Jugend und Angehörige halten die Erinnerung an Hanau kraftvoll lebendig
Fünf Jahre nach Hanau: Eine Mutter, ein Handy voller Erinnerungen und Jugendliche, die gegen Rassismus aufstehen. Ein bewegender Abend in der Chapel.

Von Gaby Booth
Heidelberg. Das Handy ihres ermordeten Sohnes hat Emis Gürbüz auch an diesem Abend in der Chapel dabei. Sie sitzt neben jungen Menschen aus Heidelberg, die sich intensiv mit dem Attentat von Hanau befasst haben.
Die Muslimische Akademie hatte in Kooperation mit dem Interkulturellen Zentrum und dem Bündnis "Erinnern Verändern" zu einer besonderen Art des Gedenkens in die Heidelberger Südstadt eingeladen. "Es ist zwar kein klassischer Gedenktag, der ist am 19. Februar, aber Hanau ist an jedem Tag", führte Zehra Tuzkaya von der Muslimischen Akademie ein.
In der Nacht des 19. Februar 2020 erschoss der 43-jährige Tobias R. in der hessischen Stadt neun Menschen in kürzester Zeit: acht Männer und eine Frau. Sieben weitere wurden teils schwer verletzt. Kurz danach richtete er in seiner Wohnung seine Mutter und sich selbst. Sein Motiv: "Fremdenhass".
Im Zentrum der Veranstaltung in der Chapel stand das Gespräch mit der Mutter von Sedat Gürbüz, die auch nach über fünf Jahren nicht zur Ruhe kommt. Der 25-jährige Sedat war eines der neun Opfer. Um mit ihm in Verbindung zu bleiben, ist sein Handy, das die Polizei ihr übergab, so wichtig.
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Sie lädt es jeden Tag auf. Emis ist eine der aktiven Mütter, die dafür sorgen wollen, dass die Verbrechen nicht vergessen werden. "Solche Anschläge dürfen nie wieder passieren", sagt sie vor dem überwiegend jugendlichen Publikum.
Tobias R. mordete aus rassistischen Gründen, bestätigte das Bundeskriminalamt. Im Bücherregal seiner Eltern standen die gesammelten Reden von Adolf Hitler. Am Abend vor der Tat hatte er sich die Rede von AfD-Politiker Björn Höcke angesehen. Der Anschlag war nach Halle und dem Mord an Walter Lübcke der dritte rechtsterroristische Anschlag mit Todesopfern innerhalb von zwölf Monaten.
Damit solche Anschläge nicht wieder möglich sind, dafür setzt sich die Heidelberger Jugendgruppe "Bridges of Empowerment" ("Brücken zur Stärkung") ein. Seit gut zwei Jahren treffen sich Jugendliche mit internationaler Familienbiografie einmal wöchentlich, um sich mit Rassismus und Diskriminierung auseinanderzusetzen.
Das städtische Amt für Chancengleichheit hat dieses Projekt in Kooperation mit Mosaik Deutschland gestartet. Im alten Karlstorbahnhof beschäftigt sich die Gruppe mit Alltagsrassismus und gesellschaftlichen Zukunftsfragen. Die Attentate von Hanau sind ein durchgängiges Thema. Sie fuhren nach Hanau, sprachen mit Angehörigen der Opfer, fuhren nach Dachau.
"Erinnerung ist das Versprechen, nicht zu vergessen", dieser Satz fiel mehrmals. Damit die Opfer nicht vergessen werden, verlasen die Jugendlichen persönlich gehaltene Briefe an die Mordopfer: Ferhat Unvar, Hamza Kurtovic, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Paun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoglu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin.
Das Attentat steht bis heute für die Bedrohung durch Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus in Deutschland. In Hanau hat sich die "Initiative 19. Februar" gegründet, die auch die Pannen von Behörden und Polizei aufarbeiten will. Der Notausgang des Lokals war unrechtmäßig geschlossen, der Notruf funktionierte nicht.
Der 22-jährige Vili Viorel Paun, der die ersten Morde beobachtet hatte, versuchte mehrmals, den Notruf zu erreichen, bevor er selbst getötet wurde. Sein Vater war am Freitagabend ebenfalls in die Chapel gekommen. "Lasst uns gemeinsam solidarisch sein und für eine Welt eintreten, in der Rassismus und Hass keinen Platz hat", forderte Emis Gürbüz unter Beifall.
Info: Die 3-Sat-Dokumentation "Das Deutsche Volk" (bis 3. Dezember in der Mediathek) widmet sich dem Hanau-Attentat.



