Ruhe für den Uluru
Vor 34 Jahren bekamen Australiens Ureinwohner Ayers Rock zurück und nannten ihn Uluru. Immer wieder besteigen Touristen den heiligen, roten Felsen der Aborigines - doch damit ist Ende Oktober Schluss

Von Stephan Brünjes
Hier ist nichts, was normale Reisende in diesen desolaten, versandeten Teil Australiens treiben könnte. Niemand wird den Drang haben, hierher zu kommen als Tourist." Klare Worte von Naturforscher Prof. Baldwin Spencer, die allerdings nicht erst gestern gesprochen wurden, sondern im Jahre 1912.
Heute haben jährlich mehr als 300.000 Reisende allerdings erheblichen Drang, zum Uluru zu reisen. 23 von ihnen sind an diesem Morgen unterwegs mit Ranger Lee Dalton, wollen den Sonnenaufgang am roten Superfelsen erleben, ihn umrunden und begreifen, welche Bedeutung er in der Kultur der Aborigines hat.
Hintergrund
INFORMATIONEN
Anreise: Qantas, Cathay Pacific oder Emirates fliegen aus Frankfurt z.B. nach Sydney oder Brisbane. Von dort per Inlandsflug zum Ayers Rock Airport
Übernachtung: nur im nahegelegenen, eigens für
INFORMATIONEN
Anreise: Qantas, Cathay Pacific oder Emirates fliegen aus Frankfurt z.B. nach Sydney oder Brisbane. Von dort per Inlandsflug zum Ayers Rock Airport
Übernachtung: nur im nahegelegenen, eigens für Besucher angelegten Voyages Ayers Rock Resort. Preisgünstig auf dem Campingplatz, Mittelklasse-Standard bieten z. B. die Emu Walk Apartments. Luxus-Unterbringung verspricht das Hotel "Sails in the Desert", www.ayersrockresort.com.
Uluru Nationalpark: Das Drei-Tages-Ticket, erhältlich am Eingang, kostet ca. 15 Euro. Täglich kostenlose 90-minütige Touren mit Rangern von der Uluru-Base aus; https://parksaustralia.gov.au/uluru/
6.30 Uhr, dick eingepackt in Fleece-Jacken, Mützen und Schals, steigt die Gruppe aus dem Kleinbus. Es ist kalt, nur ein paar Grad über Null. Timm (14) zittert, hat seine Handschuhe vergessen und Glück, dass Lee ihm welche leiht. Warme Farben sind nirgendwo zu sehen. Grau der Himmel, Boden, Büsche und Riesen-Felsen verschwimmen in mattbraunem Einerlei. Die Uluru-Besucher trotten los, schweigend. Nach wenigen Minuten wird das Himmel-Grau zum Himmel-Blau - so schnell, als drehe jemand am Farbknopf. Fingerzeige in Richtung Horizont, ein erstauntes Raunen geht durch die Gruppe. Noch keine Sonne zu sehen, und trotzdem leuchtet der Uluru plötzlich in so kräftigem Rotbraun, als sei er binnen weniger Minuten komplett verrostet.
"Das ist er ja genau genommen seit Millionen Jahren", erklärt Lee beim ersten Stopp. Eigentlich sei der Uluru langweilig grau, habe aber einen Eisenoxyd-Überzug und sehe daher aus wie ein rostiger Metallklumpen, erklärt der Ranger. Und macht gleich darauf klar, dass er so eine Art "Old Shatterhand" der Aborigines ist: Kein Ureinwohner, aber doch Blutsbruder - der weiße Kämpfer für ihre Sache.
"Wisst ihr, was das ist?", fragt er herausfordernd in die Runde und zeigt auf den Boden. "Gras" sagt ein amerikanischer Besucher, leicht verunsichert ob dieser Kindergarten-Frage. "Ja, rhodesisches Büffelgras", antwortet Lee mit schnarrender Stimme, "angepflanzt nach dem großen Feuer 1976." Damals hätten die weißen Parkverwalter gedacht, die ursprünglich hier wachsenden Pflanzen seien vernichtet. "Dabei brauchen diese nur winzige Wassermengen, um wieder zu wachsen", ereifert sich Lee und schimpft über die Ahnungslosigkeit damaliger Park-Ranger. Denn das Büffelgras habe sich seitdem vermehrt wie eine Krankheit, nehme vielen einst hier heimischen Pflanzen den Lebensraum. "Kein Feuer, kein Gift wirkt gegen dieses Gras, deshalb lassen wir es jetzt von freiwilligen Helfern mit Stumpf und Stiel ausrupfen", wettert er.
Inzwischen guckt die Sonne über den Horizont, projiziert meterlange Schatten der Uluru-Wanderer in den roten Wüstensand. Zeit für die Frühstückspause auf einem Fels-Plateau. Und für Lees Geografie-Unterricht. Ohne Tafel und Kreide, ohne Laptop-Präsentation, aber mit Händen und Füßen beschreibt der Ranger, wie Uluru einst entstand - kritzelt per Stock ein zerbeultes Osterei in den Sand: "Zuerst war da ein Schlammklumpen aus Quarz-Sandstein und Feldspat, vor 600 Millionen Jahren", doziert er. Der sei unterirdisch zusammengebacken und wie in einer Waschmaschinentrommel von Erdbewegungen hin- und hergedreht, geknetet, gepresst, wieder gedehnt und irgendwann nach oben gedrückt worden. Eine Vulkanexplosion habe es da gegeben, neun Kilometer hoch, sagt Lee, so als sei er als Urzeit-Seismologe dabei gewesen. 348 Meter hoch ragt der Inselberg seitdem auf - höher als der Eiffelturm. Das sieht man dem Uluru nicht an, weder aus der Ferne noch ein paar Schritte neben ihm auf dem Rundweg.
"Ab hier nicht mehr fotografieren", bittet Lee ein paar Schritte weiter und weist auf eine der Kultstätten der Anangu-Aborigines hin. Jede davon ist mit einer heiligen Geschichte aus der Tjukurpa genannten Mythologie verbunden, stets spielt der Felsen darin eine Rolle, etwa als Geburtsstätte für Aborigines-Mütter oder als sagenhafter Ort, an dem sich angeblich der Streit zweier Schlangen-Clans abgespielt hat: Kuniya, eine Python, ist dort von Lirus, den Schlangen eines verfeindeten Stammes, getötet worden. Kuniyas Tante, auf Rache sinnend, hat die Lirus daraufhin mit Speeren bekämpft und einer gegnerischen Python schließlich den Kopf gespalten. "Da, schaut", sagt Lee und deutet auf ein Uluru-Felsenstück. Es sieht ohne viel Fantasie aus wie Monsterschädel mit Riesenkerbe. Gleich daneben: witterungsbedingte Löcher im Felsen, der Sage zufolge Einstiche der Speere.
Heute Morgen ist hier keine Schlange zu sehen. Nur eine streunende Katze. Der nächste Anlass für Lees Aufregung: "Die haben die Siedler eingeführt. Inzwischen sind sie eine Landplage, denn sie haben hier keine Feinde", sagt er und beklagt, Katzen hätten die Malas, eine kleine Känguru-Art, fast ausgerottet.
Nicht der einzige Tier-Import mit weitreichenden Folgen im Öko-System: Das erste Kamel wankte, halb tot von der Überfahrt aus Teneriffa, am 12. Oktober 1840 von einem Schiff. Heute stolzieren geschätzte zwei Millionen Höckertiere "down under" herum - vermehren sich ungebremst. "Auch sie haben keine natürlichen Feinde, aber viel Hunger und fressen anderen Tieren die Nahrung weg", sagt Lee und bilanziert: Von 22 Säugetier-Arten rund um den Uluru sind heute nur noch 14 vorhanden.
Eine Erblast aus der Verwaltung der Weißen. Die endete am 26. Oktober 1985. "Ayers Rock", so der damalige Name, benannt nach einem Gouverneur, wurde vom obersten australischen Bundesgericht mitsamt umliegendem Nationalpark an die Ureinwohner zurückgegeben. Die Anangu verpachteten diesen - gemäß Abkommen - daraufhin für 99 Jahre an den australischen Staat, übernahmen selbst die Verwaltung und änderten den Felsen-Namen in "Uluru".
Seitdem war es für viele Besucher zumindest eine Überwindung, ihn zu besteigen. Denn in Videos, auf Plakaten und in Broschüren baten die Aborigines darum, es nicht zu tun, da er für sie ein Heiligtum ist. "170.000 Besucher ignorieren das jährlich trotzdem", erzählt Lee am Tor zum Klettersteig, "etwa 200 davon mussten pro Jahr von Park-Rangern gerettet werden - sei es, weil sie zu wenig Wasser mitnehmen, einen Sonnenstich kriegen oder in Gummischuhen hochkraxeln, die ihnen in sengender Hitze unter den Füßen wegschmelzen.
Doch damit ist nun Schluss, denn ab dem 26. Oktober darf niemand mehr hochkraxeln, exakt 34 Jahre nachdem die Aborigines ihren Felsen zurück bekamen.
In gleißender Mittagssonne sieht der Uluru nun dunkelbraun, fast verkohlt aus. Die Besucher brauchen Schatten, verabschieden sich vom mythischen Monolithen, wollen ihm abends einen letzten, besonders faszinierenden Besuch abzustatten - aus der Ferne, beim "Sounds of Silence-Diner": Auf einem Hügel im Nationalpark wird Champagner serviert, während der Uluru, gut zehn Kilometer entfernt wie ein Findling in der Steppe liegend, seine letzte Metamorphose im Sonnenuntergang macht: Zuerst leuchtet er weinrot und später nachtgrau.



