Ostwärts

Der Klang der Stille

Das Elbsandsteingebirge besteht aus Sächsischer und Böhmischer Schweiz und ist ein wahrer Touristenmagnet - Doch wer hier alleine sein möchte, der muss zur richtigen Zeit kommen

11.07.2019 UPDATE: 15.07.2019 06:00 Uhr 3 Minuten, 46 Sekunden

Wer allein unterwegs sein möchte auf der meist überlaufenen Basteibrücke, die sich durch die Bastei genannte Felsformation zieht, sollte ganz früh am Morgen oder in den Abendstunden herkommen. Foto: Getty Images

Von Dagmar Krappe

Wasser tropft. Vögel zwitschern. Blätter rauschen. Weit entfernt hämmert ein Sprecht. "Ganz schön laut hier, wenn man genau hinhört", flüstert Nationalparkführer Ralf Schmädicke: "Wer zur richtigen Zeit am richtigen Ort wandert, kann die Stille wirklich spüren." Mit seiner Wandergruppe zieht er durch tief eingeschnittene Sandsteinschluchten im Wehlengrund. Will man den Himmel sehen, muss man den Kopf in den Nacken legen, so hoch ragen die senkrechten Felswände des Elbsandsteingebirges empor. Auf ihnen leuchten grüngraue Moose und gelbe Schwefelflechten. Smaragdgrüne Buchenfarne wippen im sanften Wind.

Hintergrund

Anreise: Per Bahn bis Nationalparkbahnhof Bad Schandau; mit dem Auto in rund 6 Stunden über Dresden bis Bad Schandau.

Übernachtung: Hotel Elbresidenz Bad Schandau;

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Anreise: Per Bahn bis Nationalparkbahnhof Bad Schandau; mit dem Auto in rund 6 Stunden über Dresden bis Bad Schandau.

Übernachtung: Hotel Elbresidenz Bad Schandau; www.elbresidenz-bad-schandau.de, modernes 5-Sterne-Hotel direkt am Elbufer und Marktplatz gelegen. Kostenfreie Nutzung der benachbarten Toskana-Therme. DZ ab 160 Euro inkl. Frühstück; Berghotel und Panoramarestaurant Bastei, Lohmen; berghotel-bastei.de, 4-Sterne-Hotel wenige Meter von der Bastei-Brücke entfernt. Panoramarestaurant mit Elbblick. DZ ab 95 Euro inkl. Frühstück.

Essen & Trinken: Unbedingt probieren: Eierschecke (Quark-Vanille-Kuchen) und Krautwickel (2015 zum kulinarischen Markenzeichen der Sächsischen Schweiz erklärt); Landgasthaus Ziegelscheune in Krippen: Einst Ziegelei, heute Gasthaus mit Wintergarten und Terrasse direkt am Elberadweg. www.ziegelscheune.de

Ausflugstipp: Nationalpark Zentrum Sächsische Schweiz, Bad Schandau

www.lanu.de; Hier wird die Entstehung des felsigen Skulpturengartens erklärt.

Auskünfte: www.saechsische-schweiz.de; Böhmische Schweiz:

www.ceskesvycarsko.cz/de

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"Der Begriff Gebirge ist irreführend", erklärt Schmädicke: "Es handelt sich um den Grund eines über 100 Millionen Jahre alten Kreidemeeres. Nachdem das Wasser abfloss, blieben mehrere hundert Meter hohe Sandschichten zurück, die verhärteten. Die Elbe und ihre Nebenflüsse fraßen sich ein." So entstand ein wundersames Labyrinth aus Quadersandstein mit zerfurchten Gipfeln, Toren, Fenstern und Tafelbergen, der heutige Nationalpark Sächsische und Böhmische Schweiz zwischen Dresden und dem tschechischen Decin.

Und diese Natur funktioniert eigenartig: Im Gegensatz zum richtigen Gebirge, herrscht im Sommer in den Tälern ein feuchtkühles Kellerklima. "In den Schluchten ist es bis zu acht Grad kälter als auf den warmen, trockenen Höhenlagen", sagt Schmädicke: "Pflanzen- und Tierwelt haben sich diesem verdrehten Klima angepasst. Bäume wechselten von den Höhen in die Tiefe." Rotbuchen, Eichen, Fichten und Kiefern bilden den Mischwald. Auch Weißtannen vermehren sich seit einigen Jahren wieder.

Einst trieben hier Raubritter ihr Unwesen. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts kamen die romantischen Künstler, um die Natur zu zeichnen. Die beiden Schweizer Adrian Zingg und Anton Graff fühlten sich so sehr an die Landschaft ihrer Heimat erinnert, dass sie dieser Region den Namen "Sächsische Schweiz" gaben. Wenige Jahrzehnte später entstand Caspar David Friedrichs Gemälde "Der Wanderer über dem Nebelmeer", das heute in der Hamburger Kunsthalle hängt. Auf die Künstler folgten die Sommerfrischler und die ersten Fotografen.

Beide kommen heute noch. "Deshalb sollte man die meist überlaufene Basteibrücke, die sich durch die Bastei genannte Felsformation zieht, ganz früh am Morgen oder in den Abendstunden aufsuchen", rät der Nationalparkführer: "Nur dann kann man das Gefühl, das die Romantiker beim Anblick der imposanten schroffen Gesteine einst hatten, nachempfinden." Im Mittelalter thronte dort die Felsenburg Neurathen, von der nur noch Mauerreste und Felskammern erhalten sind. Aufgrund steigender Besucherzahlen konzipierte man schon in den 1820er Jahren eine Holzbrücke zwischen den Felsnadeln.

Rund 25 Jahre später entstand die heutige steinerne Brücke. Auch die Kleinstadt Wehlen entwickelte sich am Fuße einer Burg. Ein paar Überbleibsel des Schutzwalles gibt es noch. Nicht weit davon entfernt schwappt Elbewasser ans Ufer. Der über 120 Jahre alte Raddampfer "Pirna" ist auf dem Weg von Dresden nach Bad Schandau. Neun alte Ladys gehören zur Flotte der "Sächsischen Dampfschiffahrt".

Während die großen roten Eisenschaufeln ins Wasser klatschen, zieht zwei Stunden lang Landschaftskino vorüber: Die Bastei und der Tafelberg Lilienstein, die beiden Wahrzeichen der Region, grüßen auf der rechten Elbseite. Kurz darauf mäandert der Fluss an der Festung Königstein, dem einst sichersten Ort Sachsens, vorbei. "Wie schmal die Elbe ist", wundert sich ein Passagier aus Hamburg: "Bei uns ist sie über zweieinhalb Kilometer breit und hier nicht mal 100 Meter."

Plötzlich rauscht der Eurocity von Berlin nach Prag heran und durchbricht die magische Stille. Kurz darauf quietscht ein nicht enden wollender Güterzug aus der Gegenrichtung am linken Elbufer entlang. Dann ist wieder nur das Schlagen der Schaufelräder zu hören. Die klotzige Sandsteinkirche St. Johannis von Bad Schandau leuchtet im Abendlicht. Im 14. Jahrhundert gründeten Siedler einen Handelsplatz, die Sandaue. Unter slawischem Spracheinfluss wurde der Name zu Schandau. Seit 1800 ist das Städtchen Kurort, später folgte der Zusatz Bad.

Wem die Entstehung des felsigen Skulpturengartens aus dem Grund des Meeres immer noch ein Rätsel ist, der kann sich im Nationalparkzentrum der Kleinstadt alles noch einmal erklären lassen.

Warum nicht mal einen der Tafelberge mit dem Rad bezwingen? Mit einem Zaubermobil namens E-Bike, das Rückenwind aus der Steckdose verspricht, ist das auch für Flachlandtiroler kein Problem. Auf den letzten Metern geht es über gefühlt Hunderte von Treppenstufen zu Fuß weiter zum über 450 Meter hohen Plateau des Papststeins.

Kein Tag für Maler oder Fotografen: Die benachbarten Gipfel recken sich nicht aus einem flauschigweißen Nebelmeer, sondern hüllen sich in einen schmutziggrauen Schlechtwettermantel. Also geht es in Windeseile wieder bergab und über den Elberadweg ins beschauliche Krippen. Caspar David Friedrich verbrachte 1813 einige Monate im Dorf und fertigte verschiedene Skizzen und Zeichnungen an, die später in sein berühmtes Ölgemälde einflossen.

Hinter der nächsten Biegung ist die fast 100 Jahre alte Fähre "Lena" erreicht, die die Radler und Wanderer ins Biorefugium Schmilka bringt. Innerhalb von 25 Jahren hat der Cottbuser Visionär Sven-Erik Hitzer das einst trostlose Grenzdörfchen in eine Bio-Oase mit Hotels, Ferienwohnungen, Restaurants, Café und Brauerei verwandelt.

Der letzte Tag ist der böhmischen Schweiz gewidmet. Im Touristendorf Hrensko warten an der Hauptstraße schon seit der Wende Gartenzwerge und Störche auf einen Käufer. Doch schon bald beginnt der Promenadenweg entlang des wilden Flüsschens Kamenice (Kamnitz). "Die Erschließung dieser idyllischen Schlucht ist Fürst Edmund Moritz von Clary und Aldringen Ende des 19. Jahrhunderts zu verdanken", informiert Nationalparkführerin Kamila Liskova: "Er ließ Durchgänge in die Felsen sprengen und ein Stauwehr errichten. Besonders schwierige Stellen werden seit dieser Zeit mit Stocherkähnen durchfahren."

Nur zwei Boote mit einer Handvoll Touristen begegnen sich an diesem Morgen in der Edmunds- oder Stillen Klamm. Dschungelhaft dichtes Grün bewuchert die steilen Felswände. Kahnfahrer Karel Ladik erkennt fast in jedem Felsvorsprung ein verwunschenes Lebewesen und gibt seine Anekdoten zum Besten.

Petrus scheinen sie nicht zu gefallen. Schlagartig verdunkelt sich der Himmel. Als der Kahn am Ende der Klamm anlegt, klatschen erste dicke Tropfen ins Gesicht. Über verträumte Pfade und aufgeweichte breite Wege führt Kamila Liskova ihre Wanderer tiefer in den Wald hinein. Hügelauf und hügelab. Und niemand kann sagen, er habe das Prasseln des Regens in der Stille der Natur nicht gehört.