Zurück in die Wildnis

Namibia öffnet sich wieder vorsichtig für Touristen

Für die Naturschützerin Marlice van Vuuren ist ihre Rückkehr überlebenswichtig.

09.09.2020 UPDATE: 12.09.2020 06:00 Uhr 4 Minuten, 24 Sekunden
Unverkennbar: Hier haben Webervögel ihre Nester gebaut. Fotos: Markus Arnold

Von Win Schumacher

Marlice van Vuuren lauscht angestrengt in die Stille der Savanne, doch nirgendwo ist ein verdächtiges Geräusch zu hören. Nur eine unbekannte Vogelstimme ruft in der Ferne. "Sie müssen ganz in der Nähe sein", sagt die Naturschützerin und deutet auf die frischen Fährten im Sand. Die Spuren in einem ausgetrockneten Bachbett verraten, wer hier wohl vor wenigen Stunden oder gar Minuten unterwegs gewesen sein muss. Es sieht so aus, als sei gerade eine ganze Hundemeute durch den namibischen Busch gezogen. "Wildhunde gehörten früher einmal zu Afrika wie Löwen und Leoparden", erklärt die 44-jährige Namibierin und streicht sich die langen blonden Haare hinters Ohr. "Inzwischen sind sie aber fast überall verschwunden."

Hintergrund

Anreise: Lufthansa (www.lufthansa.com) plant ab 19. September wieder Verbindungen nach Namibia aufzunehmen. Vorbehaltlich behördlicher Genehmigungen der namibischen Regierung sind dreimal pro

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Anreise: Lufthansa (www.lufthansa.com) plant ab 19. September wieder Verbindungen nach Namibia aufzunehmen. Vorbehaltlich behördlicher Genehmigungen der namibischen Regierung sind dreimal pro Woche Nonstop-Flüge von Frankfurt nach Windhuk in Planung. Die Flüge werden von Brussels Airlines für Eurowings (www.eurowings.com) durchgeführt. Von der Hauptstadt fliegen Buschflieger in die wichtigsten Schutzgebiete Namibias. Eine Rundreise in die meisten Landesteile ist auch mit dem geländetauglichen Mietwagen möglich.

Unterkunft: Die nostalgische Sonop Lodge unweit des riesigen Namib Naukluft-Nationalparks entführt ihre Gäste in die Welt britischer Entdeckungsreisen der 20er Jahre. Omaanda ab 1000 EUR/Sonop ab 1200 EUR DZ inkl. VP/alle Getränke (außer Premium) /2 Pirschfahrten/weitere Aktivitäten.

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Nur wenig später ist es soweit. Vor einer Buschgruppe tollen vier halbwüchsige Hunde umher. "Bei Wildhunden denken viele erst einmal an eine gefährliche, verwilderte Meute", sagt Van Vuuren, während sie die Tiere lächelnd aus einiger Entfernung beobachtet. "Das hat ihnen viel Unheil eingebracht. Ich selbst mag lieber ihren Zweitnamen Painted Dogs – bemalte Hunde." Mit ihrem auffällig schwarz-weiß-goldbraun gefleckten Fell könnte man die Wildhunde für eine abenteuerliche Kreuzung von Straßenködern halten. Nur die übergroßen schwarzen Mauseohren muten merkwürdig fremd an.

Der Afrikanische Wildhund zählt zu den gefährdetsten Arten des Kontinents. Vermutlich leben heute höchstens 6000 Tiere über verschiedene Schutzgebiete südlich des Äquators versprengt. Ohne Van Vuuren wäre die Begegnung mit Afrikas bedrohten Wolfsverwandten nur eine Autostunde von Namibias Hauptstadt Windhuk wohl kaum denkbar. Mit dem Naankuse-Reservat hat die wohl bekannteste Naturschützerin des Landes gemeinsam mit ihrem Mann Rudie einen Rückzugsort nicht nur für Wildhunde, sondern auch für andere gefährdete Tiere wie Geparden, Löwen und Nashörner geschaffen. Die Naankuse Foundation unterhält eine Tierklinik und mehrere Wildschutzgebiete, die durch Ökotourismus finanziert werden.

Doch nicht nur die Natur soll von der Stiftung profitieren. Die Van Vuurens haben mit ihrer Lebensaufgabe Arbeitsplätze für 250 Mitarbeiter geschaffen. "80 Prozent von ihnen sind einheimische San", sagt Van Vuuren stolz. Die Pandemie bedeute für die indigene Gemeinschaft eine besondere Herausforderung. "Sie sind eher von Armut, Tuberkulose und teils HIV betroffen als andere Gruppen", sagt Van Vuuren. Bis jetzt gab es unter ihren Mitarbeitern zum Glück noch keine Covid-19-Fälle. Einst lebten die San oder Buschmänner, wie sie oft auch abschätzig genannt wurden, in weiten Teilen des südlichen Afrikas. Seit Jahrtausenden zogen sie als Jäger und Sammler durch die wildreichen Landschaften südlich des Sambesis.

Marlice van Vuuren hat die Naankuse Foundation gegründet.

Im 18. und 19. Jahrhundert betrieben die Buren in der Kapregion eine regelrechte Ausrottungspolitik gegen die kleinwüchsigen Nomaden. Als die europäischen Kolonisatoren ins Landesinnere vorstießen, vertrieben sie die Familien von ihrem Farmland und aus ihren Jagdgebieten. Den San blieb zuletzt nur noch die Kalahari-Wüste als Rückzugsort. Heute leben in Botswana, Namibia, Angola und Südafrika wohl weniger als 100.000. Fast alle haben ihr traditionelles Nomadentum aufgegeben.

"Niemand kennt die Natur besser als die San", sagt Van Vuuren, "wir müssen von ihnen lernen, um die Wildnis Afrikas zu bewahren." Sie selbst ist auf einer Farm mit San-Kindern aufgewachsen und spricht ihre Sprache. In Naankuse sind fast ausschließlich San für die Überwachung der Wildtiere und ihren Schutz vor Wilderern verantwortlich.

Vor drei Jahren wurde das private Schutzgebiet der Van Vuurens um die Ländereien einer ehemaligen Farm erweitert und ist nun auf eine Fläche von 9000 Hektar angewachsen – das entspricht fast der Fläche des Nationalparks Sächsische Schweiz. Die Idee, anspruchsvollen Ökotourismus mit einem engagierten Plan zur Renaturierung des Farmlands zu verbinden, ist inzwischen Wirklichkeit geworden. Über einem Wasserloch mit magischer Aussicht auf die nahen, ockerrot leuchtenden Berge hat im letzten Jahr die Omaanda Lodge eröffnet. Sie verbindet die Erdverbundenheit der landestypischen Owambo-Architektur aus Lehm und Naturholz mit der Finesse eines Fünf- Sterne-Hotels.

Eine Löwenmama umsorgt ihren Nachwuchs.

Mit der Ausbreitung der Pandemie auch im südlichen Afrika wurden die Pläne, das Reservat rasch als neues Safari-Ziel auf dem boomenden Tourismusmarkt Namibias zu etablieren, jäh durchkreuzt. "2019 war ein sehr gutes Jahr für uns und 2020 hätte das beste überhaupt werden sollen", sagt Van Vuuren. Dann kam Corona. "Natürlich war es erst einmal ein Schock", sagt die Naturschützerin.

Im Allgemeinen hätten sie aber mehr Glück als andere Safari-Anbieter gehabt. Die Stiftung habe sehr viel Unterstützung erfahren, gerade von ausländischen Partnern, auch Touristen und Volontären, die in der Vergangenheit hier waren. "Bisher mussten wir keinen unserer etwa 250 Mitarbeiter entlassen. Den leitenden Angestellten haben wir ihr Gehalt um 50 Prozent gekürzt", sagt sie, "allen anderen Mitarbeitern konnten wir es bis August weiter zahlen." In den vergangenen Wochen machten Einheimische in den Lodges Urlaub – zu deutlich reduzierten Preisen.

Seit dem 1. September können ausländische Touristen nun wieder über den internationalen Flughafen in Windhuk einreisen, nachdem die zunächst geplanten Daten im August wieder zurückgenommen werden mussten. "Wir hatten schon wieder die ersten Gäste aus dem Ausland", erzählt Van Vuuren, "eine Familie aus Spanien". Offiziell ist die Naankuse Lodge nun auch als Quarantäneunterkunft anerkannt und kann sogar Coronatests vornehmen. Namibia schreibt derzeit für ausländische Touristen einen 7-Tage-Aufenthalt in zertifizierten Lodges vor. Danach können sie einem festgeschriebenen Reiseverlauf folgend weiter durch das Land reisen. "Die Leute können in Naankuse nun einfach als Touristen ankommen, ohne in irgendeinem Hotelzimmer auf ihre Testergebnisse zu warten", erklärt Van Vuuren, "Wenn sie negativ sind, können sie auch an Aktivitäten im Freien teilnehmen."

Die Sonne steht schon tief über der Savanne, als Van Vuuren aufbricht, um mit ihrem Geländewagen das Reservat zu erkunden. An einem Wasserloch stößt sie auf eine Gruppe Nashörner. Wie Wesen aus grauer Vorzeit wirken die mächtigen Tiere neben ein paar Warzenschweinen, die sich wohl ebenfalls gern im Schlamm des Uferstreifens suhlen."Schon vor der Pandemie gab es hier die Ansicht: Was bringt uns ein Tier, wenn es keinen wirtschaftlichen Wert – etwa durch den Tourismus – hat?", erklärt Van Vuuren. "Sicher nimmt nun in einigen Regionen die Wilderei zu, vor allem bei der illegalen Fleischjagd." Auch in privaten Schutzgebieten seien Nashörner gewildert worden. Wenn keine oder nur wenig Touristen unterwegs sind, sei das auch in den Nationalparks ideal für Wilderer. "Viele Menschen haben in der aktuellen Situation ihre Arbeit verloren und sind verzweifelt", sagt Van Vuuren. "Die Wilderei verspricht einfaches und schnelles Geld. Sie fürchtet, dass die Wilderei noch zunehmen wird, wenn das Land nicht rasch der wirtschaftlichen Krise herauskommt.

Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne brechen durch das struppige Mopanedickicht. Van Vuuren beobachtet eine Gruppe Giraffen, deren grazile Hälse in den roten Abendhimmel ragen. "Es gibt in Namibia wie überall Menschen, die Angst haben, dass mit der Öffnung die Zahl der Covid-19-Fälle stark zunehmen wird", sagt die Naturschützerin. "Aber die meisten wollen die Touristen zurück, natürlich mit den notwendigen Hygieneregelungen. Das ganze Land hängt ja vom Tourismus ab. Für mich ist Namibia einer der sichersten Orte der Welt. Wir haben eine der niedrigsten Bevölkerungsdichten der Erde und so viel Platz. Eigentlich wäre gerade jetzt der perfekte Moment, um nach Namibia zu kommen."