Von Manfred Ofer
Gleich vier Partner umgarnen Mutter Natur beim Tanz der Jahreszeiten. Frühling, Sommer, Herbst und Winter buhlen um die Gunst der Dame. Immer schön im Wechsel, und damit das auch so bleibt, erfand der Mensch das Ritual. Den Frühling heißen wir willkommen, den Winter treibt man aus. Eine Tradition, die immer mehr verloren geht. Nicht jedoch in den Alpen. Dort hat so mancher alte Brauch überlebt. In Sonthofen kann man das bis heute spüren, wenn der Santa Klaus Geschenke bringt.
Die Adventszeit ist ein Trick. Die Kirchenväter haben ihn sich vor mehr als tausend Jahren ausgedacht, um das Abendland mit Nachhalt zu bekehren. Zahlreiche Bräuche aus heidnischen Tagen wurden auch noch im Zeichen des Kreuzes hartnäckig verehrt. Doch nicht überall, wo man Jesus hochleben ließ, war auch Christus gemeint. Und weil man den Schäfchen ihre Späßchen partout nicht austreiben konnte, machte man ein Crossover daraus.
Also bediente man sich in besonders widerspenstigen Regionen eben jener alten Traditionen, um deren Bekehrung zu erleichtern. Deshalb verschenken wir immer noch Ostereier, wie es Kelten und Germanen schon vor der Taufe taten. Auch der Advent hat es in sich. Viele Menschen glaubten nämlich, dass sich in den dunkelsten Nächten des Jahres das Tor zur Anderswelt öffnete. Es war finster, kalt und ungemütlich. Auf den Dörfern stand das Leben still. Was sollte man sonst in den langen Raunächten tun, als die doofen Winterdämonen zu verjagen?
In den Bergen übernehmen bis heute finstere Gestalten diesen Job, deren Darsteller beeindruckende Masken mit Hörnern, Fangzähnen und bösen Blicken tragen. Vielerorts schultern die Burschen gewaltige Kuhglocken und werfen sich Tierhäute über, die in der Kälte dampfen. Sie kommen selten allein und veranstalten einen höllischen Lärm dabei. Der Volksmund hat sie Krampus, Klausen und Klaubauf getauft. Je hässlicher so ein Ungeheuer ist umso besser.
Auch in Bayern werden heute noch die Winterdämonen ausgetrieben, die im Schutz der Dunkelheit um Haus und Höfe schleichen. Der Nikolaus ist auch dabei, was diese heilige Nacht für die Kinder erträglicher macht. Manchmal ist das alles aber auch für die Erwachsenen zu viel. In Sonthofen können sie ein Lied davon singen, wenn die Klausen den Advent anstimmen. Daher rührt übrigens auch der Santa Klaus, der Geschenke bringt, während der Rest die Rute schwingt. Auch das "Klausentreiben" ist so eine schöne Tradition. Das geflügelte Wort von der Wilden Jagd ist in diesem Fall durchaus so gemeint. Ich weiß, wovon ich rede, denn auch ich bin schon vor den Klausen weggelaufen. "Wie geil!" ruft Allynn, mit der ich durch ein Winterwunderland fahre und ihr nebenbei meine Geschichte erzähle.
Nun hat die Allgäu-Stadt Sonthofen mit ihrem malerischen Voralpenblick hat uns in ihre erfrischende Umarmung genommen. Es ist kalt, dafür aber hübsch bayrisch. Die Sonne lächelt von einem blauen Himmel, an dem ein verlorenes Wölkchen vorüberzieht, das sich an einem mondänen Bergrücken bricht. In der rustikalen Schankwirtschaft, in der wir wenig später sitzen, riecht es nach Holz und deftiger Küche. Schnaps liegt in der Luft. So konzentriert, dass man davon fast besoffen wird.
Allynn gefällt es auf den ersten Blick. Sie ist eine lebensfrohe Seele, die sofort begeistert war, als ich den Vorschlag machte, in das nahe Bayern zu fahren. Ein Abenteuer hatte ich versprochen, und das sollte es auch sein. Das jährliche "Klausentreiben" gilt hierzulande als der letzte wahre Männlichkeitsbeweis. Ein Blick in die Archive fördert gar Verstörendes zutage. Noch bis ins 18. Jahrhundert sollen Menschen, die sich in den Raunächten aus dem Haus gewagt haben, attackiert und sogar gemeuchelt worden sein.
Diese Zeiten seien Gottlob vorbei, meint unser Wirt. Mit dem Herzblut sei das aber immer noch so eine Sache. Was das heißt, erfahren auch immer mehr Touristen am eigenen Leib. So mancher Draufgänger bezahlt in dem Getümmel einen hohen Preis. Die Klausen haben schließlich einen Ruf zu verlieren und langen schon mal deftig zu. Um das Erlebnis noch zu steigern, werden viele der benutzten Weidenruten am Vorabend in Wasser eingelegt. Das Ergebnis ist ein vortreffliches Folterinstrument.
Die meisten haben irgendwann genug und nehmen die malträtierten Beine in die Hand. Wer das nicht tut, ist entweder besonders abgebrüht oder Masochist. Man muss ein Mann sein, um das zu ertragen. Doch bin ich Manns genug? Aber nicht nur freche Buam laufen in Sonthofen Gefahr, durch die Gassen geprügelt zu werden. Auch Mädels sollten sich in bestimmten Fällen vor den wilden Klausen hüten. Dazu muss man wissen, dass sich unter den Masken einsame Junggesellen verstecken. Ein zärtliches Klatscherl aufs Waderl muss also nicht mal böse gemeint sein, sondern gehört zum lokalen Balzritual. Hübsche Frauen bekommen in der Regel doppelt so viel Dresche. Vielleicht hätte ich das Allynn sagen sollen, doch dafür ist es zu spät. Denn soeben hat sich die Dunkelheit über Sonthofen gelegt, und jedes Kind weiß hier, dass dann Angst und Schrecken in den Bergen regieren.
Eine Horde brüllender Klausen rennt mich beinahe über den Haufen. Im letzten Moment kann ich mich auf eine Bank retten. Ich schaue mich mit klopfendem Herzen um und entdecke Allynn in einem kreischenden Menschenpulk. Sie winkt mir zu und lacht. Muss ich mir also keine Sorgen machen? In ihrer Nähe sehe ich drei fesche Burschen, die sich heldenhaft in das Kesseltreiben stürzen. Dafür setzt es herzhaft Hiebe. Die Klausen lassen das Trio tanzen.
Es würde mich nicht wundern, wenn in dieser Nacht manche Rechnung beglichen wird. Ein junger Kerl mit Bayernschal, der lässig vor einem dampfenden Monster herumstolziert, ist als Nächster dran. Ein Held? Ein Irrer? Vielleicht hat er auch nur zu tief ins Glas geschaut? Jedenfalls hat er nur Augen für sein Gegenüber, weshalb er in seinem Rücken den Maskierten nicht bemerkt. Der umklammert. Der andere lässt es krachen, bis die Lederhose platzt.
Allynn hat immer noch ihren Spaß, der allerdings abrupt zu Ende geht, als ein haariges Ding aus einer anderen Welt um ihre Hand anhält. Es knallt. Sie schreit getroffen. Ihr Verehrer schleicht lachend von dannen. Sie hinterher. Ich beobachte amüsiert die Szene, was mich unvorsichtig macht. Zwei Schränke mit erkennbarer Fahne bekommen mich in ihre Krallen. Und links und rechts. Heisa, wie das zischt, lacht mir der Winterdämon ins Gesicht. Warum ausgerechnet ich? Gott sei Dank, der Nikolaus ist da. Verfolgt von einer Kinderschar. Ich humpele zu der Bescherung. Da kommt mir Allynn entgegen. Eine Weidenrute in der Hand. "Na, wurdest du auch angebaggert?", will sie wissen. Wir fangen an zu lachen. Andere fallen mit ein. Morgen werden wir die Striemen zählen. So schön kann Weihnachten in den Bergen sein.