"Eine sechste Neckarquerung ist wahrscheinlich unausweichlich"
Chef der Internationalen Bauausstellung zieht Zwischenbilanz - Ab sofort gilt für Michael Braum: "Kräne statt Pläne" - Er kritisiert die "Selbstverliebtheit" Heidelbergs

Michael Braum (2. von oben, graue Haare) und sein Team haben die IBA-Zwischenpräsentation erfolgreich gemeistert. Jetzt arbeiten sie weiter dafür, dass die Internationale Bauausstellung (IBA) bis 2022 das Gesicht Heidelbergs nachhaltig verändert. Foto: IBA Heidelberg
Von Sebastian Riemer
Heidelberg. Michael Braum hat anstrengende Wochen hinter sich. Der 64-Jährige leitet die Internationale Bauausstellung (IBA) - und die hat bei ihrer Zwischenpräsentation im Mark Twain Center in der Südstadt seit Ende April ein Mammutprogramm geboten: Bei mehr als 60 Veranstaltungen und 40 Führungen durch die Ausstellung kamen die IBA-Leute mit über 12.000 Menschen ins Gespräch. "Und viele von denen hatten vorher wenig mit der IBA am Hut", sagt Braum.
Am Freitag endete die Ausstellung nun - und zum Abschluss gab’s noch einmal ein sogenanntes IBA-Lab, bei dem der Festredner ordentlich Salz in die Harmonie-Suppe streute. Kein Problem für den IBA-Chef - für ihn waren diese zehn Wochen ohnehin eine Zeit der Selbstreflexion. Was dabei heraus kam und wieso es jetzt erst richtig losgeht, erklärt Michael Braum im RNZ-Interview.
Herr Braum, Sie haben in den letzten zehn Wochen viele neue Impulse bekommen. Was haben Sie gelernt?
Mir persönlich ist klar geworden, was für ein großes Rad wir im Patrick-Henry-Village (PHV) drehen: Wir wollen dort ein Modell für die Stadt von Morgen bauen. Und dafür brauchen wir jetzt noch viel mehr Power, dass das auch klappt!
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Benutzen Sie das Wort "Power" hier als Synonym für Geld?
Auch. Aber wir müssen zudem noch stärker Experten für Digitalisierung und künftige Mobilitätsformen einbinden. Wir brauchen interdisziplinäre Projektteams, in der Leute von Kommune, Land und Bund sitzen. Denn meine These lautet: Die Industrie 4.0 - also die digitale Umwälzung des gesamten Lebens - wird unsere Städte und unsere Gesellschaft ebenso stark verändern wie es die erste und zweite industrielle Revolution im 19. Jahrhundert taten. Und in PHV haben wir die Chance, für diese gesellschaftlichen Umwälzungen städtebauliche Lösungen zu finden. Dieser Herausforderung sollten wir uns nicht entziehen.
Und wer bezahlt’s?
Angesichts der Bedeutung dieses Vorhabens gehe ich schon davon aus, dass das Land hier mit in die Finanzierung geht - und natürlich hoffe ich, dass auch der Bund sich beteiligt.
Bisher hat sich das Land bei der IBA finanziell weitgehend schadlos gehalten.
Meine Hoffnung, dass das Land institutionell in die Grundfinanzierung der IBA einsteigt, habe ich inzwischen aufgegeben. Aber natürlich wollen wir eine Förderung der Projekte - und nicht nur für Patrick-Henry-Village.
Und wie sieht sie dann einmal aus, diese Stadt von Morgen?
Sie ist multitalentiert: Die Gebäude, Wege und Freiflächen werden für die unterschiedlichsten Dinge genutzt. Alle Funktionen überlagern einander. Wir werden nicht mehr als Standard die Drei- oder Vier-Zimmer-Wohnung bauen, sondern Räume und Gebäude, die Wohnen, Arbeiten und Freizeit ganz selbstverständlich vereinen. Und wir werden flexible Grundrisse haben, sodass sich die Häuser über die Jahre den sich verändernden Bedürfnissen der Nutzer anpassen. Und natürlich werden wir ein völlig anderes Verkehrssystem nutzen.
Die IBA endet 2022. Jetzt sollten wir Ihren Leitspruch für die ersten fünf Jahre - "Pläne statt Kräne" - langsam mal umdrehen, oder?
Genau das tun wir. Jetzt gilt "Kräne statt Pläne". Und aus Kandidaten und Projekten werden Projekte und Räume.
Die IBA endet 2022. Was muss bis dahin passiert sein, damit sie ein Erfolg ist?
Erstens: Unsere 17 Projekte sollten realisiert oder in der Umsetzung begriffen sein. Zweitens: Wir haben dann für PHV ein belastbares städtebauliches Konzept - und auch schon das ein oder andere Schlüsselgebäude. Und drittens: Wir haben auch für Bergheim und die Altstadt strategische Prozesse aufs Gleis gebracht, um diese Stadt fit für die Wissensgesellschaft zu machen - und natürlich wollen wir 2022 auch das Neuenheimer Feld mit innovativen IBA-Projekten aufgemischt haben.
Im Neuenheimer Feld sind es doch in erster Linie Verkehrsprobleme. Bitte einmal kurz die Gretchenfrage beantworten: Fünfte Neckarquerung, ja oder nein?
Also eine sechste Neckarquerung - die fünfte bauen wir ja hoffentlich mit der Radbrücke - ist wahrscheinlich unausweichlich. Aber vielleicht müssen da gar keine Autos drauf, sondern nur der öffentliche Nahverkehr. Das mit dem Individualverkehr wird in Zukunft so nicht weitergehen, so meine Prognose.
Wie wollen Sie es schaffen, dass die IBA nachhaltig weiter wirkt?
Wir möchten der Stadt 2022 einen Plan der "Wissensstadt von Morgen" für ganz Heidelberg übergeben. Da stehen Aufgaben drin - und Handlungsempfehlungen. Und dann hoffe ich, dass es eine Nachfolgeorganisation geben wird, etwa eine städtische Gesellschaft, die dran bleibt.
Bleiben Sie nach Ende der Internationalen Bauausstellung eigentlich in Heidelberg?
Ja, wir haben uns hier ein Haus gekauft und fühlen uns sehr wohl.
Dann könnten Sie ja gleich die Nachfolgeorganisation führen.
(lacht) Nein, ich bin dann 70. Da muss dann jemand Jüngeres ran.
Letzte Frage: Was haben Sie in Ihren sechs Jahren in Heidelberg gelernt?
Dass wir hier eine aufgeweckte, breit aufgestellte, offene Gesellschaft haben, die vitale Diskussionen führt. Aber auch, dass das dickste Brett die Selbstverliebtheit dieser Stadt ist: "Es ist alles so schön, da verändern wir nix." Diese Einstellung ist natürlich fatal, wenn wir für die Zukunft gerüstet sein wollen.