"Spitze ist Heidelberg nur beim Klima-Marketing"
Die offiziellen Zahlen zu den CO2-Einsparungen seien nicht haltbar - Laut Prof. Mario Schmidt beruhen sie auf falschen Grundlagen

Archiv-Foto: Stefan Kresin
Von Denis Schnur
Heidelberg. Heidelberg lobt sich selbst gerne für den Klimaschutz – doch eigentlich gibt es keinen Grund dazu. Dieses Fazit zieht Klimaforscher Mario Schmidt im RNZ-Interview. Und er kennt sich aus. Schließlich war Schmidt einer der ersten, die sich in Heidelberg strukturiert um das Thema kümmerten: 1992 erstellte er mit dem Institut für Energie- und Umweltforschung (Ifeu) für die Stadt das erste Konzept zur Reduktion des CO2-Ausstoßes. Heute lebt der 59-jährige Physiker in der Weststadt und arbeitet als Professor für Ökologische Unternehmensführung an der Hochschule Pforzheim sowie an der Fakultät für Nachhaltigkeit der Universität Lüneburg.

Herr Professor Schmidt, Sie haben damals den städtischen Klimaschutz mit auf den Weg gebracht. Wie zufrieden sind Sie 27 Jahre später mit den Ergebnissen?
Überhaupt nicht! Das Einzige, in dem Heidelberg spitze ist, ist das Klima-Marketing. Es ist unglaublich, wo die Stadt sich überall als Musterknabe hinstellt. Ich höre Rundfunk-Interviews mit dem Oberbürgermeister in den USA oder lese über ihn in der Süddeutschen oder in der Zeit. Er besucht Kongresse auf der ganzen Welt, aber hier in Heidelberg passiert zu wenig.
Aber die CO2-Emissionen der Stadt sind seit 1987 klar gesunken.
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Das steht zwar in den jüngsten Berichten, ist aber so nicht richtig. Weder der Gesamtausstoß noch der Pro-Kopf-Wert sind wirklich gefallen.
Ihre Nachfolger am Ifeu schreiben etwas anderes. Demnach ist der Gesamtausstoß um 13 Prozent gesunken.
Das liegt vor allem daran, dass der Verkehr mit unterschiedlichen Methoden erfasst wurde. Als wir 1987 den Ausgangswert berechneten, haben wir vor allem den Ziel- und Quellverkehr berücksichtigt, der für Heidelberg ein großes Problem ist. Ist jemand von Sinsheim nach Heidelberg gependelt, haben wir die gesamte Strecke genommen und je zur Hälfte Sinsheim und Heidelberg zugeschlagen. Eine Art Verursacherprinzip. Heute macht man das territorial: Das heißt für Heidelberg zählen nur die Fahrten auf Heidelberger Gemarkung.
Und dadurch wird der Stadt weniger CO2 zugeschlagen?
Definitiv. Wie viel weniger kann ich nicht sagen. Aber korrigiert man das, dürften die Gesamtemissionen in etwa auf dem gleichen Niveau liegen wie vor 30 Jahren.
Aber das liegt auch daran, dass die Stadt gewachsen ist. Der Pro-Kopf-Ausstoß ist laut Ifeu um 30 Prozent zurückgegangen.
Auch diese Zahl habe ich kritisiert. Das Ifeu überarbeitet derzeit seinen Bericht. Denn statistisch ist die Bevölkerung zwar von damals etwa 140.000 Menschen auf heute 160.000 gewachsen. Aber in der Realität stimmt das so nicht: Damals lebten ja auch 15.000 bis 20.000 US-Amerikaner in der Stadt, die in keiner Statistik erfasst wurden. Das war ein militärisches Geheimnis. Aber die brauchten auch Energie und verursachten Verkehr.
Sollte das Ifeu die Zahl korrigieren: Was bliebe von der Einsparung?
Ich gehe davon aus, dass auch der CO2-Ausstoß pro Kopf in etwa gleich geblieben ist. Es ist doch sehr ernüchternd, wie wenig 30 Jahre Klimaschutz hier bewirkt haben.
Aber diese Stagnation ist immer noch mehr, als die meisten anderen deutschen Städte erreicht haben.
Das stimmt natürlich. Und es wurden auch wichtige Dinge umgesetzt. Bei den eigenen Gebäuden ist die Stadt vorangegangen und hat viel Energie eingespart. Auch bei den Stadtwerken hat sich was getan. Die Fernwärme-Versorgung war damals schon vorbildlich. Darüber hinaus waren sie, was den Klimaschutz betraf, aber ein verschnarchter Haufen. Unter Eckart Würzner wurden sie zu einem Unternehmen, das durchaus innovativ vorangeht. Außerdem muss man der Stadt zugutehalten, dass sie versucht, die Bürger mit Förder- und Beratungsangeboten zu bewegen. Das reicht zwar nicht, aber es ist deutlich besser als nichts.
Sie haben 1992 zum ersten Mal ein Konzept für den städtischen Klimaschutz entwickelt. Der Wille war ja offenbar da. Warum ist so wenig passiert?
In Heidelberg gibt es drei große Probleme für den Klimaschutz. Das erste ist der riesige Altbestand an Wohnungen. Da gibt es einen enormen Nachholbedarf an Sanierungen, weil 30 Jahre lang viel zu wenig getan wurde. Zudem sind die Uni und die Forschungseinrichtungen in der Stadt beim Klimaschutz weitgehend Totalausfälle. Die tragen alleine zu einem Fünftel der städtischen Emissionen bei – und da ist der Verkehr durch deren Mitarbeiter noch nicht eingerechnet. Und bei der Uni haben wir das Problem, dass der Rektor das Thema einfach nicht für wichtig hält. Stattdessen sagt er immer nur stereotyp, Klimawandel habe es schon immer gegeben. Andere Exzellenz-Universitäten sind da deutlich weiter.
Und das dritte Problem?
Es gibt zwei Dinge, über die ich mich als Pendler oft ärgere. An erster Stelle steht die Deutsche Bahn, aber direkt danach kommt die Heidelberger Verkehrspolitik. Die wird ja keinem Teilnehmer gerecht: Die Radfahrer schimpfen, die ÖPNV-Nutzer schimpfen, die Autofahrer schimpfen. Also wird niemand bevorzugt, könnte man sagen. Aber das reicht nicht für eine zukunftsorientierte Mobilitätspolitik.
Im Verkehr ist doch einiges passiert in den letzten 30 Jahren: Die S-Bahn wurde eingeführt, Kirchheim und die Bahnstadt mit der Straßenbahn angebunden.
Ja, die S-Bahn ist auch das Rückgrat des Regionalverkehrs. Aber innerstädtisch wurde viel zu wenig getan. Ich stamme aus Freiburg. Gefühlt gibt es jedes Mal eine neue Straßenbahnlinie, wenn ich dort bin. Es gibt ja durchaus Städte auch hier in der Region, die eine sehr fortschrittliche Verkehrspolitik gemacht haben. Denken Sie an Karlsruhe im Schienenverkehrsbereich. Das hatten wir 1992 auch eingefordert, aber passiert ist zu wenig.
Woran liegt das Ihrer Ansicht nach?
Hier wird eben gerne geredet und nicht gehandelt. Und ich fürchte, dass das die nächsten Jahrzehnte so weitergeht.
Aber als Klimaforscher müssten Sie den neuen städtischen Klimaschutz-Aktionsplan doch eigentlich begrüßen?
Da sind tatsächlich viele Punkte drin, die ich für sinnvoll halte. Wenn weitere erneuerbare Energiequellen erschlossen, Pendlerbuslinien eingerichtet und innerstädtische Flächen entsiegelt werden, ist das sicherlich gut und wichtig. Vor allem bei der Verkehrspolitik vermisse ich jedoch das "Big Picture", die Idee, wohin man hin möchte. Ich vermisse eine Offensive für flächendeckende Ladestationen für Elektroautos. Die Qualität und Dichte des ÖPNV-Angebots ist die Schlüsselfrage, wenn man Autofahrer zum Umstieg bewegen will, nicht der Ticketpreis. Außerdem scheinen mir die Maßnahmen zu einseitig: Wenn wir wirklich Autofahrer zum Umstieg bewegen wollen, brauchen wir neben Anreizen, den Pull-Faktoren, auch Push-Faktoren: Autofahren muss unattraktiver werden, etwa dadurch, dass die Zahl der Parkplätze reduziert und Parken teurer wird, oder man nach Elektroautos und herkömmlichen Autos unterscheidet.
Womit man sich unter Autofahrern natürlich keine Freunde machen würde.
Das Thema Klima wird so oder so jemandem wehtun. Wenn es uns heute nicht weh tut, dann wird es unseren Kindern und Enkelkindern wehtun. Und wer will das schon? Aber das ist den meisten Menschen in seiner Dramatik nicht bewusst.