Von Alexander R. Wenisch
In der Hoffnung, das Unerwartete zu erleben, hat es Schulze immer wieder in die Welt hinausgezogen. Unglaublich spannend, witzig und pointiert kann der 89-Jährige von seinen über 300 Reisen berichten, von denen eine 1988 durch Nordkorea ging.
Herr Schulze, wie schwierig war es damals, nach Nordkorea zu kommen?
Sehr schwierig. Drei Jahre musste ich warten, bis ich ein Visum bekommen habe. Dann plötzlich hieß es, ich dürfte einreisen. Ungewöhnlich: In Peking bekam ich nicht nur das Visum, sondern auch das Flugticket in der nordkoreanischen Botschaft ausgehändigt. Mit einer kleinen Propellermaschine ging es nach Pjöngjang.
Was hat sie 1988 so gereizt?
Nordkorea war ja damals schon das am stärksten abgeschottete Land der Welt. Kaum einer durfte einreisen. Das wollte ich sehen. Das versprach Fotos, die bisher unbekannt waren.
Konnten Sie sich frei bewegen?
Nein. Ich hatte ständig einen Begleiter, der mir nie von der Seite wich. Und der auch immer mal wieder versuchte zu verhindern, wenn ich ungewöhnliche Motive ins Visier nahm, die nicht fotografiert werden sollten. Ist ihm aber fast nie gelungen. Meist hatte ich das Bild schon im Kasten, bis er nachträglich protestierte (lacht).
Wie wirkte das Land auf Sie?
Vieles, was ich sah, hat mich sehr an meine Jugend erinnert. Ich lebte auf dem Land, musste in der Erntezeit bei der Kartoffelernte helfen. Das sah ich auch in Nordkorea: Mit vielen Hundert Arbeitern wurde auf den Feldern Reis angebaut. Alles Handarbeit. Einmal sah ich einen Mann, der ein Teilstück der Autobahn mit einem Reisigbesen fegte. Eine absurde Szene. Aber irgendwie rührend und auch liebenswert emotional.
Gab es Kontakt zur Bevölkerung?
Kaum. Mit dem Straßenfeger habe ich mich unterhalten, obwohl mein Aufseher das auch nicht wollte. Der dann aber zögernd übersetzte. Als wir im Zug unterwegs waren, hatte man uns einen extra Waggon angehängt. Nur auf den Bahnhöfen konnte ich die Menschen fotografieren. In ihren Gesichtern sah ich, dass sie noch nicht viele Besucher gesehen hatten.
Sie haben auch die Grenze vom Norden aus gesehen. Wie war Ihr Eindruck?
Das war ganz seltsam. Die Einfahrt zur verbotenen Zone war ein kunstvoll gearbeitetes Tor. Kilometerweit war kein Mensch zu sehen. Nach mehreren Kilometern tauchte ein zweistöckiges Gebäude auf, von dessen Terrasse man den Blick auf die Grenze hatte. Hier standen sich an der skurrilsten Grenze auf sechs Metern südkoreanische, amerikanische und nordkoreanische Soldaten regungslos zwischen den Baracken gegenüber.
Waren Sie auch in den Baracken?
Ja! Zu meiner Überraschung betrat ich sie von der nordkoreanischen Seite. Ein langer Verhandlungstisch mit weißen Decken; die Grenze ging mitten durch die Baracke. Es symbolisierte zugleich die offizielle Distanz zu Südkorea. Denn jede Delegation benutzte ihren eigenen Eingang auf ihrem Territorium. Absurd und einmalig. Nur an den Wänden hingen Fotos vom 1968 gekaperten US-Spionageschiff "Pueblo".
Und es gelang Ihnen, dieses Schiff zu fotografieren.
Ein paar Tage später besuchten wird die Küstenstadt Wönsan. Zu meiner Überraschung lag da im Hafen die "Pueblo". Die Entführung, das war ein Riesending 1968, das ging durch die Weltpresse. Es ist das einzige US-Schiff, das je gekapert wurde. Und ich konnte das Schiff 20 Jahre später durch Zufall fotografieren!
Und haben Sie das Foto an amerikanische Medien verkauft?
Nein. Das eigentliche Ereignis war ja schon 20 Jahre alt.
82 Mann waren damals festgenommen worden. Wie ging die Geschichte aus?
Die Besatzung wurde völkerrechtswidrig festgenommen, geschlagen, gedemütigt. Das Foto mit erhobenen Händen wurde von Pjöngjang zur Propaganda ausgeschlachtet. Erst nach zehn Monaten gelang die Freilassung der Besatzung, nachdem Washington eine schriftliche Entschuldigung für die Spionage abgegeben hatte - die später aber widerrufen wurde.
Schulzes Schätze: Nordkorea - Die Fotostrecke