Heidelberg

Alban von Stockhausen ist neuer Leiter des Völkerkundemuseums

Der Geschichtenerzähler: Er will mit seiner Arbeit Perspektiven auf die Welt eröffnen.

06.08.2023 UPDATE: 06.08.2023 06:00 Uhr 3 Minuten, 34 Sekunden
Ist von Asien begeistert: Alban von Stockhausen im Garten des Völkerkundemuseums. Foto: Sabine Arndt

Von Alexander Wenisch

Heidelberg. Stillsitzen kann er kaum. Nicht, weil Alban von Stockhausen ein nervöser Typ wäre, sondern weil der neue Leiter des Völkerkundemuseums nur so sprüht vor Ideen. Und weil er begeistert ist von seinem Fach. Dann erzählt der Ethnologe von seiner Zeit, als er im Himalaja lebte oder von den Ausstellungen, die er kuratiert hat. Und was er so vor hat in Heidelberg. Dann gestikuliert er viel und ausladend und strahlt.

Seit Anfang des Jahres ist der 45-Jährige der neue Chef im Völkerkundemuseum, vor einigen Wochen wurde er auch offiziell in das Amt eingeführt. Verbindungen nach Heidelberg hatte er bisher nur insofern, als dass sein Vater Hans-Gottfried, ein Glasmaler, ein Fenster in der Heiliggeistkirche gestaltet hat. Dabei kennt Stockhausen weite Teile der Welt.

1978 in der Nähe von Stuttgart geboren, ging Stockhausen in Winnenden aufs Gymnasium. Verbrachte die letzten zwei Jahre seiner Schulzeit in Dublin. Zum Studium zog es ihn dann nach Zürich, wo er Dokumentarfilm studieren wollte, aber keinen Platz bekam. Also entschied er sich spontan für Ethnologie. "Eigentlich zunächst ein Park-Studium", erzählt Stockhausen. Doch dann hat ihn sein Professor Michael Oppitz, ein Experte für Schamanismus, begeistert. Schon im dritten Semester schickt ihn Oppitz zu einer Forschungsreise – nach Nepal in ein abgelegenes Dorf. Die rudimentäre Wegbeschreibung hatte er ihm auf einen kleinen Zettel notiert.

Nepal wird Stockhausen so schnell nicht mehr loslassen. Später forscht er in Nagaland im Nordosten Indiens bei ehemaligen Kopfjägern. Identität ist hier sein Thema. Zweieinhalb Jahre lebt Stockhausen mit Frau und Tochter bei den Dumi-Rai, einer Lokalkultur in Ostnepal, wo der junge Ethnologe (er spricht auch Nepali) die Rituale der Einheimischen beobachtet und begleitet.

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Er dokumentiert die Jenseitsvorstellungen der Menschen, die die Erinnerung an ihre Ahnen in der Landschaft verorten. Er lässt sich die berührenden Geschichten dazu erzählen. Über Monate wandert der Ethnologe durchs Gebirge, um die Stätten der Verstorbenen aufzusuchen – und die GPS-Daten zu speichern. Am Ende macht Stockhausen daraus eine virtuelle Karte, die die Mythen der Dumi-Rai in der realen Welt verortet.

Daran zeigen sich aber zwei Themen, für die der Museumsleiter brennt: "Ich bin sehr technikaffin", sagt er einerseits. Informatik habe er auch mal kurz studiert und ist momentan fasziniert von den Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz. Andererseits ist er ein fast klassischer Erzähler. Er will in einem Museum nicht nur ausstellen, er will die Geschichten hinter den Objekten erlebbar machen.

Dem Heidelberger Museum will der neue Chef einen "Digitalisierungsschub" verpassen – sobald genug Geld dafür da ist. Dann soll es medienbasierte Touren durch die Ausstellungen geben: zu verschiedenen Themen, für unterschiedliche Ansprüche, aus mehreren Blickwinkeln. So soll es bei jedem Besuch "etwas Neues zu entdecken" geben.

Denn davon gibt es genügend. Derzeit bietet die Sonderausstellung "Staub und Seide" alte und neue Perspektiven auf die Seidenstraße. Dauerhaft ausgestellt werden sollen aber auch große Teile der Sammlung. Sie enthält Kunstwerke und ethnographische Objekte aus Asien, Afrika und Ozeanien, die Victor und Leontine Goldschmidt vor über 100 Jahren zusammengetragen haben. Insgesamt lagern etwa 45.000 Objekte in den Magazinen des Hauses. "Eine einzigartige Sammlung", wie Stockhausen sagt. Die berühmte Asmat-Sammlung, eine Leihgabe, wurde inzwischen weitergegeben an das Humboldt-Forum in Berlin.

Das "Immaterielle" sichtbar machen: So beschreibt Stockhausen seinen Ansatz. Der Ethnologe will so ganz in der Tradition seiner Profession neue Perspektiven auf die Welt eröffnen, denn er ist überzeugt: Hinter den statisch wirkenden Objekten stecken Antworten auf die Grundfragen des Menschseins. Wer bin ich, wo komme ich her, wo gehe ich hin? So will der Museumsmacher die Wahrnehmung der Besucher schärfen – dass es auf die gleichen menschlichen "Probleme" ganz unterschiedliche kulturelle Antworten gibt. Das ändere den Blick auf das eigene Weltbild und fördere Toleranz, ist er überzeugt. Ethnografische Museen müssen sich neu erfinden, den "klassischen historischen Blick" aufbrechen.

Stockhausen will das Haus, das etwas versteckt in der hinteren Altstadt liegt, denn auch öffnen für ein breiteres Publikum. Das hat er, der in den vergangenen Jahren auch schon in England und Österreich gearbeitet hat, in den vergangenen Jahren in Bern vorgemacht. Dort war Stockhausen sieben Jahre lang Kurator am Historischen Museum. Für Aufsehen sorgte er mit einer Ausstellung über den japanischen "Mythos" Samurai, zu dem er auch Fantasy-Fans einlud und Ninjago-Figuren von Lego integrierte. So will er, wie er sagt, "die Spielregeln verschieben", die normalerweise in Museen herrschen.

Einige Job-Angebote anderer Museen in Europa habe er in den vergangenen Jahren abgelehnt, erzählt Stockhausen. Heidelberg hat ihn gereizt, weil er hier noch etwas gestalten könne. Das Haus – das denkmalgeschützte barocke Palais Weimar – will er "aus dem Dornröschenschlaf" erwecken. In den vergangenen drei Wochen, erzählt er, wurde durchgeputzt, dann haben sein Team und er für die nächste Ausstellung geschreinert. Stockhausen packt gerne mit an. Das wird auch nötig sein: Die von 1710 bis 1714 gebaute Residenz mit ihren hohen Räumen, großen Fenstern, mit ihrem Stuck und den Deckenmalereien muss dringend saniert werden.

Der Museumsdirektor hat wohl einen der schönsten Arbeitsplätze in der Altstadt. Am liebsten sitzt er – wie auch während dieses Gesprächs – für eine Pause mit starkem schwarzen Kaffee in dem großen Garten des Palais mit Blick auf den Neckar. Klassische Konzerte hat er hier schon zusammen mit dem "Heidelberger Frühling" veranstaltet, die "Filmtage des Mittelmeers" luden im Juli zum Open-Air-Kino ins Völkerkundemuseum. Und im Schatten alter Bäume und großer Büsche will Stockhausen ein Café einrichten, auch so eine seiner vielen Ideen, um Besucher anzulocken.

Denn Stockhausen liebt die Natur. In den vergangenen Jahren lebte er mit seiner Frau, die ebenfalls Ethnologin ist, und den beiden Kindern in einem Berner Bauernhaus. Jetzt wohnt die Familie mitten in der Altstadt. Mit Blick auf die Heiliggeistkirche, in der sein Vater als Künstler schon eine Geschichte erzählt hat.

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