RNZ-Podcast "Sagenhafter Odenwald" – Staffel 6

Gesprengt, doch noch präsent (Folge 4)

Habgierige Bäcker, Zwerge und Bergbauspezialisten: In der aktuellen Folge des Podcasts geht es um den Edelstein von Schriesheim.

23.08.2025 UPDATE: 23.08.2025 04:00 Uhr 2 Minuten, 58 Sekunden
Der „Edelstein von Schriesheim“ wurde 1919 gesprengt. Heute erinnern nur noch Sagen und zwei alte Fotos an das einstige Naturdenkmal. Foto: Archiv Schriesheim

Von Noemi Girgla

Schriesheim. Meist handeln Sagen und Legen von Gegenständen oder Wesen, die dem Reich der menschlichen Fantasie zuzuordnen sind. Doch es gibt auch Dinge, die tatsächlich einmal existierten, an die heute jedoch nur noch Erzählungen erinnern.

Im Fall des "Edelsteins von Schriesheim" blieben neben zahlreichen Geschichten auch noch zwei mehr als 100 Jahre alte Fotos erhalten, die an ihn erinnern. In der vierten Folge der sechsten Staffel des RNZ-Podcasts "Sagenhafter Odenwald" widmen wir uns eben jenem Naturdenkmal, das 1919 einer Sprengung im Steinbruch zum Opfer fiel.

 

Einer der vielen Erzählungen nach, die sich um den Edelstein ranken, der einst auf der Spitze des Schriesheimer Ölbergs stand, soll dieser vor langer Zeit einen habgierigen Bäcker erschlagen haben. Tatsächlich entstand die Gruppe großer Porphyrsäulen jedoch viel früher.

"Vor ungefähr 290 Millionen Jahren war die Welt eine komplett andere", erklärt Jochen Babist, Diplom-Geologe vom Geonaturpark Bergstraße Odenwald und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Altbergbau Odenwald. "In unserer Gegend fanden damals große Vulkanausbrüche statt."

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Geologen seien sich relativ einig, dass der Explosionsort der heutige Wachenbergsteinbruch bei Weinheim gewesen sei. "Das Material, das aus dem Inneren der Erde kam, war sehr quarzhaltig und zähflüssig, sodass es ganz katastrophale Explosionen gegeben hat", führt Babist aus. Durch den Abkühlungsprozess hätten sich dann die Säulen gebildet, die später Edelstein genannt wurden.

Vom restlichen Vulkangestein profitiert Schriesheim bis heute. Steinbruch und Bergbau haben in der Stadt an der Bergstraße eine jahrhundertealte Tradition. Und wo Bergbau stattfand, sind oft auch Geschichten über Zwerge nicht weit. Ein solcher soll dem habgierigen Bäcker Reichtümer – in Form von Edelsteinen – angeboten haben, um dessen Tochter heiraten zu dürfen.

Das sei gar nicht so abwegig, findet Dirk Hecht, Archivar und Archäologe in Schriesheim. Denn im Stadtarchiv sei durch einen Zufall eine seltene Quelle erhalten geblieben – das Titelblatt einer Bergordnung von 1528.

Darauf abgebildet sind auch Bergleute. "Sie hatten eine ganz spezielle Arbeitskleidung, Mäntel und vor allem gefütterte Kapuzen, die den Kopf davor schützten sollten, sich zu stoßen und zu verletzen", beschreibt Hecht, woher das häufige Motiv vom Zwerg mit der Zipfelmütze kommen könnte.

Doch um auf die Sage zu kommen: "Viele der Bergleute kamen nicht von hier. Sie waren auswärtige Spezialisten und hatten keinen wirklichen Zugang zur hiesigen Bevölkerung. Wenn sie eine Familie gründen und eine Ehefrau wollten, mussten sie vermutlich schon einiges dafür bieten."

Der „Edelstein von Schriesheim“ wurde 1919 gesprengt. Heute erinnern nur noch Sagen und zwei alte Fotos an das einstige Naturdenkmal. Foto: Archiv Schriesheim

Doch was förderten diese Experten zu Tage? Laut Babist gewiss keine Edelsteine. "Tatsächlich findet sich ein Erzgang, also eine Ader, die durch den Granit läuft und viele verschiedene Mineralien enthält. Unter anderem in den größeren Tiefen Bleierze, die einen Silbergehalt aufweisen", fasst der Geologe zusammen. Der obere Teil, das verwitterte Erz, sei erst im 18. Jahrhundert, in der zweiten Phase des Abbaus, spannend geworden. "Da hatten sich große Mengen Eisenvitriol gebildet, und die konnte man aus dem Gestein laugen und für Gerbereien oder die Herstellung von Tinte verwenden."

Die beiden Phasen des Schriesheimer Bergbaus könnten auch einen Anhaltspunkt für die Datierung der Sage um den Zwerg und den Bäcker liefern. Hecht tippt auf einen Zeitraum zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und 1780. "Im 18. Jahrhundert hatten die Bergleute eine ganz andere Kleidung. Das hatte mit Zwergen überhaupt nichts mehr zu tun. Also muss die Sage davor entstanden sein", begründet er die These. Doch er hat noch einen anderen Anhaltspunkt: "Nach dem Dreißigjährigen Krieg war der Odenwald fast baumfrei. Es musste wieder aufgebaut werden. Man hat also riesige Gebiete einfach entwaldet und so konnte man dann den Edelstein gut sehen. Vorher war das wahrscheinlich nicht möglich."

Jetzt mag mancher sagen, dass das ursprüngliche Bergwerk nicht am Ölberg, sondern gegenüberliegend im Branich lag. Allerdings gab es dazu jüngst neue Erkenntnisse: "Gerade vor ein paar Monaten ist ein Stollen entdeckt worden, der in den Ölberg hineingeht. Es handelt sich dabei wahrscheinlich um einen Entwässerungsstollen aus dem Mittelalter", erzählt Hecht. Der bestätige, dass Bergbau auch im Ölberg zumindest angedacht oder versucht worden sei. Vielleicht kenne man auch noch etliche Stollen noch gar nicht.

Auch Babist hält das für nicht unwahrscheinlich: "Wenn ein Stollen für das Ableiten des Wassers in den Berg vorgetrieben wird, hat normalerweise der Bergbau schon gewisse Ausmaße angenommen. So eine Arbeit, die zunächst nur Geld kostet, macht man nur, wenn eine Grube sich tatsächlich rentiert." Es darf also darüber spekuliert werden, was sich im Ölberg noch alles befindet – vielleicht spielt es ja sogar eine Rolle für die Entstehung der Sage um den Bäcker, der vom Edelstein erschlagen wurde.

Info: Wer mehr über Riesen und andere regionale Sagen erfahren möchte, findet unseren Podcast unter www.rnz.de/sagenhaft. Die neuen Folgen erscheinen jeweils freitagabends im August.

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