Der "dunkle" Kult-Friedhof aus der Netflix-Serie
Seit einigen Monaten besuchen vermehrt Fans der Netflix-Kultserie Dark den zweitgrößten Friedhof Deutschlands.

Von Franz Michael Rohm
Stahnsdorf. Das ist der beliebteste Platz für die Selfies", sagt Olaf Ihlefeldt und zeigt auf eine Bank im idyllischen Grün. Zweihundert Meter dahinter reckt sich die imposante, dunkle, hölzerne Kapelle im Stil skandinavischer Stabkirchen empor, 1911 von Kirchenarchitekt Gustav Werner erbaut. "An der Kapelle konnten die Darsteller der Serie in unterschiedliche Zeitebenen wechseln. Vor Corona hatten wir Besucher aus aller Welt, die sich hier fotografierten", berichtet der 53-jährige Friedhofsleiter.

Seit März sind es hauptsächlich Touristen aus Deutschland, die neben regulären Besuchern in der weitläufigen Anlage ein einzigartiges Biotop genießen. Moosbewachsene Wege unter Kiefernalleen, von Efeu überwucherte Grabsteine, prachtvolle Mausoleen, traumhafte Sichtachsen durch die manchmal Eichelhäher gleiten. Die Magie des Südwestkirchhofs Stahnsdorf, etwa fünf Kilometer von der Stadtgrenze Berlins entfernt, kommt auch daher, dass dieser Friedhof für West-Berlin seit dem Mauerbau 1961 bis zum Mauerfall "quasi einen Dornröschenschlaf halten musste", erzählt Olaf Ihlefeldt. Nach dem Mauerbau kamen keine West-Berliner mehr, und die Ost-Gemeinde Stahnsdorf hatte und hat einen eigenen Friedhof.
Um den Bestattungsort vor mehr als hundert Jahren für Berliner erreichbar zu machen, wurde vom S-Bahnhof Wannsee eine 4,4 Kilometer lange Stichbahn zum Friedhof gebaut. An den Resten des Bahnsteigs gegenüber vom Haupteingang befindet sich heute ein Restaurant. Deshalb gestaltet sich die Anfahrt ohne eigenen PKW etwas umständlich. Entstanden ist der Südwestkirchhof aus der Platznot der rasant wachsenden Hauptstadt des Deutschen Reiches Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dutzende innerstädtische Gemeinden wussten damals nicht mehr, wo sie noch bestatten sollten, und auch in den Städten Charlottenburg, Wilmersdorf, Schöneberg und Zehlendorf, die 1920 zu Groß-Berlin vereint wurden, mangelte es an freien Grundstücken. So wurde 1909 im Südwesten der riesige Friedhof eröffnet.
Garteningenieur Louis Meyer hatte den Südwestkirchhof Stahnsdorf als naturromantischen Waldfriedhof entworfen. Besonderheit sind Bestattungsfelder statt durchnummerierter Grabreihen. Wunderschöne Mausoleen, monumentale Grabstätten und zwei Soldatenfriedhöfe von italienischen und britischen Gefallenen des Ersten Weltkriegs befinden sich auf dem Gelände. In Ihlefeldts Büro in einem Verwaltungsgebäude aus den 1920er-Jahren lagern die Grabkarten von rund 130.000 Toten, die hier beerdigt wurden. Bis zu 3000 Beerdigungen fanden bis 1945 im Jahr statt, heute sind es wieder rund 650, "96 Prozent davon Urnenbegräbnisse", sagt Olaf Ihlefeldt.
Für den Friedhofsbesuch sollte man Zeit und Muße mitbringen. Im Verwaltungsgebäude, an den Wochendenden im Infohaus am Eingang, gibt es ein Faltblatt mit einem Plan der prominentesten Grabstätten. Verzeichnet ist unter anderen die letzten Ruhestätte von Stummfilm-Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau. Der Erfinder Werner von Siemens ruht neben seinen beiden Frauen in einer 1000-Quadratmeter großen Anlage. Häufig besucht werden die Grabstätten des Malers Lovis Corinth und des Berliner Dichters, Malers und Fotografen Heinrich Zille. Menschen mit medizinischem Interesse können die Grabstätte von Carl Ludwig Schleich besuchen. Der Chirurg an der Berliner Charité erfand die Methode der lokalen Betäubung mittels Spritze. Außerdem gilt er als einer der bekanntesten Schriftsteller der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Nach Mauerfall und Wiedervereinigung fanden hier Mister Hitparade, Dieter Thomas Heck, und der FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff ihre letzte Ruhestätte.
Auch bedeutende Architekten und Bildhauer der 1920er-Jahre schufen eindrucksvolle Grabstätten, Künstler wie Karl Ludwig Manzel verewigten sich mit Skulpturen. Nicht nur für Fans der Dark-Serie ist die dreischiffige Holzkapelle im Stil norwegischer Stabkirchen das Highlight es Friedhofbesuches. Das schummrig-düstere Innere steht im Kontrast zur lichten, erhabenen und unberührten Natur des Waldfriedhofs.