Hirschberg

Anna konnte noch rechtzeitig aus Butscha fliehen

Im "Café Grenzenlos" kann sie sich mit anderen Ukrainern austauschen. Ein ehemaliger Schüler von ihr wurde erschossen.

08.04.2022 UPDATE: 09.04.2022 06:00 Uhr 3 Minuten, 2 Sekunden
Anna (34) kommt aus Butscha. Foto: Kreutzer

Von Max Rieser

Hirschberg. Rund zehn ukrainische Frauen und fünf ihrer Kinder kommen ins "Café Grenzenlos" am vergangenen Donnerstag. Auch ein guter Stock an Freiwilligen ist dem Aufruf des "Runden Tisch Asyl", der das Café betreibt und nun wiedereröffnet, gefolgt, spielt mit den Kindern oder unterhält sich mit den Geflüchteten. Für sie ist es vor allem auch ein Anlass, um Landsleute und Leidensgenossinnen zu treffen.

Eine der anwesenden Ukrainerinnen ist die 34-jährige Anna, die mit ihren beiden Kindern zwei Tage nach dem Angriff der russischen Armee auf das osteuropäische Land die Flucht angetreten hat. Sie kommt aus Butscha, dem Vorort Kiews, der durch das Massaker der russischen Streitkräfte an der Zivilbevölkerung traurige Berühmtheit erlangte. Beim Abzug der Truppen, die das Gebiet rund um die Hauptstadt mittlerweile verlassen, wurden zahlreichen Berichten zufolge um die 400 Zivilisten ermordet. In den zwei Tagen nach Kriegsausbruch hofften Anna und ihre Familie noch, dass die Kampfhandlungen ihren Wohnort nicht erreichen würden: "Ich habe immer gesagt, das wird nicht passieren." Diese Hoffnung zerschlug sich, als der Beschuss auf einen Militärflughafen in der Nähe und dann auch auf Butscha, begann: "Wir saßen die ganze Nacht mit den Kindern im Keller und haben die Bomben gehört", berichtet die Lehrerin in perfektem Englisch. Ihre kleine Nichte war zu diesem Zeitpunkt gerade vier Monate alt. Nur wenige Stunden nach ihrer Flucht erreichte die Armee den Ort.

Anna zeigt auf dem Handy Bilder von ihrer früheren Wohnung, in der die Soldaten zeitweise gehaust hatten. Auf einem anderen Foto sieht man eine Feuerstelle im Vorgarten des Hauses, darum verteilt verschiedenes Geschirr: "Das waren unsere Sachen, die haben sie aus dem dritten Stock nach unten gebracht." Gemacht wurden die Bilder von Annas Mann und ihrem Bruder. Die beiden haben sie auf der Flucht begleitet, an der polnischen Grenze mussten sie aber zurück. Durch die allgemeine Mobilmachung im Land ist es den Männern nicht gestattet, die Ukraine zu verlassen, da sie gegebenenfalls in den Kampf abkommandiert werden. Als Feuerwehrmann habe ihr Bruder die Evakuierung von Butscha miterlebt und Verletzte in ein Kiewer Krankenhaus gebracht. Annas Mann, ihr Bruder und ihre Eltern sind wohlauf, zu vielen ihrer Freunde hat sie allerdings keinen Kontakt und weiß nicht, ob sie die Gräueltaten überlebt haben. Von einem ehemaligen Schüler weiß sie, dass er auf der Flucht in einem fahrenden Auto erschossen wurde, seine Schwester und seine Mutter waren bei ihm und überlebten. Nach Hirschberg kam Anna durch eine Helferin in einem polnischen Auffanglager, die einen Kontakt in die Region hatte. Hier sei sie sehr freundlich aufgenommen worden. Was sie nicht verstehen könne, sei, wenn sich Menschen hierzulande mit einem Urteil über die Situation schwertäten: "Leute, die sagen, sie wollen sich nicht auf eine Seite stellen, haben sich auf die Seite von Russland geschlagen", findet sie.

Eine andere Geflüchtete ist Larisa. Sie kam mit einem Transport nach Leutershausen, der von der Gruppe "Hunsrück Hilft" organisiert worden war. Zu den Helfern zählte auch Konstantin Brass. Der gebürtige Russe unterstützt nun auch im "Café Grenzenlos" als Übersetzer und plant weitere Evakuierungstouren. Aus Wyschhorod, nahe Kiew, wo sie eine Bibliothek leitete, machte sich Larisa am 7. März auf den Weg Richtung Polen. Mit halbvollem Tank seien sie gestartet, mit der Angst, dass das Benzin ausgehe, da nirgends mehr welches zu kriegen war. Erst als sie in Lwiw ankamen, konnten sie wieder tanken. Nach drei Wochen in Lwiw und der Hoffnung, wieder heimkehren zu können, begann auch dort der Beschuss durch russische Raketen. Ihr Mann habe sie noch bis zur polnischen Grenze begleitet, um sie in Sicherheit zu wissen, dann musste auch er zurück. Da das Internet in ihrem Heimatort nach wie vor funktioniert, kann er wenigstens täglich mit ihr und den beiden Töchtern Evelina und Viktoria sprechen. Nach dem Abzug der russischen Armee aus Kiew seien schon 350.000 Geflüchtete aus Polen in die ukrainische Hauptstadt zurückgekehrt. Das wünsche sie sich im Grunde auch, die Männer sagten allerdings: "Bleib noch, es kann jederzeit wieder losgehen." Als Brass mit der Gruppe von Helfern die Frauen und Kinder in Polen abholen wollte, sei das gar nicht so einfach gewesen, berichtet er.

Auch interessant
Tafel-Läden gerettet: Auf den RNZ-Artikel folgte eine "Lawine" von Spenden
Behörde: Nahles offiziell als Arbeitsagentur-Chefin vorgeschlagen
Krieg in der Ukraine: Bund zahlt für Kriegsflüchtlinge

Die Kräfte vor Ort seien sehr auf die Sicherheit der Flüchtenden bedacht und würden sie nicht in jeden Bus steigen lassen: "Es gibt Berichte von Menschenhändlern, die die Frauen und Kinder auf den Fluchtrouten entführen", erklärt Brass. Nur durch einen Kontakt vor Ort sei es Larisa und ihrer Familie möglich gewesen, sich dem Tross anzuschließen.

Info: Das "Café Grenzenlos" ist ab sofort jeden Donnerstag von 16 bis 18 Uhr geöffnet. Wer sich beteiligen möchte, kann einfach vorbeikommen oder sich online informieren. Der Verein "Hunsrück Hilft" sucht weiterhin Helfer und vor allem Fahrzeuge wie Busse, die für die Hilfseinsätze genutzt werden können. Wer seine Unterstützung anbieten will, kann die Gruppe unter www.hunsrueck-hilft.de kontaktieren.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.