Heidelberg

Oberbürgermeister Würzner sieht für sich "sehr breite Unterstützung"

Eckart Würzner über Impfpflicht, Gratis-Nahverkehr und den Oberbürgermeister-Wahlkampf.

21.12.2021 UPDATE: 27.12.2021 06:00 Uhr 4 Minuten, 56 Sekunden
Oberbürgermeister Eckart Würzner. Archivfoto: Philipp Rothe

Von Sebastian Riemer & Holger Buchwald

Heidelberg. Seit 15 Jahren ist Eckart Würzner Oberbürgermeister Heidelbergs. Im November 2022 tritt er zum zweiten Mal zur Wiederwahl an. Im RNZ-Interview zum Jahresende erklärt der 60-Jährige, was ihn an den Grünen ärgert, wieso ihn die jüngste Irritation über seine Politik bei langjährigen Unterstützern nicht bange macht – und warum es die Impfpflicht aus seiner Sicht vielen Ungeimpften "leichter machen würde".

Herr Würzner, als kurz vor Silvester 2020 in Deutschland die Impfkampagne startete, dachten viele, 2021 werde ein deutlich besseres Jahr. Es kam anders. Hat Sie überrascht, wie sehr Corona auch dieses Jahr geprägt hat?

Ja, hat es. Weil ich einfach nicht gedacht hätte, dass wir durch die Virusvarianten wieder so massiv unter Druck geraten. Ich war überzeugt, dass wir in Deutschland bis Spätsommer eine höhere Impfquote erreichen.

Sie setzen sich stark für die Impfkampagne ein. Heidelberg steht ja auch vergleichsweise gut da. Zuletzt wurden immer wieder Politiker aus dem Umfeld radikaler Impfgegner und Querdenker bedroht. Sie auch?

Auch interessant
Heidelberg: Anwohnerparken sorgt für Zoff im Gemeinderat
Heidelberg: Doch kein Gratis-ÖPNV im Advent (Update)
Heidelberg 2021: Klappstuhl-Krach, Friseur-Hinterzimmer und Party-Hotspots
"Schalt’s Hirn ein!": Heidelbergs OB Würzner geht mit Impfgegnern hart ins Gericht

Nein. Natürlich kommen mal böse Briefe. Aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was Kollegen aus Thüringen oder Sachsen mir erzählen. Die werden teilweise massiv unter Druck gesetzt und bedroht. Das ist bei uns in Heidelberg zum Glück nicht so. Und zu unserer hohen Impfquote: Wir sind einfach eine Wissenschaftsstadt. In Heidelberg vertrauen wir den Fakten.

Sie haben bereits im Sommer eine Impfpflicht gefordert, als viele diese noch ausschlossen. Jetzt könnte sie kommen.

Anders geht es auch nicht. Eine Impfpflicht gibt den Menschen doch auch Klarheit und Sicherheit. Es war fatal, dass viele Politiker das vor der Bundestagswahl ausgeschlossen haben. Das ist für mich keine politische Frage, schon gar nicht für den Wahlkampf, sondern eine epidemiologische. Im Herbst war doch klar: Wenn in vielen Regionen – auch in Baden-Württemberg – von 100.000 noch 40.000 Menschen ungeimpft sind, dann reicht das nicht – egal bei welcher Virusvariante. Ohne Impfpflicht laufen wir von einer Welle in die nächste und verlängern das Leid für viele Menschen, wenn ich an die Kinder denke, an Jugendliche, an Senioren, an chronisch Kranke oder an Unternehmen, Künstler und Selbstständige, die um ihre Existenz kämpfen.

Gegner einer Impfpflicht fürchten eine weitere Spaltung der Gesellschaft durch diese Maßnahme. Sie nicht?

Dass radikale Impfgegner und andere Extreme sich diese Lage zunutze machen, überrascht nicht. Aber diese Gruppe ist klein. Viel größer ist die Gruppe normaler Leute, die irgendwie skeptisch, verunsichert oder nicht so gut informiert sind. Und vielen von ihnen würde man es mit einer Impfpflicht auch leichter machen.

Nun stehen wir wieder an der Schwelle zu einem neuen Jahr: Worauf freuen Sie sich im Jahr 2022?

Dass wir endlich den Knopf dran machen können an den Masterplan Neuenheimer Feld. Wir haben in Heidelberg über 200 wissenschaftliche Institute – an der Uni und außerhalb – mit über 20.000 Beschäftigten alleine an diesen Instituten. Der gewaltige Schatz, den wir da haben, bekommt jetzt endlich eine Zukunftsperspektive.

Fünf Jahre wurde der Masterplan diskutiert – und zuvor schon jahrelang über die Zukunft des Neuenheimer Feldes. Das Ergebnis ist nun: Die Straßenbahn, die schon 2016 planfestgestellt war, darf gebaut werden. Ist das nicht zu wenig?

Ich hätte mir dieses Ergebnis deutlich schneller erhofft. Aber es ist gut, dass wir jetzt eine sichere Grundlage haben.

Also stimmen Sie zu, dass das im Ergebnis zu wenig ist?

Nein, nicht zu wenig. Die Institute bekommen erhebliche Erweiterungsmöglichkeiten. Aber es kommt zu spät. Da muss ich auch selbstkritisch sagen: Diese Prozesse dauern bei uns einfach zu lange. Wir geben häufig Diskursen sehr viel Raum, die wir dann aber nicht politisch lösen. Da müssen wir konsequenter werden, um unsere Ziele schneller zu erreichen.

Was bedeutet das konkret – weniger Beteiligung von Interessenvertretern oder der Öffentlichkeit?

Nein, es braucht diese Dialogprozesse. Aber wir dürfen sie nicht so komplex machen. Da steigen die meisten Menschen erst gar nicht ein. Wir sprechen mit unseren komplizierten Prozessen vorwiegend gut organisierte Interessensvertretungen an. Wir brauchen eine klarere Agenda mit viel kürzeren Zeiträumen bis zur Entscheidung. Dann bekommen wir auch eine Beteiligung auf einer breiten Basis.

Herr Würzner, in 315 Tagen ist OB-Wahl in Heidelberg. Sind Sie schon im Wahlkampfmodus?

Nein.

Es wirkt aber auf manche so. Höhere Gebühren fürs Anwohnerparken, Gratis-Nahverkehr: Versuchen Sie mit solchen Themen nicht, den Grünen, die noch nach einer Kandidatin oder einem Kandidaten für die OB-Wahl suchen, das Wasser abzugraben?

Nein, so bin nicht gestrickt. Ich suche meine politischen Schwerpunkte nicht nach solchen Kriterien aus.

Wieso haben Sie denn den Plan, den Nahverkehr in Heidelberg schrittweise kostenlos zu machen, so plötzlich aus dem Hut gezaubert?

Es ist meine Aufgabe als OB, Themen in die politische Diskussion zu bringen. Die stufenweise Einführung des Gratis-Nahverkehrs in unserer Partnerstadt Montpellier und die guten Erfahrungen damit haben mich überzeugt: Zunächst werden die sozial Schwächeren, die Älteren und die Jüngeren entlastet. Ich bin überzeugt: Wir müssen Klimaschutz viel mehr sozial denken. Wir bauen seit Jahren den ÖPNV aus – aber die Preise etwa für die Schüler-Tickets steigen und steigen. Das können sich viele Familien kaum noch leisten. Deshalb sage ich mit Nachdruck: Mit mir wird es keine Klimaschutzpolitik gegen die Menschen geben.

Die Grünen warfen Ihnen einen nicht abgesprochenen Schnellschuss vor, und haben im Gemeinderat Ihren Plan, den ÖPNV an den Adventswochenenden gratis anzubieten, vereitelt – auch mit Verweis auf die Corona-Lage. Ist schon jetzt – elf Monate vor der OB-Wahl – mit Ihnen und den Grünen keine konstruktive Politik mehr möglich?

Ich versuche immer, mit Sachargumenten zu überzeugen – die zählten hier offenbar nicht mehr. Mich hat es geärgert, dass die Grünen da etwas zurücknehmen, was wir schon 2019 im Klimaschutzaktionsplan beschlossen haben. Deshalb davon zu sprechen, dass keine konstruktive Arbeit mehr möglich ist, das halte ich für übertrieben. Wir treffen die allermeisten Entscheidungen im Gemeinderat mit einer sehr breiten Mehrheit oder sogar einstimmig. Das wird leider nicht so oft thematisiert wie die Punkte, bei denen wir intensiv um die beste Lösung ringen.

Aber spielen Sie da nicht ein politisch riskantes Spiel? Dem gerade als Stadtrat zurückgetretenen Wolfgang Lachenauer, der Ihre Politik viele Jahre lang mitgetragen hat, ist Ihr Schwenk in der Klima- und Verkehrspolitik "zu krass". Die FDP zeigte sich nicht nur von Ihrem Vorstoß zum Gratis-Nahverkehr irritiert. Und auch die CDU hatte in letzter Zeit mehr Gesprächsbedarf mit Ihnen. Bröckelt Ihnen da ihre bürgerliche Basis weg?

Nein, das stimmt so nicht. Es ist völlig normal, dass man in einzelnen Punkten nicht zu 100 Prozent übereinstimmt. Aber ich habe sehr breite Unterstützung. Viele bitten mich, weiterzumachen. Die Heidelbergerinnen und Heidelberger wollen jemanden, der ausgleicht zwischen den politischen Lagern. Der Sachentscheidungen trifft. Der uns ruhig durch die Corona-Krise bringt. Der sozial handelt. Der die Stadt wirtschaftlich weiter stärkt. Der ...

... also das klingt jetzt aber doch stark nach Wahlkampf.

(lacht) Sie haben das Thema ja auch mehrmals angesprochen.

Zurück zu dem anderen Aufregerthema: Sie haben die Erhöhung der Gebühren fürs Anwohnerparken auf 120 Euro mitgetragen und dafür gestimmt – auch hier gegen die "Bürgerlichen".

Ja, weil ich finde, dass die Nutzung von öffentlichen Flächen nicht kostenlos sein kann – egal ob dort eine Imbissbude oder ein Auto steht. Eine Gebühr muss verhältnismäßig sein. Drei Euro im Monat war zu wenig. 360 Euro im Jahr sind zu hoch. Aber 120 Euro – zehn Euro im Monat – finde ich vertretbar. Ein Tiefgaragenstellplatz in der Innenstadt kostet schließlich 120 Euro im Monat! Aber der Gemeinderat muss das Modell weiter entwickeln, weil es zwischen den Stadtteilen noch nicht ausgewogen ist – zur Zeit gibt es ja nur in sechs von 15 Stadtteilen überhaupt Parkzonen mit einem Vorrang für Anwohner.

Wie passt diese Erhöhung zusammen mit Ihrem Satz von eben, dass Sie Klimaschutz stärker sozial denken wollen und es mit Ihnen "keine Klimaschutzpolitik gegen die Menschen" gibt?

Das passt zusammen, weil Heidelberg-Pass-Inhaber – also Menschen mit wenig Geld – von der Gebührenerhöhung ausgenommen sind. Und weil ich gegen eine noch stärkere Erhöhung bin.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.