Kleingärten boomen
Momentan fehlen 200 Gartenparzellen - Gibt es eine neue Anlage? - Vereine haben auch Sorgen

Gartenidylle im Pfaffengrund: Auch die Schrebergärten im Diebsweg sind sehr begehrt. Foto: Paulsen
Von Micha Hörnle
Heidelberg. Auch wenn die Kleingartenvereine das Image haben, "spießig" zu sein, so ist der Andrang ungebrochen. Eine von der CDU beantragte Erhebung der Stadt hat ergeben, dass es mindestens 200 Interessenten gibt, die bei den zehn Kleingartenvereinen der Stadt auf der Warteliste stehen. Allein der größte Verein, der im Kirchheimer Loch am Messplatz, kommt auf 116 Bewerbungen um eine Parzelle - bei heute etwa 475 Mitgliedern.
Wollte man allen zu ihrem Recht verhelfen, müsste wohl ein ziemlich großes Gebiet neu ausgewiesen werden: "Geht man von 400 Quadratmetern pro Fläche aus", so der Leiter des Landschafts- und Forstamtes, Ernst Baader, "dann reden wir von bis zu 1,5 Hektar mehr. Solch eine Fläche kann man nicht an einen bestehenden Kleingartenverein andocken." Da ergebe sich die Frage, ob nicht irgendwo eine ganz neue Fläche einmal ausgewiesen werden könnte - Baader jedenfalls sagt: "Wir würden so etwas bejahen."
Hintergrund
Die ersten Kleingärten in der Stadt waren aus der Not geboren: Als zu Beginn des 19. Jahrhunderts wegen der Bevölkerungsexplosion die Verarmung in den Städten immer größer wurde, legten Fabrikbesitzer oder Stadtverwaltungen sogenannte Armengärten zur
Die ersten Kleingärten in der Stadt waren aus der Not geboren: Als zu Beginn des 19. Jahrhunderts wegen der Bevölkerungsexplosion die Verarmung in den Städten immer größer wurde, legten Fabrikbesitzer oder Stadtverwaltungen sogenannte Armengärten zur Selbstversorgung an. Die ersten Anlagen gab es bereits 1806 im damals dänischen Kappeln an der Schlei, 20 Jahre später entstand Ähnliches in 18 weiteren Städten. In Heidelberg findet man heute in fast jedem Stadtteil einen Kleingarten- oder Gartenverein. Es gibt den Bezirksverband der Gartenfreunde, den Kleingartenverein Maulbeeranlage, Kleingartenverein Stettiner Straße, Kleingärtnerverein Diebsweg, Kleingärtnerverein Heidelberg Stadt, Kleingärtnerverein Heidelberg-Wieb-lingen 1941, Kleingärtnerverein Kirchheim, Verein der Gartenfreunde Handschuhsheim, Verein der Gartenfreunde Himmelswiese, Verein der Gartenfreunde Löwenzahn Pfaffengrund und den Verein der Gartenfreunde Wieblingen-Nord. (ani)
Auch wenn die Vereine von Anmeldungen überschwemmt werden - so gehen oft in der Woche bis zu fünf Bewerbungen ein -, haben sie doch ihre Sorgen. Das fängt bei den Vorgaben des Bundeskleingartengesetzes an, an die sich nicht jeder Pächter halten will. So müsste eigentlich mindestens ein Drittel der Fläche für Obst und Gemüse vorbehalten sein - und auch für die Lauben gibt es Vorschriften, die oft nicht eingehalten werden. Deshalb soll mit Unterstützung der Stadt eine einheitliche Gartenordnung ausgearbeitet werden - auch, damit die Vereinsvorstände ein besseres Druckmittel gegenüber widerspenstigen Kleingärtnern haben.
Außerdem gibt es in den Anlagen einen Instandhaltungsrückstau, wie die Vereine beklagen, auch die städtische Förderung sei nicht hoch genug; und nicht zuletzt wäre es hilfreich, wenn das Landschafts- und Forstamt die Pflege der Außenanlagen übernehmen könnte. Fast noch größer sind die Sorgen, was das Ehrenamt angeht: Gerade junge Familien scheuen sich, bei den Kleingartenvereinen Verantwortung zu übernehmen - bei einer jährlichen Vergütung von 150 bis 715 Euro kein Wunder. Auch hier hoffen die Vereine auf Unterstützung der Stadt - gerade auch, was die im letzten Haushalt beschlossene neue Stelle eines "Ehrenamtskoordinators" angeht.
Immerhin hat die Stadt mittlerweile erkannt, dass Handlungsbedarf besteht. Vor knapp zwei Jahren übernahm der Regiebetrieb Gartenbau die Betreuung der Kleingartenanlagen, außerdem tagt eine Arbeitsgruppe aus städtischen und Vereinsvertretern. Und nicht zuletzt gab es auch im aktuellen Doppelhaushalt etwas mehr Geld für die Gartenkolonien: statt 34.000 Euro nun 58.000 Euro - davon 40.000 Euro für Investitionen.
Für die Stadt, so Umweltbürgermeister Wolfgang Erichson, eine sinnvolle Investition, denn die Kleingärten gelten als "Natur mitten in der Stadt" und haben gerade für die Insekten eine besonders wichtige Funktion - zumal meist die Verwendung von Unkrautvernichtern verboten ist. Die heutige ökologische Funktion von Kleingärten stand aber nicht Pate, als sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet wurden: Dem Leipziger Arzt Moritz Schreber (1808 bis 1861), der der späteren Gartenbewegung ihren Namen gab, ging es eher um die körperliche Ertüchtigung der Stadtbewohner durch die Arbeit im Grünen.
In Heidelberg entstanden die ersten Kleingartenvereine im Zweiten Weltkrieg, wie der im Kirchheimer Loch oder der in Wieblingen: In Zeiten der Lebensmittelrationierung sollten die Heidelberger die Gelegenheit haben, ihren Tisch mit frischen Produkten zu decken.