Wie die Pflege-Einrichtungen die Impfpflicht bewerten
Bundestag und Bundesrat haben in der vergangenen Woche die Impfpflicht für Beschäftigte in der Pflege beschlossen. Wird die Minuszahl wirklich noch kleiner?

Von Stephanie Kern
Neckar-Odenwald-Kreis. Hoffnungen und Befürchtungen – das sind die zwei Enden einer Skala, auf der seit der Corona-Pandemie Entscheidungen eingeordnet werden. Hoffnungen und Befürchtungen weckt nun auch die erst in der vergangenen Woche beschlossene Impfpflicht für Beschäftigte in Gesundheitsberufen. Sie müssen bis zum 15. März ihrem Arbeitgeber einen Nachweis über eine abgeschlossene Impfung, einen Genesenen-Nachweis, oder ein ärztliches Attest, dass sie nicht geimpft werden können, vorlegen.
Große Nachwuchssorgen
"Ich finde, dass die Impfpflicht nötig ist", findet Elvira Hoffmann klare Worte. Die Pflegedienstleiterin der katholischen Sozialstation Mosbach schränkt aber ein: "Ich finde es nicht in Ordnung, dass jetzt ein Berufszweig herausgepickt wurde." Bereits vor einigen Wochen habe sie die (wenigen) ungeimpften Mitarbeiter angesprochen und nach eventuellem Verhalten bei einer Impfpflicht gefragt. "Ich habe leider keine Antwort bekommen."
Aber: Zwei der nicht-geimpften Pflegekräfte haben sich inzwischen impfen lassen. Insgesamt vier Pflegekräfte sind aber auch weiterhin nicht gegen das Coronavirus immunisiert, andere sind inzwischen erkrankt und gelten (bald) als Genesen. "Für uns ist aber jede Schwester, die wegfällt, schlimm", sagt Hoffmann. "Denn wir haben große Nachwuchssorgen." In den kommenden Tagen wolle man die Betroffenen nochmals gezielt ansprechen und für die Impfung werben – ohne Druck aufzubauen. "Ich hoffe sehr, dass sich auch die Letzten noch gegen das Coronavirus impfen lassen", meint die Pflegedienstleiterin.
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Hintergrund
> Die Nachweispflicht gilt ab dem 15. März für Beschäftigte in Krankenhäusern, Einrichtungen für ambulantes Operieren, Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen, Dialyseeinrichtungen, Tageskliniken, Entbindungseinrichtungen, Behandlungs- oder Versorgungseinrichtungen,
> Die Nachweispflicht gilt ab dem 15. März für Beschäftigte in Krankenhäusern, Einrichtungen für ambulantes Operieren, Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen, Dialyseeinrichtungen, Tageskliniken, Entbindungseinrichtungen, Behandlungs- oder Versorgungseinrichtungen, die mit einer dieser Einrichtungen vergleichbar sind, Arztpraxen, Zahnarztpraxen, Praxen sonstiger humanmedizinischer Heilberufe, Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes, in denen medizinische Untersuchungen, Präventionsmaßnahmen oder ambulante Behandlungen vorgenommen werden, Rettungsdienste, sozialpädiatrische Zentren, medizinischen Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen, voll- und teilstationären Pflegeheimen für ältere, behinderte oder pflegebedürftige Menschen, ambulanten Pflegediensten und Unternehmen, die vergleichbare Dienstleistungen im ambulanten Bereich anbieten.
Die Impfung ist sozial
Diese Hoffnung teilt sie mit Olga Arnold. Sie ist die Geschäftsführerin der evangelischen Sozialstation in Mosbach. Auch hier gibt es noch wenige Pflegekräfte, die sich nicht impfen lassen wollen. "Im schlimmsten Fall werden wir uns von diesen Mitarbeitenden trennen müssen", sagt sie. "Ich stehe zur Impfung, ich empfinde es als sozial, sich impfen zu lassen – und wir haben meiner Meinung nach auch eine Verantwortung gegenüber unseren Patienten", sagt Arnold.
"Wir versuchen, ins Gespräch zu kommen, nicht auszugrenzen." Man höre die Ängste und versuche, darauf einzugehen. Viele Mitarbeitende wollten auch auf den so genannten Totimpfstoff warten. "Aber wenn sich jemand partout nicht impfen lässt, werden wir uns trennen müssen und im schlimmsten Fall auch Patienten absagen", stellt Arnold klar.
"Impfpflicht bitte für alle"
Auch beim DRK-Kreisverband in Mosbach wird die Impfpflicht relevant: Im Rettungsdienst seien etwa 90 Prozent der Mitarbeiter gegen das Coronavirus geimpft, in der Pflege sind es allerdings deutlich weniger. Geschäftsführer Steffen Blaschek schätzt die Impflücke in den Heimen, im ambulanten Pflegedienst und in der Tagespflege auf etwa 30 Prozent. "Ich bin allerdings weiterhin gegen eine Impfpflicht für eine einzelne Berufsgruppe – wenn dann sollte die bitte für alle gelten", positioniert sich Blaschek.
Laut Gesetz muss eine Einrichtung ab dem 16. März an das zuständige Gesundheitsamt melden, wenn Mitarbeiter keinen Immunisierungsnachweis oder kein Attest vorlegen können. Dieses kann dann die Beschäftigung in – oder den Zutritt zu – den Einrichtungen, in denen die Nachweispflicht gilt, untersagen.
"Es ist wichtig, sachlich und wissenschaftsbasiert zu argumentieren", meint die Leiterin des Gesundheitsamts im Neckar-Odenwald-Kreis, Dr. Martina Teinert. "Die epidemiologische Lage ist so angespannt, dass der Schutz vulnerabler Gruppen unabdingbar ist. Um besonders gefährdete Personen schützen zu können, ist eine Impflicht in den entsprechenden Einrichtungen aus meiner Sicht alternativlos." Die Mitarbeitenden des Gesundheitsamts seien es in der Pandemie inzwischen fast gewohnt, dass der Gesetzgeber zusätzliche Aufgaben auf sie überträgt. "Insofern werden wir versuchen, auch diese Kontrollfunktion umfassend wahrzunehmen", so Teinert.
Warten auf den Totimpfstoff
"Wenn die jetzt ungeimpften Mitarbeiter dann nicht mehr arbeiten können, haben wir massive Probleme, unseren Auftrag zu erfüllen", bekennt Blaschek. Im allerschlimmsten Fall müsse man Bewohnern kündigen. Nach Nachwuchs und verfügbaren Pflegekräften befragt, antwortet Blaschek: "Darf ich eine Minuszahl nennen?" Heißt: Der Markt ist leer, bereits jetzt sind Engpässe kaum zu überbrücken. Trotzdem stelle sich natürlich die Frage, wie schnell sich Pflegekräfte tatsächlich verändern könnten, denn oftmals haben sie ja eine Ausbildung absolviert – als Hilfskräfte müssten sie in anderen Berufen sicher finanzielle Einbußen hinnehmen. Wichtig ist Steffen Blaschek aber, dass man die ungeimpften Mitarbeiter noch zur Impfung motivieren will, ohne Zwang oder arbeitsrechtliche Maßnahmen. "Die ersten Gespräche dazu laufen bereits." Interessantes Zwischenfazit dieser Gespräche: Ein Teil der Beschäftigten in der Pflege wartet auf den so genannten Totimpfstoff.
Droht eine Berufsflucht?
Ganz klar gegen die Impfpflicht in der Pflege positioniert sich die Gewerkschaft verdi: Frank Werneke, Vorsitzender von verdi, sagt: "Die Impfquote in Bereichen wie der Pflege, dem Gesundheitswesen und Kitas ist im Verhältnis zum Durchschnitt der Bevölkerung sehr hoch. Wenn jetzt über eine Impfpflicht nachgedacht wird, führt das nicht dazu, dass signifikant mehr Menschen geimpft werden, sondern dass noch mehr Betroffene ihren Beruf verlassen werden." Arne Gailing, bei verdi Heilbronn-Franken auch für den Neckar-Odenwald-Kreis zuständig, bestätigt: "Wir schätzen es so ein, dass sich dann mehr Menschen gegen diesen Beruf entscheiden bzw. es eine Berufsflucht geben wird."
Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht sei es nicht nachvollziehbar, nur dieser einen Gruppe eine Impfpflicht aufzuerlegen, eine Berufsgruppe die sowieso schon durch eine hohe Belastung durch Corona und ein hohes Verantwortungsbewusstsein gezeichnet sei. Einige Betroffene würden sich schon über Möglichkeiten der Unterstützung durch die Gewerkschaft informieren. "Wie viele dem Beruf dann wirklich den Rücken kehren, lässt sich erst danach beziffern" räumt Gailing ein. "Es macht doch wirklich an einigen Stellen wenig Sinn, in Bereichen, in denen sich auch die Patienten und Angehörigen impfen lassen könnten, das Personal zu impfen, um impfunwillige Patienten zu schützen."
Im Nachbarland Frankreich gilt die Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen bereits seit Mitte September. Das Gesundheitsministerium teilte Mitte Oktober mit, der überwiegende Teil der rund 2,7 Millionen Beschäftigten habe sich an die Vorgabe gehalten, zwischenzeitlich seien aber rund 15.000 Beschäftigte ohne Gehaltsfortzahlung suspendiert worden.
Gleiche Voraussetzungen schaffen
"Wir begrüßen die Impfpflicht für Pflegekräfte, da sie eine klare Ausgangssituation für alle Pflegekräfte schafft. Zwar erwarten wir dadurch auch Abgänge beim Personal, was angesichts der immer angespannten Personalsituation in der Pflege problematisch ist. Aber am Ende hilft uns die Impfpflicht, da so Arbeitsausfälle durch Quarantäne vermieden werden können, und auch die Abwanderung zur Konkurrenz nicht mehr so einfach möglich ist", ist Christian Ersing, Geschäftsführer von Domus Cura, überzeugt. Die Gesellschaft betreibt unter anderem in Michelbach, Neunkirchen und Hüffenhardt Pflegeheime.
Die Domus-Cura-Führungsebene spreche sich eindeutig für eine Impfpflicht in der Pflege aus, heißt es in einer Mitteilung auf eine Anfrage der RNZ. "Wir sehen hier vor allem unsere Verantwortung gegenüber den Senioren als besonders vulnerable Gruppe. Für sie besteht immer noch das höchste Risiko für einen schweren Verlauf von Corona bzw. daran zu versterben." Generell sei bei einer Impfpflicht für Pflegekräfte zu erwarten, dass auch Pflegekräfte ausscheiden, was bei der allgemein schlechten Personalsituation in der Pflege natürlich problematisch wäre.
"Dennoch: Auch die jetzige Situation ist unbefriedigend, denn durch verordnete Quarantänen kommt es immer wieder zu Arbeitsausfällen beim ungeimpften Personal. Die Impfpflicht würde helfen, Diskussionen zu vermeiden und eindeutige Voraussetzungen für alle zu schaffen." Darüber hinaus höre man aus den Häusern auch immer wieder den Ruf nach einer allgemeinen Impfpflicht. Diese wäre nicht nur eine noch bessere Prävention gegen neuerliche Corona-Ausbrüche in Pflegeheimen, sie würde auch den Pflegekräften das Gefühl nehmen, hier die Haut hinhalten zu müssen. "Denn nach wie vor gibt es auch Skepsis und Ängste gegenüber den Auswirkungen der Impfung unter Pflegekräften – ob diese nun gerechtfertigt sind oder nicht. Eine allgemeine Impfpflicht hieße nicht zuletzt auch Solidarität mit der Pflege", zeigt man sich bei Domus Cura überzeugt.
Impfpflicht als Ultima Ratio
Wie das Gesundheitsamt spricht sich auch der Ärztliche Leiter der Neckar-Odenwald-Kliniken, Dr. Harald Genzwürker, für die Impfung aus. "Ein hoher Anteil unserer Beschäftigten ist geimpft und hat auch bereits Boosterimpfungen erhalten", erklärt er auf Nachfrage der RNZ. Viele sähen neben dem hohen Bedürfnis, sich selbst vor einer Infektion zu schützen, zusätzlich das Wohl der Patienten sowie ihrer Familien als wichtige Motivation. "Wir versuchen durch sachliche Information die Gruppe der Unentschlossenen zur Impfung zu motivieren. Die Impfpflicht sehen wir als Ultima Ratio für diejenigen, die trotz Ausbildung in einem Gesundheitsberuf eindeutige medizinische Fakten nicht gelten lassen wollen und/oder die eigene (Entscheidungs-)Freiheit über das Wohl anderer stellen", sagt Genzwürker. "Wir wünschen uns allerdings, dass auch die übrige Gesellschaft sich mit den Gesundheitsberufen solidarisiert und sich zum Schutz unserer Mitarbeitenden impfen lässt – aber das hat ja der größte Teil der Menschen bei uns bereits getan und es werden täglich mehr."