Heidelberg

Ursula Lehr ist mit 91 Jahren gestorben

Die Gründungsdirektorin des Instituts für Gerontologie und ehemalige Bundesministerin hat das Altersbild in Deutschland verändert.

27.04.2022 UPDATE: 28.04.2022 06:00 Uhr 1 Minute, 51 Sekunden
Zum zehnten Geburtstag des „Netzwerks Alternsforschung“ diskutierten Ursula Lehr und Andreas Kruse im Mai 2017 in der Alten Aula der Universität über das Thema „Altern, wie wir es sehen“. Kruse war am Institut für Gerontologie der erste Mitarbeiter, den Lehr 1986 eingestellt hatte. Foto: Rothe

Ein Nachruf von Andreas Kruse

Heidelberg. Spätestens mit der Gründung des Heidelberger Instituts für Gerontologie im Jahr 1986 etablierte Ursula Lehr die Alternsforschung als eigenständige wissenschaftliche Disziplin. Weit über Heidelberg hinaus bekannt wurde die Professorin, als sie am 9. Dezember 1988 von Bundeskanzler Helmut Kohl zur Ministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit berufen wurde. Zeit ihres Lebens blieb Ursula Lehr vielfältig engagiert. Am 25. April ist sie im Alter von 91 Jahren in Bonn gestorben. Ihr Nachfolger an der Spitze des Instituts für Gerontologie, der kürzlich emeritierte Prof. Andreas Kruse, würdigt Lehrs Wirken für die RNZ in einem Nachruf.

Prof. Dr. Ursula Lehr forschte und lehrte von 1986 bis 1998 an der Universität Heidelberg. Ursula Lehr, die im Fach Psychologie promoviert wurde und habilitierte, hatte vor ihrer akademischen Tätigkeit in Heidelberg Lehrstühle für Entwicklungspsychologie in Köln und Bonn inne; mehrere Rufe an andere Universitäten hat sie abgelehnt. Vor allem als Professorin in Bonn schuf sie die theoretisch-konzeptionellen und empirischen Grundlagen für eine Entwicklungspsychologie der Lebensspanne und trug maßgeblich zur wissenschaftlichen Identität der "Gerontologie" bei. Dabei verstand sie diese von Beginn an als ein interdisziplinäres, das heißt Methoden und Befunde aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenführendes Wissenschaftsprogramm.

Den Wechsel an die Universität Heidelberg begriff sie als eine hervorragende Möglichkeit, "Gerontologie" als eigenständige Disziplin zu etablieren. Das von ihr im Jahre 1986 gegründete Institut für Gerontologie war das erste dieser Art im deutschsprachigen Raum. Frau Lehr deutete die Tatsache, dass das Institut zeitgleich zur 600-Jahr-Feier der Ruperto Carola gegründet wurde, als Anspruch, sowohl in Forschung und Lehre als auch im Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in Gesellschaft und Politik Zeichen zu setzen. Das ist ihr in hervorragender Weise gelungen: In kurzer Zeit hat sie es verstanden, die Heidelberger Gerontologie international zu positionieren, einen sehr erfolgreichen, interdisziplinär konzipierten Aufbaustudiengang "Gerontologie" einzurichten und das Institut zu einem nationalen wie auch internationalen Ort der wissenschaftlich fundierten Politikberatung zu machen.

Ursula Lehr entwickelte eine biografisch orientierte Sicht auf das Alter, die das Individuum in seinen vielfältigen Bezügen zum Lebenslauf begreift. Die seelisch-geistige Potenzialentwicklung und -verwirklichung im höheren und hohen Alter bildete ein zentrales Gebiet ihrer Forschung, wobei sie gerade die Umsetzung dieser Forschungsbefunde in gesellschaftliche, kulturelle und politische Entwürfe eines gelingenden Alterns als wichtige Aufgabe begriff. Die Tatsache, dass sie im Jahr 1988 zur Bundesministerin berufen wurde, zeigt, wie deutlich ihre Stimme in der Politik vernehmbar war.

Frau Lehr hat es verstanden, das Altersbild in unserem Land wie auch in anderen Ländern tiefgreifend zu verändern. Dass Alter heute nicht mehr primär im Sinne von Belastungs-, sondern von Potenzialdiskursen thematisiert wird (ohne dabei die Grenzsituationen im Alter zu übersehen), ist vor allem ihr Verdienst. Was Frau Lehr zu einer solch eindrucksvollen Persönlichkeit machte, war nicht nur ihr Format in Forschung und Lehre. Es war auch ihr Ethos, ihre von tiefer Humanität geprägte Haltung, ihre Bescheidenheit und Natürlichkeit.

> Andreas Kruse leitete das Institut für Gerontologie von 1997 bis 2021.

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