US-Bundesstaat Louisiana

Die Vampire von New Orleans

Louisiana ist nicht nur bekannt für ihre lebendige Musikszene. Auch ihre Vampire und Hexen haben sich in den letzten Jahrzehnten einen Namen gemacht.

13.12.2024 UPDATE: 15.12.2024 04:00 Uhr 5 Minuten, 42 Sekunden
Auf den Friedhof Lafayette Cemetery I flüchtete sich Anne Rice oft als Kind. Foto: Getty

Von Lisa-Marie Leuteritz

Anne Rice ließ in einem Interview 2012 den Satz fallen: "Denken wir das nicht alle, dass wir für immer leben?" Das denken wir, bis etwas in unserem Leben passiert, was uns an unsere Sterblichkeit erinnert. Rice beschreibt damit die Sehnsucht und gleichzeitige Last eines ewigen Lebens, um die sie die weltweit bekannte Vampirchronik rund um den Vampir Lestat gesponnen hat.

Entstanden ist dieses Werk in New Orleans. Einer Stadt, die vor allem für ihre mitreißende Musikszene bekannt ist, allerdings auch für ihre außergewöhnlichen Friedhöfe, auf denen Menschen ausschließlich in Mausoleen bestattet werden, weil der hohe Grundwasserspiegel sie sonst wieder nach oben drücken würde. Eine Stadt, in der einigen Bewohnerinnen und Bewohnern Zauberkraft und gar Unsterblichkeit unterstellt wird, in der Voodoo bis heute präsent ist. Eine Stadt, die sich wohl kaum besser für den Beginn einer Vampir-Saga eignen könnte.

Für Anne Rice ist New Orleans schon immer ein besonderer Ort gewesen. Dort wurde sie 1941 geboren und hat die ersten Jahre ihrer Kindheit hier verbracht. Zwischen fantastischen Jazz-Umzügen und dem Alkoholismus ihrer Mutter. "Mein Leben ist immer einen Zentimeter vom Horror entfernt. All der Schmerz, das Leid und die Trauer ist immer mit mir. Ich schreibe, um dagegen anzukämpfen", wird sie später in der BBC-Dokumentation "Birth of Vampire" über ihr Leben vor dem großen Erfolg sagen.

Wie nah Faszination und Tragik schon in den frühen Lebensjahren der Anne Rice beieinanderlagen, weiß auch Jeffrey Holmes. Der Tourguide sagt über die Autorin, sie habe sein Leben verändert und führt Touristen heute durch den Garden District der Stadt. "Ich kam 1995 nach New Orleans und wollte vier Tage bleiben. 29 Jahre später bin ich immer noch hier", erzählt er mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. "New Orleans war für mich, als hätte Schwarz-Weiß-Fernsehen urplötzlich Farbe bekommen."

Im Buchladen des Garden District gibt es noch immer signierte Ausgaben von Anne Rices Büchern, allerdings zu stolzen Preisen.

Der Garden District ist ein Teil von New Orleans, der sich deutlich von Downtown und dem touristischen French Quarter unterscheidet: Eine prunkvolle Villa aus den Zeiten der großen Plantagen-Reichtümer reiht sich hier an die nächste und die dichte, tropische Vegetation Louisianas sorgt für zahlreiche Augenweiden.

Anne Rice wurde in keine reiche Familie geboren, wuchs dennoch im Garden District auf. "Es war die Zeit nach der großen Depression, die Zeit des Reichtums war vorbei und die Herrenhäuser wurden zu Mietshäusern", weiß Holmes. Um nach der Schule nicht gleich wieder nach Hause zu ihrer betrunkenen Mutter zu müssen, flüchtete sie sich auf den Friedhof Lafayette Cemetery I.

"Stell dir vor, der Friedhof in New Orleans ist der Ort für ein zwölfjähriges Mädchen, an dem sie sich am sichersten fühlte", gibt Holmes zu denken. Die Mutter von Rice bezeichnete den Alkoholismus als "ein Verlangen in meinem Blut". Blut, was das Wesen verändert – das, was Anne Rice in ihrer Fantasie daraus macht, wird auch ihr Leben verändern.

Die Mutter starb, als Anne 15 Jahre alt war. Annes Vater zieht mit ihr nach Fort Worth. Anne muss ihr geliebtes New Orleans verlassen und in das in ihren Augen triste Texas ziehen. Ihre Welt wurde grau – bis sie Stan Rice traf.

Gemeinsam studierten sie in San Francisco und während ihr Mann sich bereits als Schriftsteller einen Namen gemacht hatte, war Anne Hausfrau. 1966 wurde Tochter Michele geboren. Nach ein paar Jahren idyllischen Familienlebens änderte eine Diagnose alles: Michele erkrankte unheilbar an Leukämie. Während Anne Himmel und Hölle in Bewegung setzte, um eine Rettung für ihre Tochter zu finden, wollte Stan Rice lieber die verbliebene Zeit mit seiner Tochter genießen.

Michele starb mit sechs Jahren. Ein Alter, in dem die junge Claudia von Louis und Lestat zur Vampirin gemacht wird. Diese Parallele im Buch "Interview mit einem Vampir" stritt Anne Rice immer ab. Claudia sei nicht von ihrer ewig jungen Tochter inspiriert gewesen. Die unendliche Trauer trieb Anne an die Schreibmaschine. Sie vollendete "Interview mit einem Vampir" innerhalb von sechs Wochen. Und dann passierte erst einmal gar nichts. "Es war nicht die Zeit, in der sich Editoren für die Fantasiegeschichten von unbekannten Autorinnen interessierten", sagt Holmes.

Ihr Mann Stan Rice erkannte das Potenzial hingegen sofort: "Ich habe es an einem Tag gelesen und wusste: Unser Leben wird nie mehr dasselbe sein", erzählt er in der BBC-Dokumentation. Und er sollte recht behalten. Eine Editorin wurde auf das Manuskript aufmerksam und bot Anne 12.000 Dollar an. Das war 1976 und das Leben der Rice-Familie änderte sich einmal mehr, doch diesmal zum Besseren. Ein halbes Jahr nach Erscheinen des Buches verkaufte Anne die Filmrechte für 150.000 Dollar, weitere sechs Monate später bekam sie 750.000 Dollar für die Rechte, das Buch als Taschenbuch zu veröffentlichen. Erschienen ist der Film "Interview mit einem Vampir" schließlich am 1. Dezember 1994 – also vor genau 30 Jahren. Damals haben Tom Cruise und Brad Pitt den Vampiren Lestat de Lioncourt und Louis de Pointe du Lac erstmals ein Antlitz verliehen und die Fantasie von Anne Rice endgültig weltberühmt gemacht.

"Das ist zu dieser Zeit noch nie einem unbekannten Autor passiert, erst recht keiner Frau, die über blumige und vielleicht schwule Vampire schreibt", erzählt Jeffrey aufgeregt und bleibt vor einem prächtigen Haus im Garden District stehen. Nach dem bahnbrechenden Erfolg kehrte Anne Rice nach New Orleans zurück und war auf der Suche nach einem passenden Haus für sie. Ein kleines Detail am "Rosegate House" überzeugte sie schließlich: Der Zaun sieht aus, als wäre er mit Hunderten Totenköpfen verziert, die eigentlich Rosen darstellen sollten.

Der morbid aussehende Zaun war es, der Anne Rice zum Kauf des Rosegate House bewegte. Fotos: Leuteritz

Vor dem Haus wachsen mächtige Virginia-Eichen, die auch Lebenseichen genannt werden. Auf ihnen wiederum wächst ein kleiner Farn, welcher auch den Namen "Farn der Wiederauferstehung" trägt. Bleibt der Regen länger aus, wird der Farn braun und stirbt augenscheinlich. Doch sobald es regnet, kehrt das Leben zurück in die Pflanze und sie grünt erneut. Ein wunderbarer Ort für Übernatürliches, dachte sich auch Anne Rice und ließ ihre Mayfair-Hexen in das "Rosegate House" einziehen – natürlich nur in den Büchern, doch darin schrieb sie wirklich ihre damals echte Adresse Rosegate 1239 First Street.

Rice gestaltete auch ihre öffentlichen Auftritte außergewöhnlich. Einer davon war der Moment, in der Jeffrey Holmes Anne Rice persönlich sah. "Es war 1995 und sie kündigte eine Signierstunde für ihr Buch ‚Memnoch der Teufel‘ an. Treffpunkt war der Friedhof hier im Garden District", erinnert sich Jeffrey Holmes, während er an dessen Tor lehnt. Damals war dieser Ort noch frei zugänglich, heute ist das nur noch Menschen erlaubt, die Verstorbene hier begraben haben. Es ist auch der Friedhof, auf dem Brad Pitt alias Louis von Tom Cruise im Gewand von Lestat zum Vampir gemacht wird.

Aber zurück zu Annes Signierstunde: Dazu ist ein kurzer Exkurs in die Traditionen von New Orleans nötig. Hier gab und gibt es Jazz-Bestattungen. Dabei folgt dem Trauerzug eine Bigband und spielt laut Musik. Das soll den Geist des Verstorbenen so verwirren, dass er nicht mehr den Weg nach Hause findet und dieses nicht heimsuchen kann. Eine solche Jazzband samt Sarg tauchte auch 1995 vor dem Lafayette-Friedhof auf. Vor der Buchhandlung, die es bis heute gibt und irre teure Anne-Rice-Bücher mit Signierung verkauft, blieb der Trauerzug stehen. "Der Sarg wurde geöffnet und drinnen lag Anne Rice in einem weißen Hochzeitskleid", erzählt Jeffrey Holmes mit leuchtenden Augen. Das war der Beginn ihrer Signierstunde, "der absolute Wahnsinn".

Anne Rice starb am 11. Dezember 2021 in Kalifornien. Nach dem frühen Tod ihres Mannes 2002 verließ sie New Orleans wieder und verbrachte den Rest ihres Lebens in Kalifornien. Ihre Vampir-Chronik umfasst 13 Bände, dazu kommen zahlreiche andere Bücher, darunter erotische Romane und religiöse Werke. Die Vampire und anderen fantastischen Wesen haben sie nie losgelassen. In einem Interview beschrieb sie es so: "Vampire sind gute Metaphern für uns Menschen, weil wir uns heimlich doch alle ein bisschen wie Monster fühlen."


> Infos: 

> Anreise: Flüge nach New Orleans gibt es beispielsweise ab Frankfurt. Meist mit einem Zwischenstopp verbunden, dauern die rund 15 Stunden.

> Einreise: Für die Einreise in die USA wird ein Esta-Visum benötigt. Das lässt sich online beantragen.

> Klima: Die beste Reisezeit ist April, Mai, Juni und Oktober, dann liegen die Höchsttemperaturen knapp unter 30 Grad Celsius. Der Juli ist mit über 30 Grad und einer stets hohen Luftfeuchtigkeit extrem heiß.

> Essen & Trinken: Das Essen in New Orleans ist so bunt wie seine Einheimischen. Ein beliebtes Gericht ist Jambalaya, eine Mischung aus Hähnchen, Meeresfrüchten und Gemüse mit Reis. Es gibt aber auch US-amerikanische Klassiker wie Burger und Pancakes.

> Vor Ort: New Orleans ist vor allem bekannt für seine Musikszene, ein lebendiges Nachtleben und die Liebe zum Übernatürlichen. Geister- und Vampirtouren ziehen jeden Abend in Scharen durch das French Quarter. Wer noch tiefer in die Welt der Vampire eintauchen möchte, kann die Boutique du Vampyre im French Quarter besuchen oder Cocktails aus Blutkonserven im Vampire Café genießen.

> Unterwegs: Zur Fortbewegung eignet sich Uber am besten, viele Highlights sind auch zu Fuß erreichbar. Es gibt außerdem eine Straßenbahn, die seit 1835 unterwegs ist und sich mit dem Titel der ältesten Straßenbahn der Welt schmücken darf.

> Weitere Infos: https://www.neworleans.de , www.neworleans.com/listing/strange-true-tours/34568/