Nicht nur für Kinder eine Attraktion: der „Tuxer Riese“ aus Holz. Foto: Archiv Hintertuxer Gletscher
Von Karin Katzenberger-Ruf
Hintertux. Ganz Hartgesottene gehen vor Ort eine Runde schwimmen, Wagemutige probieren das Stand-up-Paddeln aus, Touristen, die nur den Anspruch haben, mal etwas Besonderes zu erleben, steigen einfach ins Schlauchboot, um im Natureispalast von Hintertux in Österreich eine kleine Bootstour zu unternehmen. Das ist die bequemste Variante.
Seit zehn Jahren gibt es ganz oben im Zillertal eine begehbare Gletscherspalte. Roman Erler aus Lanersbach entdeckte sie 2007. Seither wurden Stollen ins ewige Eis geschlagen, schmale Leitern installiert, der "Tuxer Riese" als Figur aus Holz aufgebaut. Er spielt vor allem bei Führungen mit Kindern eine Rolle, gefällt aber auch den Erwachsenen.
Doch der Natureispalast ist auch Forschungsstation samt 37 Meter tiefem Schacht, in dem sich Eisbewegungen ausloten lassen. Es handelt sich laut Roman Erler um den weltweit tiefsten Gletscherschacht und damit um ein Eldorado für Wissenschaftler, die in der "Glaziologie" tätig sind. Zur "Gletscherkunde" gehören außer dem ewigen Eis auch allerlei Formen des Schneefalls.
Schön, wenn die Flocken ganz sacht auf die Erde fallen. Im Zillertal schneit es mitunter heftig. Gut so. Denn danach herrschen auf dem Hintertuxer Gletscher beste Bedingungen zum Skifahren. Überhaupt hat er an sonnigen oder nur leicht bedeckten Tagen ein freundliches Gesicht samt überwältigendem "Weitblick" in etwa 3250 Metern Höhe.
Es kann aber auch ganz anders sein. Neblige Tage mit nahezu 20 Grad minus auf dem Gletscher können im Dezember ebenso vorkommen wie im Januar. Dann ist sogar der Abstieg zum Natureispalast von "Gletscherbahn 3" aus beschwerlich. Richtig gelesen: Der Abstieg! An den Aufstieg will man bei solchen Minusgraden erst mal gar nicht denken. Ein Spaziergang durch den Tiefschnee ist es bergab bei solchen Witterungsbedingungen nicht, in der kalten Luft fällt das Atmen schwer. Da ist der Einstieg in den Natureispalast geradezu eine Erlösung. Schon weil es dort längst nicht so kalt ist wie draußen.
Doch nun ist Disziplin angesagt für diejenigen, die den Natureispalast bei einer Führung mit Roman Erler erkunden wollen. Über Winter hat er besonders viel zu tun. Was sicher damit zu tun hat, dass immer mehr Skifahrer wissen wollen, was sich so etwa 30 Meter unter der Piste alles tut. Noch sind die weitläufigen Hänge durch Schlepplifte erschlossen, die Wege nach oben aber gut mit Gondeln erreichbar.
Für diejenigen, die den Natureispalast erkunden wollen, geht es von der Bergstation erst mal nur abwärts. Wanderschuhe wären von dort aus eigentlich die bessere Alternative, auch wenn es heißt, der Stollen sei auch mit Skischuhen gut begehbar. Manche tun sich mit den klobigen Dingern an den Füßen einfach schwerer als vermutet und fangen an zu fluchen.
Doch die Wut verfliegt ganz schnell angesichts der überirdisch schönen unterirdischen Anblicke zwischen riesigen Eiszapfen und gefrorenen Wasserfällen. Ein Spaziergang ist das dennoch nicht. Es geht zwar nicht über Stock und Stein, aber schmale Leitern rauf und runter. Kinder finden das Klettern "cool", manche Erwachsene kommen dabei trotz Eiseskälte ins Schwitzen. Es ist steil, es ist eng. Also erst mal durchatmen, bevor das Foto vom gefrorenen Wasserfall gemacht wird.
Die bequeme Variante: Der Natureispalast Hintertux lässt sich per Bootstour erkunden. Foto: Archiv Hintertuxer GletscherFür jene, die die Enge nicht aushalten, gibt es natürlich auch einen Fluchtweg. Ansonsten dürfte die Faszination "Gletscherspalte" für die meisten Gäste einfach zu groß sein, um den Einstieg nicht zu wagen. Gerade in der Wintersaison geht es vor Ort manchmal zu wie in einem Taubenschlag. Vor allem, weil sich auch viele Wissenschaftler für den Natureispalast auf dem Gletscher von Hintertux interessieren.
Gletscher sind wissenschaftlich als "Eisströme" definiert, deren Nährgebiet im Hochgebirge oberhalb der Schneegrenze liegt, wo jährlich mehr Niederschlag in fester Form fällt als abschmilzt. Im Vergleich zu den polaren Eisriesen sind die Gletscher in unserem Breitengrad vergleichsweise klein und nach der letzten "kleinen Eiszeit" zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert kontinuierlich auf dem Rückzug. In Österreich gibt es 840 Gletscher, aber nur auf acht ist das Skifahren möglich und nur auf dem Hintertuxer Gletscher das ganze Jahr über. Im Idealfall bei blauem Himmel und grandioser Fernsicht.
Der Ort Lanersbach hat seinen besonderen Reiz, weil es dort das Skigebiet am Ortsrand gibt, aber auch den Skibus nach Hintertux. Zwischen beleuchteten Rodelbahnen und Skistationen, die ganz auf die Bedürfnisse von Kindern eingestellt sind, ist das Zillertal jedenfalls eine Reise wert und auch gut mit Bahn und Bus erreichbar.
Für Roman Erler ist der eisige Palast unter der Skipiste sein "Kind" - das er mit Hingabe pflegt. Nach zehn Jahren unter dem ewigen Eis dürfte sich auch im Forschungsschacht unter der Skipiste noch einiges tun, was zu neuen Erkenntnissen in der Gletscherkunde führt. "Ich hab davon gelesen und gehört, da will ich auf alle Fälle hin", meint eine Touristin, die eine Woche Urlaub in einer Ferienwohnung in Lanersbach gebucht hat und nun erst mal auf besseres Wetter zum Skifahren hofft. Aber für "die Gletscherspalte", sagt sie, sei das Wetter ja eigentlich gut genug.