Von Dagmar Krappe
Die Jagdsaison ist in vollem Gange. Wie jedes Jahr von Oktober bis April. Dann reisen sie wieder an, die Wikinger der Neuzeit. Aus allen Teilen Europas versammeln sie sich am Hurtigruten-Terminal in Bergen, um mit einem der rot-weißen Schiffe in See zu stechen. Als Waffen tragen sie weder Schilde noch Äxte, um Norwegens Küste zu erobern, sondern empfindliche Fotoapparate mit japanisch klingenden Namen. Gut verstaut in gepolsterten Taschen. Sie sind auf der Pirsch nach dem grünen Licht, folgen dem Schlachtruf: "Hunting the Lights". Längst ist das geenterte Schiff kein Langschiff mit Rudern mehr, sondern die 2002 in Norwegen gebaute "Finnmarken", die im Regeldienst mit ihren Schwesterschiffen in elf Tagen 67 Häfen ansteuert. Von Bergen im Süden des Landes bis zum Nordkap, weiter bis Kirkenes nahe der russischen Grenze und wieder zurück.
"Licht war in der Mythologie der Wikinger etwas sehr Wichtiges. Sie hatten Angst, dass nach den dunklen Wintermonaten, in denen nur noch Mond, Sterne und Polarlichter mit ihrem kalten Schein ohne Wärme den Tag erhellen, die Sonne nicht mehr zurückkehrt", informiert Bordreiseleiterin Viana: "Sollte dies geschehen, kommt es zum Ragnarök, dem Kampf der Götter und Riesen in dessen Folge die Welt untergeht." Der Weltuntergang scheint unausweichlich, denn für die nächsten Tage lautet die Wettervorhersage: Regen und Schnee. Himmel und Landschaft haben sich in einen gespenstisch wirkenden milchgrauen Mantel gehüllt.
Bis zum Abend, wenn das Polarlicht am besten zu sehen sein soll, vertreiben sich die modernen Wikinger die Zeit mit Landausflügen. Zum Beispiel in die Jugendstil-Stadt Ålesund am Golfstrom. Nach einer Feuerbrunst im Jahr 1904 verbrannten innerhalb vom 16 Stunden 850 Häuser bis auf die Grundmauern. Drei Jahre später war die Stadt wieder aufgebaut. Junge norwegische Architekten setzten Impulse für das neue Norwegen, das 1905 von Schweden unabhängig wurde. Zurück an Bord, kommt Regen auf.
Am dritten Tag der Reise schält sich Trondheim aus der Nebelwand. Die Sonne versucht, die Wolken zur Seite zu schieben. Aber es fehlt ihr die Kraft. Den "Jägern des Lichts" schwindet der Mut. Die Schiffsleitung verbreitet Optimismus: An der Rezeption werden Handzettel verteilt. Sie geben Tipps, wie die Polarlichter am besten zu fotografieren sind. "Kamera auf einen hohen ISO-Wert, Verschlusszeit auf 10 bis 30 Sekunden einstellen", erklärt Robert aus Berlin drei hilflos dreinblickenden Hamburgerinnen: "Den Selbstauslöser benutzen. Den manuellen Fokus auf unendlich...."
Die Hamburgerinnen entschwinden Richtung Panoramasalon und lassen für die nächsten Stunden die winterlichen Postkartenmotive vom gemütlichen Sessel aus an sich vorbeiziehen. Robert hofft derweil endlich die Theorie in die Praxis umsetzen zu können. Doch bei dichtem Schneetreiben und eisiger Kälte lässt er auch diesen Abend statt an der Reling an der Bar ausklingen.
Die MS Finnmarken in Ålesund, Norwegen. Fotos: Axel BaumannFrüh am Morgen überquert die "Finnmarken" den Polarkreis. Viele Lichtjäger lassen sich an diesem Vormittag von Neptun taufen. Ganz in der Hoffnung, dass dieses Ritual die Götter erweicht, die Sicht zum Himmel freizugeben. Immerhin ist es ein Opfer, das angesichts der eisigen Außentemperaturen einiges abverlangt. Kellenweise füllt Neptun Eiswürfel in den Halskragen am Nacken, die der Schwerkraft folgend an der Gürtellinie wieder austreten. Isolde, eine der drei Hamburgerinnen, schüttelt sich. "Was tut man nicht alles für Polarlichter", meint sie und greift zum bereitstehenden wärmenden Aquavit. Inzwischen hat das Schiff Bodø erreicht. Der Ort präsentiert sich unter einer frischen weißen Schneedecke. Die Sonne versteckt sich auch hier hinter tief hängenden Wolken. Waren alle Bemühungen umsonst?
Am späten Nachmittag nimmt MS "Finnmarken" Kurs auf die Lofoten, wo die Nordlichter am schönsten sein sollen. Es schneit unaufhörlich. Aber die Lichtjäger lassen nichts unversucht für eine sternenklare Nacht. Einige von ihnen verlassen in Stamsund das Schiff, um an einem Jølblot im Wikinger-Haus "Lofotr" in Borg teilzunehmen. "Jølblot ist eine Opferzeremonie, um die Götter wohlwollend zu stimmen, damit sie die Sonne zurückbringen. Die Feierlichkeit fand immer am dunkelsten Tag des Jahres statt", erzählt Wikinger-Häuptling Olav: "Das ist nach unserem heutigen Kalender der 21. Dezember, wenn die Sonne den südlichen Wendekreis erreicht." Die aus der Ferne angereisten Gäste sitzen in einem langen Raum, der durch wenige Kerzen beleuchtet ist. In der Mitte brennt ein Feuer. Aus dem Dunkeln taumelt eine hexenähnliche Gestalt. In der Hand schwenkt sie eine Art Weihrauchkessel und murmelt Unverständliches in das um ihren Kopf geschwungene Leinentuch. Schließlich kippt sie den Inhalt des Gefäßes ins Feuer, das mit einer zischenden Flamme auflodert.
Eine Tradition auf dem Schiff: Lichtjäger lassen sich von Neptun taufen. Fotos: Axel BaumannOlav betritt wie in Trance den Saal. Er spricht zu heidnischen Gegenständen, die an Holzpfählen hängen. Nach Beendigung der Zeremonie laden der "Stammeshäuptling" und seine Frau die Besucher ein, von Lofoten-Lamm und Mjod, einem Honigwein, ausgiebig zu kosten. Mit viel Met und Skål (Zuprosten) sollen die Götter gnädig gestimmt werden, damit sie den Himmel endlich aufklaren lassen.
Und das Wunder geschieht. Während der Rückkehr zum Schiff zeigt sich über der kleinen Kirche von Svolvær ganz schemenhaft das erste Nordlicht. So schnell wie der Dampfer vor zwei Stunden verlassen wurde, wird er jetzt gestürmt, um den besten Platz auf dem Außendeck zu bekommen. Leider ist das zaghafte Grün verschwunden. Lediglich das gelbliche Licht der Stadt beleuchtet die schneebedeckten Berge bei der Abfahrt. Die Enttäuschung ist groß.
Doch ein Jäger kann warten. Wenig später im schmalen Trollfjord hat Odin endlich Mitleid mit den Passagieren der "Finnmarken". Im Theater der Natur beginnt die Lichtinstallation. Am Horizont treffen elektrisch geladene Teilchen des Sonnenwindes auf die Erdatmosphäre und bringen die Luftmoleküle zum Leuchten. Wie wehende, grüne Vorhänge schweben die Polarlichter über den Himmel.
Robert und alle anderen "Jäger des Lichts" knipsen und experimentieren bis die Chipkarten glühen oder Akkus in der Kälte streiken. Was zählt, ist das beste Bild mit nach Hause zu bringen. Einzig Isolde hat es aufgegeben, die "Aurora borealis" zu fotografieren. Sie findet nicht die richtigen Einstellungen an der Kamera. Zum Nachlesen ist es jetzt zu spät. Hätte sie Robert nur zugehört. Also beherzigt sie den wichtigsten Satz aus den Ratschlägen über die Polarlichtfotografie: "Erleben Sie die Schönheit des Nordlichts zuerst mit Ihren Augen und dem Herzen, bevor Sie es durch das Objektiv der Kamera tun."
Info: www.hurtigruten.de, www.lofotr.no, www.visitnorway.de