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Cosima Stawenow hat gelernt, ihre Krankheit radikal zu akzeptieren

Die 42-Jährige verarbeitet ihre unheilbare Krebserkrankung mit eigenen Gedichten.

18.11.2023 UPDATE: 18.11.2023 06:00 Uhr 3 Minuten, 47 Sekunden
Cosima Stawenow spricht im Café Leitstelle über ihre Gedichte: „Ich bin der Krankheit dankbar dafür, dass ich schreiben darf.“ Foto: Philipp Rothe

Es kommt der Tag an dem du wirst.
Es kommt der Tag an dem du wirst
gebettet
In Windeln, Schläuche und Katheter
Mit Beuteln, Nadeln und
Manschetten
Wie viele weißt du nicht.
Was dich verlässt
ist ab sofort Vergangenheit
was in dir bleibt
ist nur ein Rest von Sicherheit
dass alles einmal anders war.

***

Von Holger Buchwald

Heidelberg. Das Café Leitstelle in der alten Feuerwache, an einem Donnerstag im November. Passender könnte der Ort nicht sein, in dem diese selbstbewusste und offene Frau mit ruhiger Stimme ihre Geschichte erzählt.

Cosima Stawenow, 42 Jahre, Texterin, Unternehmerin und Dichterin, dreifache Mutter. Ihre Diagnose: unheilbarer Gallengangskrebs. Gleich nebenan, im Dezernat 16 ist Stawenows Büro. In der 60er-Jahre-Wohnzimmeratmosphäre der "Leitstelle" mit Plüschsessel und Couch erzählt sie von ihrem Herzenswunsch. Sie möchte gerne ihre selbst geschriebenen Gedichte, die seit ihrer ersten Operation manchmal förmlich aus ihr heraussprudeln, als Buch herausgeben und damit anderen Menschen und deren Angehörigen in ähnlichen Situationen Mut machen und Trost spenden.

Die statistische Lebenserwartung nach Diagnosestellung beträgt bei Gallengangskrebs etwa 16 Monate. Cosima Stawenow hat das nun schon um zehn Monate überlebt. Es war im Urlaub mit der ganzen Familie, im südfranzösischen Fréjus, wo die Ärzte in der Notaufnahme endlich herausfanden, was diese zermürbende Übelkeit auslöste, unter der die junge Frau schon seit einem Jahr immer wieder litt. "Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon einen Tumor in der Leber, der etwa zwölf Zentimeter groß war", erinnert sich Stawenow.

Zurück in Heidelberg wurde sie im Krankenhaus Salem eine Woche intensiv untersucht und dann sofort für die Operation ans Universitätsklinikum überwiesen. "Die Ärzte haben einen großen Teil meiner Leber herausgeschnitten und die Gallenblase komplett entfernt." Direkt im Anschluss musste Stawenow die erste Chemotherapie machen, um die Gefahr der Metastasen-Bildung zu reduzieren. Die Nebenwirkung: Schläfrigkeit. "An manchen Tagen war ich nur vier Stunden auf den Beinen. Aber dann war ich hellwach. Ich konnte mich konzentrieren, hatte Power, um Gedichte zu schreiben."

Nicht in Auftrag gegebene Texte zu verfassen, war für Stawenow etwas Neues. "Die Gedichte waren auf einmal da, sie mussten raus", sagt die 42-Jährige. Ein Pfleger des Uniklinikums habe sie dazu inspiriert. Als Stawenow nach der Operation keinen Bezug mehr zu ihrem Körper hatte und ihr Bewusstsein schon eine andere Ebene erreicht hatte, trug er ihr Gedichte vor. Sie fielen auf fruchtbaren Boden, denn Stawenow hat Literaturwissenschaft studiert. Inzwischen spielen ihre eigenen Gedichte eine zentrale Rolle in ihrem Leben: "Sie entstehen im Jetzt. Zeit spielt keine Rolle mehr." Stawenow geht sogar noch einen Schritt weiter: "Ich bin der Krankheit dankbar dafür, dass ich schreiben darf."

Sechs Monate war Stawenow krebsfrei. An dem Tag, an dem sie nach längerer Krankschreibung wieder bei der Arbeit einsteigen wollte, kam aber die bittere Nachricht: Der Krebs hatte gestreut. Im Herbst darauf folgte die nächste Immun- und Chemotherapie. Dieses Mal bekam Stawenow die Medikamente aber nicht mehr als Tabletten, sondern intravenös verabreicht. "Die Behandlung hat eine Autoimmunreaktion ausgelöst", erinnert sich die Patientin. Die daraus resultierende Darm- und Leberentzündung war lebensbedrohlich.

Am 2. Januar dieses Jahres fasste die junge Frau daher den radikalen Entschluss, keine neue Therapie mehr zu machen. "Damit hätte ich meine Lebenserwartung ohnehin nur um statistische vier Monate erhöht", schildert die 42-Jährige ihre Beweggründe: "Zeit hat für mich aber keine Bedeutung mehr. Ein erfüllendes Leben wird nicht nach der Quantität bemessen."

Mutig fasste Stawenow stattdessen den Entschluss, etwas Neues zu wagen und ganz alleine durch Asien zu reisen. Sie buchte ein Flugticket nach Goa – nur einen Hinflug. Zwei Monate reiste sie im März und April durch Südindien und Thailand, lernte viele Menschen und ganz andere Kulturen kennen.

Zuvor hatte sie ihren drei Kindern im Alter zwischen 7 und 14 Jahren erzählt, dass sie unheilbar krank sei und sie nicht wisse, ob, wie und wann sie sterben werde. "Das war eine schwierige Hürde", sagt Stawenow: "Die Kinder sind das Einzige, warum ich manchmal das Ganze nicht wahrhaben will." Darüber hinaus hat sie aber gelernt, ihre Krankheit radikal zu akzeptieren. "Es gibt für mich kein Irgendwann mehr. Ich kann nichts auf später verschieben."

***

Was wird ohne Dich auf Erden?
Du – Studentin
Ich – Patientin
Ich sollt sterben
Du solltst werden.
Miss an Tiefe
Nicht an Länge
Unser Leben.
Steige, falle
Wenn wir schliefen –
Schläfst du den schönsten
Schlaf von allen.
Leicht, vollkommen
Du – die Erste.
Ich – die Schwerste.

***

Diese Zeilen schrieb Stawenow am 24. Januar 2022, dem Tag, an dem ein 18-Jähriger schwer bewaffnet einen Hörsaal im Neuenheimer Feld stürmte und eine 23-jährige Studentin erschoss. Die Autorin wollte gerade aufbrechen zu ihrer Behandlung im benachbarten Klinikum, als sie von dem Amoklauf erfuhr. "Die Tat hat mich sehr bewegt", erinnert sie sich. Daher habe sie diese in einem Zwiegespräch mit der Getöteten verarbeitet.

Etwa 60 weitere Werke finden sich in dem Manuskript zum Gedichtband "Unverletzt". Ihr Geschäftspartner Dirk Welz, mit dem Stawenow die Agentur "Leading Edge Kommunikation" betreibt, helfe ihr, das Buch herauszubringen, berichtet die Autorin. 12.000 Euro benötigt sie, um das Werk zu veröffentlichen, aber auch für die Finanzierung ihres Testaments und ihrer Grabstätte, die Steuern der letzten Jahre als Unternehmerin und ihre Einnahmeausfälle aufgrund ihrer Erwerbsminderung.

Auf der Crowdfunding-Plattform "GoFundMe" läuft eine Kampagne, die bereits mehr als die Hälfte des benötigten Geldes eingespielt hat. "Viele meiner Freunde haben mir ihre Hilfe angeboten", erklärt sich Stawenow den Erfolg der Kampagne: "Jetzt sind sie glücklich, dass sie etwas tun können."

Wie viel Zeit ihr selbst noch bleibt, um ihr Buch in Händen halten zu können, weiß Stawenow nicht. Sie kann schlecht atmen, die Metastasen wachsen in die Bronchien. Ein Morphiumpflaster hilft ihr, sich zu entspannen. Mit dem Gedichtband möchte sie sich prophylaktisch von allen Personen in ihrem Umfeld verabschieden. Sie lebt in dem Bewusstsein, dass jede Begegnung die letzte sein könnte.

Ihre Grabstätte auf dem alten Friedhof in Ziegelhausen hat sie schon ausgesucht. "Auf einem meiner Spaziergänge dort habe ich eine schöne Stelle gefunden." Angst vor dem, was kommt, hat Stawenow nicht: "Es ist auch Leben. Ich glaube nicht, dass es ein Ende ist."

Info: Mehr zur Crowdfunding-Kampagne von Cosima Stawenow: www.gofundme.com/f/unverletzt-gedichte-und-mehr

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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