Das zögerliche Design der neuen E-Autos
Fast jeder Hersteller baut jetzt E-Autos, wie der Autosalon in Genf zeigt

Genf (dpa) - Alles auf Akku getrimmt: Die Hersteller übertrumpfen sich auf dem diesjährigen Genfer Autosalon (7. bis 17 März) gegenseitig mit neuen Elektroautos. Doch die Fahrzeuge sehen oft aus wie immer - nur Details deuten darauf hin, dass kein Verbrenner mehr werkelt. Warum das so ist, erläutert Designprofessor Paolo Tumminelli von der TH Köln auf einem Rundgang durch die Hallen des Palexpos.
Hintergrund
Autodesign beeinflusst laut Designprofessor Paolo Tumminelli die Reaktionen anderer Verkehrsteilnehmer. Gerade im Zusammenhang mit der E-Mobilität ergäben sich neue Möglichkeiten. So wirke der derzeit auf dem Genfer Autosalon gezeigte Honda "e", ein Prototyp eines
Autodesign beeinflusst laut Designprofessor Paolo Tumminelli die Reaktionen anderer Verkehrsteilnehmer. Gerade im Zusammenhang mit der E-Mobilität ergäben sich neue Möglichkeiten. So wirke der derzeit auf dem Genfer Autosalon gezeigte Honda "e", ein Prototyp eines elektrischen Kleinwagens, im Gegensatz zum derzeit verbreiteten aggressiven Look sympathisch.
Statt Scheinwerferschlitzen besitzt das japanische Modell große Rundscheinwerfer. "Sie wirken freundlich wie die Augen eines Teddybären", so Tumminelli. Die Botschaft, die ein solches Design aussende: Ich bin dein Freund, nicht dein Feind.
Weil sich die Optik am Heck mit runden Leuchten wiederhole, sei auch die Botschaft an den rückwärtigen Verkehr positiv: Das Auto schaue "die Nachfolgenden freundlich an". Zudem trägt der Prototyp anders als manch anderer Stromer sein Elektrokonzept zur Schau: Wo bei anderen Autos eine Wölbung auf der Fronthaube thront, findet sich eine auffällige schwarze Ladeklappe.
Dass die gestalterischen Möglichkeiten, die sich dank der E-Mobilität beim Pkw-Bau bieten, längst nicht ausgeschöpft werden, zeigt zum Beispiel der Peugeot 208. Der Kleinwagen kommt als Stromer und konventionell befeuerte Version in den Handel. Nebeneffekt: Die Batterieversion unterscheidet sich im Design nicht von den anderen Varianten. Selbst die Ladebuchse für die Antriebsbatterie verbirgt sich hinter der Tankklappe.
Tumminelli kniet sich vors Auto und streicht mit den Händen über die Motorhaube und den Grill: "Riesig, dabei braucht die E-Technik gar nicht so viel Platz für Motor, geschweige denn Kühlung." Er weist auf die Pfeilgrafik der Front hin. "Für sich ein gelungenes, obgleich aggressives Kleinwagendesign, doch völlig losgelöst vom Antrieb."
Die Kernfrage für den Designexperten ist: "Übernehmen wir den erlernten Designcode aus über 130 Jahren Autogeschichte und übertragen ihn auf den Elektroantrieb?" Oder eben nicht - denn andererseits bestehe die Chance, ein völlig neues Architekturkonzept für das E-Auto zu entwickeln. Batterieautos besäßen nur noch ein Drittel der mechanischen Elemente eines Pkw mit Verbrenner. Getriebe, Kupplung, Einspritzpumpe oder Auspuff? Im Stromer überflüssig.
"Wenn man vorn keinen großen Motor mehr hat, braucht man auch keine riesige Motorhaube oder einen riesigen Kühlergrill", erläutert Tumminelli. Hersteller wie Hyundai beim Ioniq oder Tesla beim Model 3 deuten den Grill nur noch durch eine Fläche an. Doch es ginge weit mehr. Die ganze Architektur des E-Autos ließe sich neu definieren.
Schritte in diese Richtung könnten mit einer eigenen elektrischen Marke einfacher umzusetzen sein. Nach dem Motto: "Ich verschrecke meine alten Kunden nicht, bediene aber neue mit einem neuen Konzept." So etwas versucht Volvo gerade mit seinem Elektro-Ableger Polestar.
In Genf zeigen die Schweden den Polestar 2, der ab 2020 gebaut wird. "Im Vergleich zum normalen Volvo-Programm ist er zwar etwas reduzierter gestaltet", sagt Tumminelli. Aber konzeptionell eher gewöhnlich, lautet sein Fazit.
Weit experimentierfreudiger geht Citroën mit dem Ami One Concept vor: ein 2,50 Meter langes, nahezu würfelförmiges Vehikel ohne Motorhaube und Kühlergrill, das mit maximaler Innenraumausnutzung wirbt, gedacht fürs Carsharing. "Das senkrechte Box-Design schafft Platz im Innenraum", erklärt der Professor. Die eher schlechte Aerodynamik spiele bei geringem Tempo in der Stadt eine untergeordnete Rolle. Wichtiger seien dort die kompakten Ausmaße.
Beim Ami One haben die Designer die Freiräume der E-Mobilität genutzt, Überflüssiges weggelassen und eine pragmatische Form der Mobilität gefunden, findet Tumminelli. Doch der Ami One ist bislang nur ein Konzeptauto.
VW erinnert mit dem knuddeligen ID Buggy an Strandautos der 1960er Jahre und will mit ihm die Flexibilität seiner Elektroplattform unter Beweis stellen, auf der dieser Buggy fußt. Für Tumminelli kein schlechter Schachzug.
Der Buggy strahle Sympathie und Freude aus, erinnere an unbeschwerte Hippiezeiten. "Damit will VW sein Image aufpolieren." Doch weiter gedacht, könne das Konzept auch als kompaktes, leises und reduziertes Fortbewegungsmittel für die Stadt dienen - bei Tempo 30 und nicht nur im Sommer: "Ich kann ruhig offen fahren, in Winter gern mit Daunenjacke."
Zur Not lässt sich laut VW ein Wetterschutz aufspannen, der Innenraum sei wasserfest. Die offene Karosserie hat für Tumminelli einen weiteren Vorzug im Großstadtverkehr: "So kann ich mit Fußgängern reden oder Augenkontakt mit Menschen auf Fahrrädern, Skateboards oder auch im Rollstuhl halten."
E-Autos haben ein sauberes Image, können aber auch für irre Performance stehen, wie das Sprintvermögen mancher Stromer zeigt. Oft ist beim Design jedoch nur einer der beiden Aspekte umgesetzt. Beispiel: der Q4 e-tron, mit dem Audi auf ein SUV-Serienmodell von 2020 blickt. Für Tumminelli schreit die aggressive Front: "Ich bleibe auch als E-Auto Macho."
Grotesk wirkt auf ihn der riesige, aber markentypische Grill, den Audi fürs E-Auto verschlossen und üppig verziert hat. "Und damit aber dann doch jeder weiß, dass ein E-Antrieb drinsteckt, braucht man ein Etikett", sagt er und zeigt auf den "e-tron-Schriftzug" unter dem Kühler. Der Designexperte vermisst allerdings mehr Ansätze, die E-Mobilität optisch aufzulösen und bestenfalls räumlich auszunutzen.
Auch am Stand von Piëch wird er nicht fündig - ganz im Gegenteil. Der Urenkel von Ferdinand Porsche und ein Sohn des langjährigen VW-Chefs Ferdinand Piëch zeigt die elektrische Sportwagenstudie Mark Zero. "Eine vertraute Mischung aus Designthemen von Jaguar, Aston Martin und Porsche", analysiert Tumminelli. Ein klassisch gezeichneter Gran Turismo, der äußerlich nichts von seinem innovativen Antrieb verrät.
Ansätze, die das Fehlen eines Verbrenners aufzeigen, findet Tumminelli am Stand des italienischen Designhauses Giugiaro. Dort steht unter dem Label GFG Style der Kangaroo, eine Mischung aus Sportwagen und SUV. Zwar könne sich der Betrachter an einen typischen Mittelmotor-Sportwagen mit kleinem Kühler und kurzem vorderen Übergang erinnert fühlen, sagt der Professor. Ihm fallen aber auch "diese sauber fließenden Linien und eleganten glatten Flächen" auf.
Ein Verbrenner dieser Gattung würde wohl eine Vielzahl an Luftein- und -ausgängen benötigen. Optische Anleihen macht das Auto dennoch: Hinter den Türen gibt es ähnlich gestaltete Aussparungen, doch sie beherbergen die Ladeanschlüsse.
Dass viele Autohersteller die neuen Gestaltungsmöglichkeiten kaum ausschöpfen, hat laut Paolo Tumminelli viel mit alten Gewohnheiten zu tun - vor allem beim Kunden. Die Euphorie in Sachen Technologie sei zwar groß, die Strategie beim Fahrzeugdesign dafür aber oft konservativ: "Beunruhigen wir nicht den Kunden, stellen ihn nicht vor schwierige Entscheidungen und machen Autos, die ihm vertraut vorkommen." Schließlich gehe es auch um Fragen der Markenidentität, die die Hersteller nicht leichtsinnig aufs Spiel setzen wollen.