Am Mittwoch bleiben viele Apotheken geschlossen
Johannes und Dr. Petra Sitterberg erklären Hintergründe zum Protesttag. Sie sind unzufrieden mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach.

Hardheim. (jam) Die Apotheker im Land ächzen unter Bürokratie und ärgern sich über zu geringe Vergütung. Um auf diese Missstände aufmerksam zu machen, bleiben am heutigen Mittwoch viele Apotheken im Süden Deutschlands geschlossen – darunter die Apotheke an der Post von Dr. Petra und Johannes Sitterberg. Sie beteiligen sich – wie schon im Juni– am Protest ihres Berufsstands. Im Gespräch erklären die beiden Hardheimer, warum sie die jüngste Gesetzesänderung enttäuscht hat und weshalb Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zuletzt auf wenig Gegenliebe in der Apothekerschaft stieß.
"Die Apotheke ,light‘ ist ein Schlag ins Gesicht"
Dabei hatte Letzterer mit seinem Gesetzesentwurf die Chance, den Arbeitsalltag der Apotheker mit einem Streich enorm zu erleichtern. Denn: Vier von fünf Apothekern fühlen sich laut einer Umfrage von Bürokratie in ihrem Arbeitsalltag stark beeinträchtigt. Sie gilt als größter Stressfaktor. Dementsprechend hatten auch die Sitterbergs nach dem bundesweiten Protest im Sommer die Hoffnung, dass das Arzneimittellieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz ab August eine echte Entlastung in den Apothekenalltag bringt.
Immerhin griff es – zumindest scheinbar – die Forderungen der Branche auf. Doch die Erwartungen wurden laut Dr. Petra Sitterberg enttäuscht. "In der Praxis sind die neuen Regelungen nicht wirklich bürokratiesparend", lautet das Fazit der Hardheimer Apothekeninhaberin.
Immerhin können Apotheker dank dem neuen Gesetz erstmals ihren Mehraufwand abrechnen, wenn sie sich für ihre Kunden mühsam um Ersatz für ein nicht verfügbares Arzneimittel kümmern. Diese Pauschale hat allerdings eher einen symbolischen Wert, da die 50 Cent gerade einmal eine Arbeitszeit von wenigen Sekunden abdecken.
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"Da stellt sich mir schon die Frage, ob das gerechtfertigt ist", sagt Dr. Petra Sitterberg. Sie kalkuliert aufgrund von Rückrufen beim Arzt und der Nachweispflicht gegenüber den Krankenkassen deutlich mehr Zeit für jedes Lieferengpass-Management ein.
Und dieser Mehraufwand ist kein Einzelfall. Aktuell gibt es bei mehr als 500 Arzneimitteln Lieferengpässe, und bereits im Sommer waren – so hieß es aus Apothekerkreisen – rund 30 Prozent der Rezepte von einem Lieferengpass betroffen. Daran wird wohl auch der neue Vorstoß des Bundesgesundheitsministers mit dem Namen im besten Beamtendeutsch kurzfristig wenig ändern.
Er will Hersteller wichtiger Medikamente, die aktuell in Indien oder China produzieren, zurück nach Europa holen. Aber: "Das Gesetz von Karl Lauterbach greift frühestens in zwei oder drei Jahren", ist Johannes Sitterberg überzeugt.
Bis dahin müssen die Hardheimer Apotheker weiterhin Aufwand betreiben, um für ihre Kunden gleichwertige Alternative zu finden. "Bei Kinderantibiotika ist die Lage unverändert: Es sind bei weitem nicht alle Wirkstoffe verfügbar", weiß Johannes Sitterberg. Besser sieht es dagegen bei Fiebersäften aus. Dafür gibt es laut Dr. Petra Sitterberg deutliche Lücken bei Blutdruckmedikamenten. Da dieser Mangel in der Regel nur bestimmte Dosierungen betrifft, verspricht sie ihren Kunden trotz Lieferengpasskrise: "Es geht keiner leer aus."
Dieser Ausspruch gilt allerdings nicht für die Apotheker selbst: Seit mehr als zehn Jahren schauen sie bereits in die Röhre, wenn es darum geht, ihre Vergütung anzupassen. Das macht sich bemerkbar. So berichtet die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (Abda), dass fast ein Drittel der Apotheken im Schnitt ein Betriebsergebnis von weniger als 50.000 Euro brutto im Jahr hat.
Damit geht es diesen Apothekeninhabern schlechter als in einem Angestelltenverhältnis – trotz längerer Arbeitszeiten und mehr Verantwortung. Zu diesem Kreis zählen die Sitterbergs zwar nicht, doch die Differenz ist klein genug, dass Dr. Petra Sitterberg ihren Karrierepfad zumindest manchmal überdenkt. "Stünde ich noch einmal direkt am Anfang meines Berufslebens, würde ich mir wohl die 38-Stunden-Woche mit nicht so viel geringerem Gehalt aussuchen", sagt sie unverblümt.
Tatsächlich entscheiden sich immer mehr junge Apotheker dafür, lieber im Angestelltenverhältnis zu arbeiten. In der Folge finden Inhaber, die aus Altersgründen aufhören, keine Nachfolger – so zum Beispiel bei der Erfapark-Apotheke, deren Ladentür Apotheker Bernhard Goldstein vor drei Jahren für immer schließen musste, als er seinen Ruhestand antrat. Das spiegelt die Statistik wider: Deutschlandweit ist die Zahl der Apotheken so niedrig wie seit 40 Jahren nicht mehr.
Welchen Plan die Regierung hat, um dieses Apothekensterben zu stoppen, wollte die Branche eigentlich Ende September beim deutschen Apothekertag vom Gesundheitsminister erfahren. "Auf die Fragen der Abda ist Lauterbach aber gar nicht eingegangen", kritisiert Johannes Sitterberg. Stattdessen habe der SPD-Minister mit seiner "Apotheke light" eigene Pläne vorgestellt, ohne vorher die Apotheker zu konsultieren. Dabei geht es kurz gesagt um Apotheken ohne Apotheker, ohne Labor, ohne Notdienst und ohne Rezeptur – quasi eine "Apotheke zweiter Klasse", wie es Professor Dr. Christoph Friedrich vom Institut für Geschichte der Pharmazie in Marburg zusammenfasst.
Das Ehepaar Sitterberg hält wenig vom Plan des Bundesgesundheitsministers. "Das hört sich vielleicht für zehn Minuten gut an, würde das Apothekensterben aber nur weiter vorantreiben", schätzt Dr. Petra Sitterberg. Sie ist überzeugt, dass die Vollservice-Apotheken nach einiger Zeit ausbluten würden, wenn die abgespeckten Varianten ihren Umsatz schmälern.
"Das Problem wäre damit nur in die nächste Legislaturperiode verschoben", warnt ihr Mann. Mit dieser Einschätzung steht der Hardheimer nicht allein da. So hat die Apothekerschaft unlängst deutlich gemacht: Nicht nur inhaltlich, sondern auch was den Kommunikationsstil betrifft, empfindet sie Lauterbachs Vorstoß als einen "Schlag ins Gesicht".
Info: Notdienst hat am Mittwoch ab 8.30 Uhr die Quellen-Apotheke in Hettingen.