Welche Schule nach der Grundschule?
Zwei Experten erklären, worauf Eltern bei der Schulwahl achten sollten – und warum Noten nicht alles sind.

Von Evelyn Steinbach, dpa
Einfach ist die Entscheidung selten. Zwei Schulexperten erklären, worauf es ankommt – und wie Eltern diese Phase gelassen durchlaufen.
Nach der Grundschule: Welche Schulformen stehen zur Auswahl?
Nach der vierten Klasse (in Berlin und Brandenburg nach der sechsten) wechseln Kinder auf eine weiterführende Schule der sogenannten Sekundarstufe I. Diese Möglichkeiten gibt es:
– Gymnasium: Führt in acht oder neun Jahren zum Abitur. Bietet eine vertiefte, theoretisch orientierte Bildung.
– Gesamt- oder Gemeinschaftsschule: Vereint Hauptschule, Realschule und Gymnasium unter einem Dach – oft ohne frühe Selektion. Vor allem bei Gemeinschaftsschulen wird auf eine Einteilung in A-, B- oder C-Klassen verzichtet. Verschiedene Abschlüsse sind möglich.
– Realschule: Vermittelt eine erweiterte Allgemeinbildung. Abschluss meist nach Klasse 10 mit der Mittleren Reife.
– Hauptschule: Bietet eine grundlegende Allgemeinbildung und endet in der Regel nach der 9. oder 10. Klasse.
– Förderschulen: Für Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf.
– Private und alternative Schulen: Etwa Internationale Schulen, Waldorf- oder Montessorischulen mit eigenen pädagogischen Konzepten, sie kosten oft Schulgeld.
Viele Schulen setzen zudem Schwerpunkte – zum Beispiel in MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik), Musik, Sport oder Fremdsprachen.
Nach der Sekundarstufe I erwirbt ein Teil der Schülerinnen und Schüler einen Hauptschulabschluss oder einen mittleren Abschluss, für andere geht es direkt in die Sekundarstufe II weiter, mit dem Ziel, das Abitur oder vergleichbare Schulabschlüsse zu machen.
Was zählt bei der Schulwahl?
Welche Schule geeignet ist, hängt nicht allein von Noten ab. Die Grundschule spricht eine Empfehlung aus – in einigen Bundesländern ist sie bindend, in anderen nur beratend.
"Bevor Lehrer eine Empfehlung geben, findet eine Klassenkonferenz statt", sagt Gerhard Brand, Bundesvorsitzender im Verband Bildung und Erziehung (VBE). "Jedes Kind wird besprochen." Dabei fließen auch Faktoren wie Resilienz, Selbstständigkeit und Motivation mit ein. "Man schaut sich an: Ist das Kind belastbar? Kann es mit Druck umgehen?", so der Vertreter der Pädagogen-Gewerkschaft. Und auch: "Folgt es einem eigenen Antrieb? Oder muss es angetrieben werden?"
Britta Baumanns, Psychologin und Leiterin der Schulpsychologischen Beratungsstelle im Kreis Kleve, weiß: "Kinder, die in der Grundschule erfolgsverwöhnt sind, können in der weiterführenden Schule Frust erleben, weil neue Anforderungen an sie gestellt werden."
Gut sei, wenn Kinder schon Lernstrategien entwickelt haben, die sie auf der nächsten Schule weiter anwenden können. Auch sollte ein Kind in der Grundschule gelernt haben, sich selbst zu organisieren und auch sein Lernmaterial zusammenzuhalten, so die Schulpsychologin.
Gesamtschule oder Gymnasium?
Für die meisten geht es um die Entscheidung zwischen Gymnasium, das vor allem auf ein Studium vorbereiten soll, und der Gesamt- oder Gemeinschaftsschule. Kinder mit unterschiedlichen Stärken profitieren häufig von der Gesamtschule – zum Beispiel, wenn sie sprachlich besser sind als in Mathe, so Baumann: "Sie können dort ihre Stärken besser ausleben". Und: Die Schule kann innerhalb eines Fachs zwei bis drei Lernniveaus anbieten.
Gerhard Brand hebt hervor, dass die Vielfalt der Kinder auf Gesamtschulen das soziale Lernen fördert. Zudem haben Kinder die Möglichkeit, ihre Leistungen im Laufe der Schuljahre anzupassen – und so einen höheren oder niedrigeren Schulabschluss zu erlangen – ohne die Schule wechseln zu müssen.
Gleichzeitig sieht der Pädagoge die Vorteile des Gymnasiums: "Dort ist eine zielgerichtete Förderung und stärkere fachliche Orientierung möglich, weil die Lerngruppe homogener ist."
Checkliste für Eltern: Worauf achten?
Steht die Schulform fest, zählen die Unterschiede der einzelnen Schulen. Ein Tag der offenen Tür bietet die Chance, sich mit dem Kind die Schule anzusehen – und konkrete Eindrücke zu gewinnen.
- Profil und Angebote: Welche Schwerpunkte gibt es? Welche Fremdsprachen, Wahlfächer, AGs, Austauschprogramme? Projekte wie Orchester und Theater?
- Ausstattung und Betreuung: Gibt es Rückzugsräume, eine Mensa und Nachmittagsbetreuung? Man kann sich auch über Fördermöglichkeiten informieren, rät Britta Baumanns. "Und so erkennen: Schafft mein Kind das?"
- Digitalisierung: Wie gut ist die technische Ausstattung? Gibt es Tablets oder digitale Lernplattformen?
- Atmosphäre: Wie ist der Ton unter Schülern? Wie treten die Lehrkräfte auf? Gerhard Brand: "Eltern sollten sich von ihrem Gefühl leiten lassen: Wie wirkt das soziale Miteinander, wie offen ist die Schule?"
Auch schulpsychologische Dienste und kommunale Bildungsbüros können bei der Entscheidung helfen. Wertvoll sind zudem Gespräche mit Familien, deren Kinder die Wunschschule bereits besuchen. Und nicht zuletzt zählt der Alltag: Ist der Schulweg machbar? Auch im Winter, auch ohne Elterntaxi?
Eltern entscheiden – aber nicht allein
Rein rechtlich liegt die Entscheidung darüber, welche Schulform das Kind nach der Grundschule besuchen soll, bei den Eltern. "Das Kind sollte aber mit einbezogen werden", empfiehlt Baumanns. Die Schulwahl der Freunde kann eine Rolle spielen, sollte aber nicht das einzige Kriterium sein.
"Wenn alle Freunde auf die Realschule gehen, das Kind aber andere Potenziale hat, sollten Eltern sinnvoll entscheiden", sagt Gerhard Brand. Sein Rat: Keine kurzfristige Entscheidung treffen. In der neuen Schule finde das Kind auch Freunde.
Was tun, wenn die Schulwahl nicht passt?
Nicht immer zeigt sich sofort, ob die gewählte Schulform passt. "Wenn die Schule doch nicht die richtige war, ist das kein Drama. Wir haben ein durchlässiges Schulsystem, so dass ein Wechsel meistens schnell möglich ist", so Britta Baumanns. Etwa durch ein Beratungsgespräch, eine Aufnahmeprüfung oder eine Probezeit auf der neuen Schule.
Dennoch mahnt Gerhard Brand auch hier zur Weitsicht: "Ein Kind hat immer die Möglichkeit zu wechseln, aber der Abstieg – etwa vom Gymnasium zur Realschule – belastet." Eltern sollten von Anfang an realistisch bleiben und den Erwartungsdruck nicht zu hoch ansetzen.
Sein Appell: gelassen bleiben. Die Schulwahl ist wichtig – aber nicht endgültig.