen Kunden auch einen Schutzschild an", so Pressesprecherin Kim Steuerwald.
Ob es in begründeten Einzelfällen Sinn ergäbe, von dieser Regelung zur Maskenpflicht für alle Kunden abzuweichen, liege im Ermessen des jeweiligen Einrichtungshauses, so Steuerwald. Sie argumentierte, dass auch gefälschte Atteste in Umlauf seien, die man von echten kaum unterscheiden könne. Ferner könnte ein Kunde ohne Maske in anderen den Wunsch hervorrufen, selbst die Maske abzunehmen.
"Wir sind uns bewusst, dass wir Menschen, die ärztlicherseits vom Tragen einer Maske freigestellt sind, damit eventuell auch verärgern. Das tut uns sehr leid", sagte die Pressesprecherin.
Stand: Freitag, 4. September 2020, 6 Uhr