Von Heiko P. Wacker
Grün in 40 Schattierungen, Regenbogen und Regenfälle, Pubs und Musik, Klippen und Meer: Für echte Fans ist Irland nicht nur eine Insel. Irland ist eine Passion. Wegfahren kann man vielleicht wieder - aber loskommen? Eigentlich nicht. Dafür hat dieses Land zu viel Charme. Auch, wenn der manchmal herb zu sein scheint.
Natürlich kann man einfliegen und mit dem Mietwagen die Insel erkunden. Viel intensiver wird es jedoch im eigenen Camper, ein VW Bulli ist ideal. Nicht nur, weil man mit ihm in jene Ecken kommt, wo Naturgewalten oder landschaftliche Monumentalität fröhliche Urstände feiern, dass man am liebsten an Ort und Stelle den Sonnenuntergang erleben möchte. Sondern auch deshalb, weil man das im eigenen Camper tatsächlich tun kann.
Doch wir müssen ja erst einmal auf die Insel - und das setzt Planung voraus, wobei die Anreise mit der Fähre nach Nordengland und der Sprung über die Irische See Unterhaltungswert mit Entspannung kombiniert. Also entern wir in Amsterdam die Fähre, rollen in Newcastle von Bord, nehmen die 280 Kilometer bis zum Hafen im schottischen Cairnryan unter die Räder - und stehen zwei Stunden später in Larne auf dem Kai - Nord-Irland.
Relevant ist diese Information nicht - noch nicht, zumindest bis der Brexit Realität wird. Im Moment pendelt man problemlos zwischen dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland und der Republik Irland. Wie es weitergehen wird, wenn eine EU-Außengrenze quer durch die Insel verläuft - wer weiß? Vielleicht auch deshalb plant aktuell so manch einer die Reise. Frei nach dem Motto: Besuchen Sie Europa, so lange es noch geht. Ein Trauerspiel!
Doch genießen wir lieber die Causeway Coastal Route, die schon in Belfast beginnt. Wir starten Richtung Norden, immer am Wasser entlang - mit einem Bulli ist es ein Vergnügen, die ganz kleinen Pisten unter die Räder zu nehmen, die für "normale" Wohnmobile als "unsuitable", als "ungeeignet" bezeichnet werden. Hört sich drollig an, sollte jedoch beherzigt werden: Schon manch einer hat sich in einer engen Kehre verkeilt. Wenn dann noch Bauer Seamus mit dem Trecker um die Ecke bohnert, wird es lustig. Also setzt man lässig zurück, notfalls hundert Meter den Berg rauf und um drei Kurven, denn der Landwirt und sein Gespann haben Vorrang. Und wieder einmal freut man sich über die Talente des inzwischen in sechster Generation gebauten Klassikers, der alles vereint, was man sich unterwegs so wünscht - vom Bett bis zur Küche. Und gemütlich ist er obendrein, was einen Kaffeestopp an einem hoch über den Klippen gelegenen Parkplatz zu einem sehr angenehmen Vergnügen macht. Dort wird der Bulli zum "Zimmer mit Aussicht".
Entlang der Küste finden sich zahllose verführerische Ecken, aber auch muntere Städtchen wie Ballycastle: Es gilt als Sprungbrett zur Vogelinsel Rathlin Island wie auch zu den neun Tälern, den Glens of Antrim. Zudem findet man sich in der Region mitten im Kinoland - etliche Szenen für "Game of Thrones" wurden hier gedreht. Fans werden die Höhlen von Cushendun, die "Dark Hedges" - diese 300 Jahre alten Baumallee wirkt selbst bei Sonnenschein unwirklich - oder den noch immer von Fischern genutzten Hafen von Ballintoy wiedererkennen. Apropos Fischer: Die bauten sich schon vor Jahrhunderten die Carrick-a-Rede-Hängebrücke zur winzigen Insel Carrick, der Lachse wegen. Heute ist die Brücke eine modernisierte Touristenattraktion, der Eintritt kostet rund sechs Pfund.
Etwas mehr anlegen muss man, möchte man eine Flasche "Distillery Reserve" in "Bushmills" erwerben: Die Brennerei bezeichnet sich mit Verweis auf das Jahr 1608 als älteste überhaupt, und produziert auch heute noch im gleichnamigen Städtchen. Erhältlich ist der Whiskey rund um den Globus, nur eben die "Reserve", die gibt es nur hier: der zwölf Jahre alte Single Malt kommt auf rund 40 Euro.
Nahebei findet sich zudem die wohl bekannteste Treppe der Welt, der Giant’s Causeway: Wer keinen Trubel mag, der sollte abends kommen. Dann parkt man umsonst, und kann das Wunderwerk des Riesen Fionn mac Cumhaill im Sonnenuntergang genießen: Der gewaltige Ire habe einst diese Treppe nach Schottland gebaut, die indes gleich von seinem Widersacher Benandonner zerstört wurde. Eine Unesco-Naturerbestätte ist sie gleichwohl, abends färben sich die 40.000 achteckigen Säulen rötlich, entstanden sind sie mal eben vor fast 60 Millionen Jahren.
Nicht ganz so alt, und doch einen Besuch wert: Dunluce Castle, eine der größten Ruinen in Irland. Das scheint sich aber noch nicht herumgesprochen zu haben, die Massen ballen sich woanders. Dabei hat das Castle, das sich gut 30 Meter über die donnernden Wellen erhebt, einen besonderen Charme - auch wenn die Küche schon im 17. Jahrhundert ins Meer stürzte. "So will es zumindest die Sage", meint Bertha Huey, die historische Gewänder bereit hält. Für zehn Pfund darf man sich eine Weile als Burgfräulein oder Ritter fühlen, junge Mädchen, gerade wird die kleine Imogin verkleidet, lieben rosafarbene Prinzessinnenkleidchen.
Allmählich kommt man nun in die Region von Derry/Londonderry, und verlässt Nord-Irland, um in den Norden Irlands zu reisen. Der zu Großbritannien gehörende Teil umfasst sechs historische Grafschaften der Provinz Ulster, drei - Cavan und Monaghan im Hinterland sowie Donegal im hohen Nordwesten - gehören somit zur Republik, womit ein weiteres Brexit-Kuriosum angesprochen wäre. Denn besagte EU-Grenze quer durch die Insel würde Donegal beinahe zu einer Enklave machen, mit einem schmalen Korridor als einzigem Zugang.
Die Natur, die schert sich einen Dreck um Grenzen - hier in Donegal gibt sie sich noch wilder, verwegener. Malin Head markiert den nördlichsten Punkt Irlands, leicht westlich warnt seit 200 Jahren der "Fanad Head" die Schiffe. In dem Turm kann man zudem übernachten, und sich in den Ferienwohnungen wie einst der Leuchtturmwärter fühlen.
Wer mehr über das Leben in früheren Zeiten wissen möchte, der sollte zum "Glencolmcille Folk Village" fahren. Eine alte Schule, Wohnhäuser und ein Pub warten auf Besuch. "Am besten kommt man am späten Vormittag, vor den Reisebussen", verrät Mayryo Gara. "Dann ist auch im Teehaus nicht so viel los", fügt Kevin McGinle hinzu, der derweil die Schwelle fegt. "Wer nur zum Tee kommt, der zahlt auch keinen Eintritt." Wobei der mit fünf Euro ohnedies nicht teuer ist.
Unbezahlbar ist die Natur hier im Westen, die Region ist noch immer ein Geheimtipp, auch wenn sich in den letzten 20 Jahren manches geändert hat. Deutlich wird das im einst so beschaulichen, heute sehr touristisierten Doolin: Wer es gelassener mag, der biegt hier ins Landesinnere ab, der Wild Atlantic Way würde noch weit in den Süden führen, er und sein Pendant im Norden gelten zu Recht als Krönung europäischer Küstenstraßen. Doch auch im "Hinterland" warten Schätze wie die Klosterruine Clonmacnoise.
Etwas weiter rollt man bei Armagh nach Nordirland: Entfernungen werden nun wieder in Meilen angegeben, und Preise in Pfund und nicht in Euro, ansonsten spürt man wenig Unterschiede. Und auch Belfast hat sich längst zu einer hippen Stadt entwickelt, die die "Troubles" gerne vergessen machen möchte. Dass die "Murials", jene martialischen Wandgemälde des Bürgerkriegs, mehr und mehr zu Touristenattraktionen werden, das ist sicherlich ein gutes Zeichen.