Widersacher, Urväter und Landschaftsbildner – das sind die Riesen (Folge 3)
Die Geschichten, die sich um Riesen ranken, werden oft genutzt, um das Unverständliche erklärbar machen.

Von Noemi Girgla
Odenwald. Sie gelten als Widersacher, Begründer ganzer Adelshäuser und Erschaffer von Naturdenkmalen, die bis heute ihre Namen tragen. Geschichten über Riesen gibt es zu jeder Zeit und auf der ganzen Welt. Auch im hiesigen Odenwald sind zahlreiche zu finden. Grund genug, sich in der dritten Folge der sechsten Staffel des RNZ-Podcasts "Sagenhafter Odenwald" genauer mit ihnen zu befassen.
Florian Schäfer, Sagenforscher und Gründer des Projekts "Forgotten Creatures", hat sich schon oft mit Riesen beschäftigt. "Es gibt Hunderte Erklärungssagen, die bestimmte Landschaftsformationen oder auch historische Bauwerke auf Riesen zurückführen. Das ist ein zentraler Bestandteil dieser Figuren." Dabei gehe es darum, das Unverständliche mit den Erzählungen zu erklären und Landschaftselemente, die in der Vorstellung des einfachen Volkes nicht durch Menschenhand entstanden sein können – aber auch nicht natürlich wirken – zu erklären. "So wird die Natur und Umwelt ein Stück begreiflicher gemacht."
In vielen Sagen heißt es, die Riesen hätten schon lange vor den Menschen existiert. In anderen treffen die beiden Spezies aufeinander. Das geht jedoch selten gut aus. "Schon in der Bibel, stehen Riesen für das Brutale, für ungeheure Kraft, aber damit auch für Dominanz und Herrschaft", erläutert Schäfer. Ein Motiv, das in Sagen und Märchen erhalten geblieben ist. Und doch unterliegen die Riesen immer wieder den Menschen, werden von ihnen verdrängt und hinterlassen höchstens Bauwerke, die man noch mit ihnen in Verbindung bringt. "Der Übergang von der Erklärung natürlicher Phänomene und Landschaftsformationen zu der Vorstellung von Riesen als ursprüngliches heidnisches Volk ist schnell vollzogen worden", ordnet Schäfer ein.
Könnte man dies als Metapher der Dominanz des Christentums gegenüber heidnischen Religionen verstehen? "Ab und an erkennt man den Einfluss des christlichen Glaubens und natürlich auch den Versuch, innerhalb von Sagen das Thema der Missionierung der Ungläubigen aufzugreifen", meint der Sagenforscher.
Es ist aber nicht nur der Gegensatz, der das Verhältnis zwischen Menschen und Riesen prägt. Oft gelten Letztere als Urväter ganzer Völker oder Geschlechter. "Was die Geschichtsschreiber des Mittelalters gemacht haben, ist nichts weniger als aus Versatzstücken unterschiedlicher Kulturen und Überlieferungen eine eigene epische Fantasygeschichte zu schreiben und damit Herrschaften zu legitimieren", fasst Schäfer nicht ganz ohne Ironie zusammen. Das sei auch schon in der Spätantike in ganz Europa verbreitet gewesen. "Diese Schriften bezeichnen wir heute als pseudo-historische Werke", erklärt der Experte.
"Wir haben unter anderem den König und Helden Nimrod aus dem Alten Testament, der spannenderweise in manchen Sagen entweder als Riese auftaucht oder auch als wilder Jäger", gibt Schäfer ein Beispiel. Man steige in diesen Erzählungen tief in die Geschichte ein, greife sich einzelne Wesen und historische Persönlichkeiten heraus und deutet sie dann entsprechend um.
Doch auch vermeintliche Überreste sollten die angebliche Existenz von Riesen als einstige Urväter oder Herrscher belegen. "Es gibt Geschichten von einem Knochen im Stephansdom in Wien, der auf einen Riesen zurückgehen sollen", weiß Schäfer. Und es sei sogar überliefert, von wem genau dieser Überrest sei: "Im naturkundlichen Kompendium Liber de natura rerum von Thomas von Cantimpré wird der Riese Teutanus erwähnt." Der Autor zitiere verschiedene römische Quellen, nach denen im Lande Teutonia ein Riese umgegangen sein soll, der das Geschlecht der Deutschen und das deutsche Gebiet gründete.
"Tatsächlich handelt es sich um einen Mammutknochen, der bei Aushubarbeiten im Stephansdom gefunden wurde. Man hat ihn dann eben dem Riesen zugeschrieben und sogar behauptet, er hätte beim Bau der Kirche geholfen und sich dann taufen lassen," erläutert Schäfer. So habe man die Authentizität dieser Herkunftserzählung und somit auch den Beweis für den Anspruch auf das Land belegen wollen.
Auch im Schloss Lichtenberg im Fischbachtal soll es einst – laut der Brüder Grimm – einen Riesenknochen gegeben haben. Dieser ist heute jedoch, genau wie sämtliche Riesen, verschwunden und nur noch Gegenstand alter Erzählungen.
Info: Wer mehr über Riesen und andere regionale Sagen erfahren möchte, findet die neuen Folgen jeweils freitagabends im August.