Theater Heidelberg

Beim Zwinger X zahlt jeder, so viel er möchte

Bei der neuen Reihe erprobt das Theater und Orchester Heidelberg das Bezahlmodell "Pay what you want!". Es ist ein kulturpolitisches Signal.

29.12.2022 UPDATE: 29.12.2022 06:00 Uhr 3 Minuten, 48 Sekunden
In der neuen Reihe Zwinger X testet das Theater und Orchester Heidelberg ganz neue Formate. Seit September wird außerdem das Bezahlmodell „Pay what you want!“ erprobt, denn ein Theaterbesuch soll für niemanden am Geld scheitern. Foto: Philipp Rothe

Von Ingeborg Salomon

Heidelberg. In dieser Spielzeit hat das Theater Heidelberg ein interessantes Experiment gestartet. Bei der neuen Reihe Zwinger X im Zwinger 1 geben Besucher für eine Vorstellung so viel Eintrittsgeld aus, wie sie wollen. "Pay what you want!" heißt die Devise, die in anderen Städten bereits erprobt wurde. So hat das Berliner Ensemble im September 2019 (also noch vor der Corona-Pandemie) das Konzept in seiner zweiten Spielstätte getestet, zog allerdings nach sieben Abenden eine ernüchternde Bilanz: Zuschauer hätten im Durchschnitt weniger Geld, nämlich neun Euro, gezahlt als sie normalerweise für eine Karte ausgegeben hätten, hieß es. Der reguläre Preis betrage sonst im Neuen Haus zwischen 13 und 29 Euro, ermäßigte Karten kosteten neun Euro.

Deutlich positiver sah es bei den Thüringer Bachwochen diesen Sommer aus: "Wir hoffen sehr, mit diesem Solidarprinzip eine gute Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit [...] gefunden zu haben [...] Am Geld soll ein Konzertbesuch nicht scheitern", heißt es auf der Homepage. Deshalb gab es für die Konzerte neben einer Premium-Kategorie für die besten Plätze mit optimaler Sicht auch für jedes Konzert einen Einheitspreis mit freier Platzwahl, der möglichst günstig kalkuliert war.

Außerdem hatten Besucher die Möglichkeit, weniger zu bezahlen oder eben auch mehr, wenn sie sich das leisten konnten. "Es geht nicht um einen Ausverkauf der Kultur. Es geht darum, dass wir sagen, bezahlt, was Ihr könnt. Sodass jeder, der gerade mit den Heizkosten ein Problem bekommt, trotzdem offene Türen vorfindet", erklärte dazu Christoph Drescher, Leiter der Thüringer Bachwochen. Auch andere Theater, Museen und viele Kultureinrichtungen erproben "Pay what you want!" derzeit. Wie sieht dieses (noch) ungewohnte Bezahlmodell in Heidelberg aus?

Die RNZ hat bei dem Zwinger-X-Team, bestehend aus der Dramaturgin Lene Grösch, dem Künstlerischen Produktionsleiter Felix Heimbach und dem Theaterpädagogen Markus Strobl, nachgefragt.

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Seit September wird bei der neuen Reihe Zwinger X das Bezahlmodell "Pay what you want!" erprobt. Bei wie vielen Vorstellungen und Formaten haben Sie das bisher umgesetzt? Wie war die Auslastung?

Lene Grösch: Wir hatten seit September etwa 20 Veranstaltungen in diesem Format und die weitaus meisten waren ausverkauft oder zumindest sehr gut besucht. Das ist eine ziemlich überwältigende Bestätigung dafür, wie wichtig es ist, dass wir als Theater uns öffnen, mit vielen tollen Akteuren und Akteurinnen aus der Stadt kooperieren und stadtspezifischen und vor allem diversen Perspektiven auf unsere Gesellschaft gemeinsam eine kreative Plattform geben. Ich glaube, wir merken gerade in diesen Krisenzeiten noch stärker, wie ermutigend dieses künstlerische und diskursive Miteinander von unterschiedlichsten Menschen sein kann. Und wir als Theaterschaffende brauchen dringend diese Impulse, um nicht in unserer eigenen Kunstbubble festzustecken. Deshalb freuen wir uns sehr darüber, wie viele externe Partner und Partnerinnen aus der Stadt Lust haben, ihre Perspektiven mit uns bei Zwinger X zu teilen – und dass es jede Menge Publikum gibt, die genau das sehen wollen.

Zuschauer sollen zwischen drei und 19 Euro bezahlen, so der Vorschlag. Wie sieht denn derzeit die Bilanz aus? Wer zahlt wie viel?

Felix Heimbach: Für eine belastbare Bilanz ist es noch zu früh, das werden wir natürlich am Ende der Spielzeit gemeinsam auswerten. Klar ist aber jetzt schon: Es gibt durchaus Menschen, die freiwillig 19 Euro bezahlen, weil sie in der Lage dazu sind. Und das ist die Idee dahinter. Wir bewerten unser Publikum nicht danach, wie viel sie bezahlen können – sondern vertrauen darauf, dass die Menschen, die zu uns kommen, diese Form der Solidarität ernst nehmen. Und wir haben den starken Eindruck, genau das wird von unserem Zwinger-X-Publikum angenommen.

Die neuen Formate sprechen ja eher ein jüngeres, also nicht so zahlungskräftiges Theaterpublikum an. In schnöden Zahlen ausgedrückt: Rechnet sich das?

Markus Strobl: Nehmen wir mal die Studierenden als Beispiel einer Gruppe, die möglicherweise nicht so viel Geld haben: Da haben wir, vergleichsweise neu, eine Studierenden-Theaterflatrate. Das bedeutet, alle Studierenden errichten mit dem Semesterbeitrag einen Pauschalbetrag – und im Gegenzug können sie einige Tage vor der Veranstaltung ohne weitere Zuzahlung auf Tickets bei allen Veranstaltungen zugreifen. Auch das ist ein sehr solidarisches Prinzip, weil Theater demokratisiert wird und auch jungen Menschen, die nicht in einem bildungsbürgerlichen Elternhaus aufgewachsen, der Zugang ins Theater erheblich vereinfacht wird. Da spielt es also gar keine Rolle, ob sie zu einer Zwinger-X-Veranstaltung kommen oder zu einer Aufführung im Musiktheater, sie müssen so oder so nichts bezahlen, weil das Theater die Einnahmen über den Pauschalbetrag generiert. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.

Derzeit zahlt der Zuschauer seinen Wunschpreis vor der Vorstellung, also beim Kartenkauf. Eine Alternative wäre, erst nach der Vorstellung zu bezahlen und so Gefallen oder Missfallen auszudrücken. Gibt es derartige Überlegungen?

Felix Heimbach: Unser Publikum bei Zwinger X lässt sich jeden Abend neu auf ein Experiment ein. Was also die jeweiligen Akteure und Akteurinnen auf der Bühne und die Zuschauenden verbindet, ist die Lust, diesen Abend miteinander zu verbringen. Eine Form der nachträglichen finanziellen "Bewertung" würde diesem Gedanken komplett widersprechen. Wir haben sowieso viel zu viele Benotungen in unserer Leistungsgesellschaft, da sollten wir die Bereitschaft, Geld für Kunst auszugeben, nicht auch noch derartig koppeln. Alle geben, so viel sie können und wollen, weil die Lebenssituationen nun mal bei Menschen sehr unterschiedlich sind – und nicht, weil damit etwas nach kapitalistischen Prinzipien beurteilt werden soll.

Bisher läuft dieses Bezahlexperiment ausschließlich bei Zwinger X. Ist es denkbar, dieses Modell auch für den Zwinger 3, den Marguerre-Saal oder den Alten Saal einzuführen? Oder für Konzerte?

Lene Grösch: Wir müssen nichts schönreden: Natürlich nehmen wir bei Zwinger X-Vorstellungen weniger Geld ein als bei regulären Vorstellungen im Zwinger oder im Marguerre-Saal. Und es ist wichtig, sich klarzumachen, dass Einnahmen durch Eintrittsgelder auch für ein öffentlich gefördertes Theater wie unseres finanziell essenziell sind. Anders formuliert: Würden wir ein solidarisches Preisprinzip flächendeckend bei allen unseren Veranstaltungen anwenden, müssten wir diese erhebliche finanzielle Lücke anderweitig schließen, um unsere Kunstschaffenden sowie Mitarbeitenden bezahlen zu können. Aus eigenen Mitteln wäre das einfach nicht möglich. Umso entscheidender ist es, dass unsere Theaterleitung dieses Prinzip bei Zwinger X als kulturpolitisches Signal voll unterstützt.

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