Vanlife

Im Graben

In Nordnorwegen werden wir von einem Laster von der Straße abgedrängt und warten zwei Stunden bei eisigen Temperaturen auf unsere Rettung / Von Sarah Kringe

20.11.2019 UPDATE: 23.11.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 18 Sekunden
Unsere „Vanlife“-Kolumnistin Sarah Kringe nach dem Unfall. Foto: Kringe

Wir sehen den Lastwagen schon von Weitem. Er kommt uns mit einer höllischen Geschwindigkeit mitten auf der vereisten Straße entgegen. Ein schweres Gerät, das zusätzlich einen langen Anhänger hinter sich herzieht. "Der weicht nicht aus", sagt Mathias, einen leichten Unterton von Panik in der Stimme. Im letzten Moment zieht er unseren Bus scharf nach rechts, um die Kollision zu vermeiden. Ich spüre, wie wir immer weiter in Schieflage geraten, während der Camper in den Graben rutscht. Als wir schließlich zum Stillstand kommen, haben wir so stark Schieflage, dass ich die Beifahrertür nicht öffnen kann und mühsam über den Fahrersitz nach draußen klettern muss.

Mit eisigen Fingern ziehe ich mein Handy aus der Tasche um die Nummer eines Abschleppdienstes zu googeln, während Mathias unsere Lawinenschaufel vom Dach holt und anfängt, den Schnee um den Bus herum wegzuschaufeln. "Hält warm", erklärt er mir unerschütterlich. Die vorbeifahrenden Norweger sind alle sehr freundlich, halten an und beraten mich, an wen ich mich jetzt am besten wende.

Die ersten drei Nummern, die ich anrufe, führen jedoch zu nichts: Bei einer hebt niemand ab und bei den anderen beiden erzählt ein Anrufbeantworter etwas auf Norwegisch. Mittlerweile sind meine Fingerspitzen taub gefroren und ich weiß mir nicht mehr anders zu helfen: Ich wähle den Notruf. Die Dame, die abnimmt, spricht zum Glück perfektes Englisch. Nachdem ich ihr minutenlang den Unfallhergang und unseren genauen Standort schildern und sämtliche Daten von mir, Mathias und dem Bus durchgeben musste, fragt sie: "Soll ich jemanden anrufen, der euch da raus holt?" Ich presse ein "Ja, bitte" hervor. "Bald wäre gut, es ist wirklich kalt", kann ich mir nicht verkneifen hinzuzufügen. In einer Stunde sei jemand vor Ort, verspricht sie mir. "Versuchen Sie, warm zu bleiben", damit legt sie auf.

Mittlerweile spüre ich, wie mir die Kälte trotz Skihose und Winterjacke in die Kleidung kriecht. Während wir auf "Viking", den norwegischen Abschleppdienst warten, schaufelt Mathias weiterhin Schnee und ich jogge die Straße rauf und runter, mache Hampelmänner, schlenkere mit den Armen und versuche mich sogar im Stepptanz. Ins Auto zu setzen trauen wir uns nicht, aus Angst, dass es dadurch gänzlich umkippt. Irgendwann hält eine ältere Dame neben uns. Es seien elf Grad Minus, informiert sie uns, wir sollen immer schön in Bewegung bleiben. Zu diesem Zeitpunkt schmerzen meine Hände in ihren Handschuhe bereits von den ununterbrochenen Greifbewegungen, die ich mache, um die Zirkulation aufrechtzuhalten und Mathias sagt, er spüre seine Füße nicht mehr.

Als unser Viking in Form eines kleinen kahlköpfigen Mannes mit einem großen Abschleppauto endlich eintrifft, ist die Tortur jedoch noch nicht vorbei. Der Profi schürzt die Lippen. "Das wird nicht einfach", erklärt er und kratzt sich seinen unbemützten Kopf. Hinten hat der Bus keine Abschleppöse und wenn er von vorne zieht, kippt er wahrscheinlich um. Ich bin ein kleines bisschen enttäuscht, war ich doch davon ausgegangen, dass so etwas hier im Winter häufig passiert und unser Helfer nicht genauso ratlos in der Kälte steht wie wir. Also tanze ich noch ein bisschen, während Mathias und Viking beraten, was am besten zu tun ist.

Schließlich einigen sie sich auf eine Lösung, bei der der Bus an zwei Stellen gleichzeitig seitlich hochgezogen wird. Ich kann kaum hinsehen, als das Auto mit Mathias am Steuer langsam und schwankend aus dem Graben aufsteigt. "Bist du angeschnallt?", rufe ich nervös, bekomme aber natürlich keine Antwort. Als der Bus endlich zurück auf der Straße ist, haben wir über zwei Stunden in der Kälte gestanden. Fast genauso lang wird es dauern, meine Finger und Mathias Füße wieder aufzutauen ...