Die Mathematik hinter dem Klimawandel
Wie die Wissenschaft den Klimawandel nachweist und warum sie ihn nicht gut vorhersagen kann

Von Denis Schnur
Heidelberg. "Ich will nicht, dass Sie mir zuhören", hat Greta Thunberg vor dem US-Kongress gesagt. "Ich will, dass Sie den Wissenschaftlern zuhören." Aber was genau sagen die? Und was können Mathematiker und Informatiker - die auf dem Heidelberg Laureate Forum vertretenen Disziplinen - beitragen, um diese Menschheitsaufgabe zu bewältigen?
Mit diesen Fragen setzten sich Preisträger und Nachwuchswissenschaftler im Rahmen des "Hot topics" auseinander - einer vierstündigen Veranstaltung, die jedes Jahr während des HLFs zu einem aktuellen Thema stattfindet. Und vier Tage, nachdem weltweit Millionen Menschen für mehr Klimaschutz auf die Straße gingen, könnte das Thema kaum brennender sein.
Die RNZ beantwortet die wichtigsten Fragen zur Mathematik hinter dem Klimawandel:
> Was sagen Mathematiker zum Klimawandel? Vor allem sagen die, die sich damit befassen: Der Klimawandel findet statt. Und er ist menschengemacht. Warum sie sich da so sicher sind? Weil Menschen wie Prof. Chris Budd von der University of Bath mathematische Modelle erstellen, mit denen man abschätzen kann, wie sich das Klima abhängig von der CO2-Belastung verändern wird. Aber das ist alles andere als simpel, wie schon Niels Bohr sagte: "Vorhersagen sind immer schwierig - vor allem über die Zukunft." Trotzdem sind Budd und seine Kollegen sicher, dass ihre Modelle zutreffen.
Auch interessant
Denn sie haben sie rückwirkend überprüft und geschaut, wie sich das Klima in den letzten Jahrhunderten hätte entwickeln müssen. Und siehe da: Rechnet man den menschlichen Einfluss raus, müsste es heute deutlich kälter sein. Und auch ohne Naturereignisse wie Vulkanausbrüche wäre es etwas kühler. Kombiniert man jedoch beides, passen die Berechnungen ziemlich gut zu den Temperaturentwicklungen. "Die Modelle sagen die Entwicklung gut voraus - auch wenn die Zweifler etwas anderes sagen", so Budd.
> Aber gibt es nicht auch Wissenschaftler, die nicht an den menschengemachten Klimawandel glauben? Doch. Es gibt Forscher, die ihn leugnen oder sich nicht sicher sind - zusammen etwa drei Prozent aller Experten, die sich damit befassen. Das bedeutet aber auch, dass sich 97 Prozent weltweit einig sind, dass der Klimawandel stattfindet und maßgeblich vom Menschen gemacht ist. "Das ist wahrscheinlich eine größere Zustimmung als bei dem Zusammenhang zwischen Tabak und Lungenkrebs", spitzt es Prof. Jennifer Marlon zu, die in Yale zur Kommunikation des Klimawandels forscht.
> Woran kann man den Klimawandel denn festmachen? "Das Klima ändert sich - und es ändert sich schnell", ist sich Budd sicher. "Der Meeresspiegel steigt. Und das Eis schmilzt." Das alles geschehe schneller, als man es erwartet habe. Und auch die Erderwärmung ist schon weit fortgeschritten: "Wir haben schon eine Steigerung von 1,1 Grad Celsius im Erdmittel erreicht", betont Prof. Sonia Seneviratne, die in Zürich forscht und das Internationale Wissenschaftspanel zum Klimawandel (IPCC) koordiniert. Davon sei der Mensch für ein Grad verantwortlich. Das habe schon ganz konkrete Auswirkungen: Massive Hitzewellen etwa in diesem Sommer in Frankreich mit 46 Grad Celsius, Waldbrände und Stürme.
> So weit, so schlimm. Aber wie entwickelt sich das in den nächsten Jahren? Bei dieser Frage stößt die Wissenschaft an ihre Grenzen. Zwar können Mathematiker die bisherigen Entwicklungen nachvollziehen, aber bei der Zukunft spielen zu viele Faktoren eine Rolle. So kann man zwar berechnen, wie sich die immer noch steigende Konzentration von Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre auf die Erdtemperatur auswirkt.
Aber diese Erwärmung hat wiederum Folgen, deren Einfluss man schwer abschätzen kann. Denn durch höhere Temperaturen schmilzt mehr Eis, steigt der Meeresspiegel, bilden sich andere Arten von Wolken. "Und Wolken sind schwer einzuschätzen. Wir wissen nicht, ob sie den Klimawandel verstärken oder abfedern", erklärt der Klimaforscher Prof. Tim Palmer von der University of Oxford. Wegen all dieser Faktoren könne man auch nur von Wahrscheinlichkeiten sprechen. Wenn sich der CO2-Anteil in der Atmosphäre im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter verdoppelt hat (derzeit sind wir bei gut 150 Prozent), könnte die Erdtemperatur im Mittel um 5 oder 6 Grad steigen - aber auch "nur" um 2 Grad.
"Die meisten Wissenschaftler halten etwa 2,5 Grad für wahrscheinlich", so Palmer. Aber eben auch nur für wahrscheinlich. Deshalb könnten auch die Auswirkungen zwischen "ungemütlich" und "katastrophal" schwanken. "Absolute Aussagen über den Klimawandel sind daher wissenschaftlich nicht haltbar."
> Es könnte glimpflich ausgehen? Wieso dann der ganze Aufwand, um das Klima zu schützen? Hier liegt die Betonung auf dem "könnte". Die Wissenschaftler können kein genaues Szenario vorhersagen, aber niemand geht davon aus, dass der Klimawandel gut ist. Die Frage ist eher, wie schlimm er wird. "Man muss auch nicht zu 100 Prozent wissen, was passiert, um zu handeln", so Seneviratne. "Du steigst ja auch nicht in ein Flugzeug, wenn du weißt, dass es mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent abstürzt." Das sieht auch Palmer so: "Niemand will das Risiko eingehen, dass der Klimawandel große Regionen des Planeten unbewohnbar macht." Denn auch wenn sich die Erde insgesamt nur um 1,5 Grad erwärme, könne das zur Folge haben, dass es in manchen Regionen sechs Grad heißer werde.
> Wie können wir besser vorhersagen, was passieren wird? Zunächst ganz simpel: Mit mehr und besserer Forschung. So weit sind sich die Wissenschaftler einig. Seneviratne fordert dazu vor allem schnellere Berechnungen - auch mithilfe von künstlicher Intelligenz. Ziel müsse sein, dass man in Echtzeit prognostizieren könne, wie sich Klimaschutzmaßnahmen auswirken. "Denn bislang wissen wir nur, was passiert, wenn wir weitermachen wie bisher." Um das zu ermöglichen, fordert Palmer eine Art "Cern" für die Klimaforschung: "Wir müssen das Thema genauso ambitioniert betrachten, wie es die europäischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg bei der Nuklearforschung getan haben." Denn dass es noch keine präziseren Prognosen gebe, liege auch an der mangelnden Rechenleistung. "Auf der nationalen Ebene fehlen die Ressourcen dafür."
> Eigentlich ist das Problem schon lange bekannt. Warum tut sich trotzdem so wenig? Darüber haben sich ebenfalls zahlreiche Wissenschaftler auf der ganzen Welt Gedanken gemacht. Prof. Paul Edwards von der Stanford University sieht die "massiven Desinformationskampagnen" etwa durch Ölkonzerne als einen Grund. Und auch seine Kollegin Marlon sagt: "Der Anteil der Klimawandel-Leugner liegt in den USA bei neun Prozent." Aber oft wirke es, als wären es 80 Prozent. "Diese Gruppe ist gut organisiert und finanziell gut ausgestattet." Zudem "lohnt" sich der Klimaschutz für Einzelne kurzfristig nicht, wie Manfred Milinski vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie hinzufügt. "Es ist einfach zu verführerisch, zu glauben, dass andere das abfedern." Zumal die meisten Menschen laut Marlon davon ausgehen, dass der Klimawandel sie selbst gar nicht betreffe: So seien zwar zwei von drei US-Amerikanern der Meinung, dass die Erderwärmung den Menschen schade. Dass sie selbst darunter leiden, denken aber nur 42 Prozent. "Wir neigen dazu zu glauben, dass wir immun dagegen sind", so die Professorin. Auch deshalb verlaufe die Umsetzung wirksamer Maßnahmen bislang so schleppend.
> Klingt nicht sehr optimistisch. Gibt es trotzdem Hoffnung? Hätte man Milinski diese Frage vor vier Monaten gestellt, hätte er ganz klar "Nein" gesagt. "Ich hatte keine Hoffnung, dass wir das menschliche Verhalten ändern können." Doch die Jugend, die weltweit bei "Fridays for Future" auf die Straße gegangen sei, lässt ihn zweifeln: "Wenn die so weitermachen, gibt es Hoffnung." Und auch die Klimaforscher sind zwar der Ansicht, dass die Menschheit schnell handeln muss, um irreversible Schäden zu verhindern - aber dass das eben immer noch möglich ist. "Wir wissen, was die Lösungen sind. Jetzt müssen wir sie auch umsetzen", fordert Marlon.