Schauriges Brauchtum

Advent in den Alpen

Beim Buttnmandllauf in Berchtesgaden treibt der Krampus als düsterer Nikolaus-Begleiter seinen wilden Schabernack
Von Manfred Ofer

20.11.2019 UPDATE: 23.11.2019 06:00 Uhr 4 Minuten, 33 Sekunden
Nikolaus führt den Buttnmandlauf an. Foto: Ofer​

Da gab es ein, zwei Dinge, die ich nicht hätte machen sollen. Einmal, zu glauben, der Heilige Nikolaus würde die gute Kinderstube ganz alleine besuchen, wenn er im Berchtesgadener Land unterwegs ist. Stattdessen bringt er hier seine Freunde mit, und die bringen nicht nur Freundlichkeiten mit. Die Rede ist vom Krampus. Der kommt übrigens auch nie allein, sondern in rutenschwingenden Banden. Das nennt sich "Buttnmandl-laufen" und ist eine ernste Angelegenheit. Und wer denkt, dass man als Unbeteiligter der wilden Jagd entwischen kann, kennt dieses Winterbrauchtum nicht. Und das war mein zweiter Fehler.

Hintergrund

Anreise: Mit dem Auto über die Autobahn A 5, Karlsruhe/Stuttgart/München, weiter auf der A 99 und A 8 Richtung Salzburg bis Ausfahrt Bad Reichenhall und über die B 20 bis Berchtesgaden, rund 500 Kilometer.

Übernachten: Im benachbarten Schönau am Königsee (Hofreitstr.

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Anreise: Mit dem Auto über die Autobahn A 5, Karlsruhe/Stuttgart/München, weiter auf der A 99 und A 8 Richtung Salzburg bis Ausfahrt Bad Reichenhall und über die B 20 bis Berchtesgaden, rund 500 Kilometer.

Übernachten: Im benachbarten Schönau am Königsee (Hofreitstr. 7) empfängt das Explorer Hotel Berchtesgaden seine Gäste. Es befindet sich in malerischer Umgebung und bietet Komfort zu fairen Preisen. Das Doppelzimmer mit Frühstück gibt es ab 99,60 Euro, www. explorer-hotels.com/berchtesgaden.

Unbedingt machen: Am Nikolaustag ziehen in Berchtesgaden ab Einbruch der Dämmerung die "Buttnmandl" über Stadt und Land. Dieses ursprünglich heidnische Erntedankritual ist heutzutage ein christlicher Einkehrbrauch, bei dem die Familien besucht werden. Der "Buttnmandllauf" der Gebirgsjäger am 5. Dezember ist dagegen eine große Schau. Um 14 Uhr begibt sich der Nikolaus mit seiner wilden Schar von der Kaserne aus zum zentralen Marktplatz in Berchtesgaden, wo die Kinder beschenkt werden. Im Ortsteil Loipl findet der "Buttnmandllauf" am ersten Advent, in Winkel am zweiten Advent und in Maria Gern an Heiligabend nachmittags statt. Und nicht vergessen: Auch den schönen Christkindlmarkt besuchen!

Allgemeine Auskünfte unter www.berchtesgaden.de

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"Fürchtet euch nicht!" Der eindringliche Gesang des Knabenchors liegt wie ein Menetekel über den majestätischen Bergen, die Berchtesgaden umgeben. Auf den Gipfeln ist der erste Schnee gefallen, der in der sich abzeichnenden blauen Stunde wie süßer Zuckerguss erscheint. Die Musik kommt aus einem der hübschen Fachwerkhäuser in den kleinen Gassen, die das Herz des historischen Zentrums bilden. Vor einer Braustube, deren Fassade mit traditionellen Lüftlmalereien geschmückt ist, haben sich Einheimische auf einen Plausch mit Glühwein eingefunden.

"Ich dachte schon, dass du der Tuifel wärst!", ruft mir einer der jungen Burschen zu und erntet Gelächter von allen Seiten. In der kalten Winterluft vermengt sich der Dampf ihres Atems mit dem aus den Glühweintassen. Ihre geschwärzten Gesichter, aus denen die Augäpfel wie weiße Kugeln hervorstechen, verraten Eingeweihten, wem sie in der Dämmerung über den Weg gelaufen sind. Eine erste Ahnung hatte mich beschlichen, als ich in einem Laden eine Nostalgiepostkarte fand. "Grüße vom Krampus!", war unter dem Bild zu lesen, das eine Bescherung zeigte, bei der Kinder einen Gast begrüßten, den die Hölle ausgespuckt hatte. Wenig später machte ich Bekanntschaft mit ihm ...

Ein pelziges Ungetüm mit einer grinsenden Teufelsfratze hatte mich im Dunkeln mit seiner Pranke gestreichelt. Nun zeichnet sich der Abdruck pechschwarz auf meinem Antlitz ab. Dem Geruch nach handelt es sich zum Glück jedoch nicht um Schwefel, sondern um gemeine Schuhcreme. Auch der höllische Star der Bergweihnacht geht also mit der Zeit. "Früher haben sie noch die Asche von der Herdstelle benutzt", bemerkt ein Mann mit Gamsbart und lacht, als ihm Beelzebub an die Wäsche geht. Er ziert sich vergeblich. Wenig später trägt auch er den Gruß vom Krampus im Gesicht.

Damit ist er noch gut bedient. Für mich gab es als Bonus ein, zwei Hiebe mit der Lederpeitsche – hier poetisch "Lebensrute" genannt – auf die Waderl. "Nimm es als Kompliment", meint eine Besucherin, mit der ich mich über blaue Flecken unterhalte. Die Schläge befeuern ja angeblich die Fruchtbarkeit. "Das gilt aber nur für junge Frauen!", schaltet sich ihre Freundin ein und begibt sich hinter uns in Sicherheit, als die nächste Horde "Kramperl" mit laut klappernden Kuhglocken auf dem Marktplatz erscheint. Es sind die schlagfertigen Bodyguards des Heiligen Nikolaus.

Hunderte von diesen Kerlen sind im besinnlichen Alpenadvent unterwegs, um uraltes Brauchtum zu beleben, dessen Ursprünge oft im Dunkeln liegen. Ethnologen vermuten, dass heidnische Elemente aus der Zeit der Kelten zu einem christlichen Einkehrbrauch umgewandelt wurden. Einst ging es wohl darum, die bösen Wintergeister zu vertreiben, indem man ihnen noch hässlichere Dämonen vor die Nase setzte. Gerade in den finsteren Raunächten glaubte man, dass das Tor in die Anderswelt sperrangelweit offenstand. Diese Vorstellung hielt sich hartnäckig.

Nicht nur in Berchtesgaden kann man in der Zeit vor und nach der Wintersonnenwende maskierten Gestalten wie den "Buttnmandln" begegnen. In Südtirol sind es die "Klöckler", die singend von Tür zu Tür gehen und von ihren Gastgebern reich beschenkt werden. In Österreich ziehen die "Perchten" durch die finstere Nacht, um Schabernack zu treiben. Der Kirche allerdings wurde das Treiben ihrer Schäfchen irgendwann zu bunt. Seitdem zieht der Heilige Nikolaus mit dem Krampus übers Land. Bringt Geschenke, die von den "Buttnmandln", von denen manche wie die alpinen Verwandten des Yeti ausschauen, bis in die entlegensten Höfe getragen werden. Man kann die Truppe zur Bescherung einladen, wovon viele Haushalte Gebrauch machen – die Einheimischen lieben ihr "Nikolospiel". Ich habe mir auch sagen lassen, dass es die wilde Schar vor allem auf große Lauser abgesehen hat.

So konnte ich mehr als einmal beobachten, wie sich ein regelrechtes Kesseltreiben entspann, bei dem die gehörnten "Kramperl" die Schaulustigen tüchtig aufmischten. Wehe dem, der sich von ihnen erwischen lässt, denn dann können durchaus die Fetzen fliegen. Einmal sah ich jemanden mit einem beachtlichen Loch in der Hose davonlaufen. Der Brauch wird hier sehr ernst genommen, und respektloses Imponiergehabe gegenüber denen, die ihn am Leben halten, wird nicht geduldet. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Dennoch scheint das Katz- und Mausspiel nicht unbeliebt zu sein.

Was mich angeht, so reicht schon der Anblick der beängstigend echt wirkenden Tierfratzen völlig aus, um Abstand zu halten. Von den Einheimischen werden die Masken liebevoll "Loavn" genannt. Ihre Herstellung ist eine Kunst. Eine Vorstellung davon erhalte ich bei einem Besuch in der Werkstatt von Ernst Huber, der eine der ältesten Holzschnitzereien in Berchtesgaden betreibt. Ein sanftes Schaben empfängt mich. Der Maestro arbeitet gerade an einer neuen Maske, aus deren Stirn zwei beachtliche Hörner und viele furchterregende Reißzähne aus dem aufgerissenen Maul herauswachsen.

"Die Fratze soll dem Betrachter schon Angst einflößen", räumt Huber verschmitzt ein. Seine Masken sind bis zum letzten Hobel Handarbeit. Verarbeitet werden echte Widder- und Ziegenbockhörner. Außerdem werden die "Loavn" mit Tierfellen ausgepolstert und am Ende bemalt. Die Herstellung eines Exemplars, das bis zu zehn Kilogramm wiegen kann, dauert Tage. Ich möchte wissen, wie viele Masken er bis heute geschnitzt hat. Da muss er passen. Aufträge bekommt sein Familienbetrieb vor allem aus Bayern und Österreich, wo das Winteraustreiben ebenso eine große Schau ist.

Ein Geheimtipp ist der "Buttn-mandllauf" zu Maria Gern, einem Hochtal, das etwa neun Kilometer von Berchtesgaden entfernt liegt. In dem Weiler findet der Brauch an Heiligabend statt und man kann das Geschehen bei Tageslicht erleben. Der "Buttnmandl-lauf" basiert überall auf einem festen Ritual und ist bis heute eine männliche Domäne. Wer mitlaufen will, muss mindestens 16 Jahre alt und ledig sein. Bis zu dreißig Kilometer und mehr legen die Darsteller zurück, die ihre Gesichter und Arme mit Ruß schwärzen und große Kuhglocken sowie in der Kälte dampfende Tierfelle anlegen.

Unter den Figuren des "Buttnmandl-laufs" ragen die "Strohernen" besonders exotisch heraus. Sie erinnern mich an Voodoo-Tänzer. Mehrere Männer sind nötig, um die Akteure in ihren Mantel aus bis zu drei Meter langem Stroh zu kleiden, das mit Hanfseilen festgezurrt wird. Die Ähren stehen für die gute Ernte, lasse ich mir erklären, bevor die Jungs hinter einer Stalltür verschwinden. Wir müssen draußen bleiben, denn jede "Bass", wie die Gruppen heißen, hütet ihre Technik des Ankleidens wie ein Geheimnis.

Anschließend versammelt sich die "Bass" und kniet im Kreis um den Heiligen Nikolaus nieder, der am Ende seinen Segen erteilt. Erst dann setzt sich der lärmende Zug in Bewegung. Die Andacht ist schön anzuschauen. Zack! Und noch mal, weil es so schön war: Zack! Was zum …? Der laute Knall, mit dem der Hüne seine Rute gebraucht hat, beendet meinen Gedankenfluss. Ich hatte nicht bemerkt, wie er sich von hinten angeschlichen hat. Nun gut, die Grüße vom Krampus sollen ja die Fruchtbarkeit beleben. Sagt man. In meinem Fall war es das Ende der Hose.