Spaniens grüner Norden

Die kleine Region Kantabrien ist ein touristisches Juwel

Von langen weißen Sandstränden über hügeliges Hinterland und tiefe Schluchten bis zum Hochgebirge bietet es auf kurze Distanzen extrem viel.

02.07.2021 UPDATE: 03.07.2021 06:00 Uhr 5 Minuten, 12 Sekunden
Die Kliffküste vor Santander, Hauptstadt der nordspanischen Region Kantabrien. Foto: Getty

Kantabrien? Das ist doch eine Region in Süditalien. Da, wo die Mafia und so … Und Santander? Klar, der Name einer Bank. Selbst der leicht fortgeschrittene Homo Touristicus kommt bei der geografischen Verortung leicht ins Schleudern. Santander ist die Hauptstadt Kantabriens und liegt im Norden Spaniens.

In der Tat hat das elegante Seebad der dort gegründeten Bank einen guten Teil seines Bekanntheitsgrades zu verdanken. 1857 gründete hier Emilio Botin Spaniens heute größtes Geldinstitut. Hauptsitz ist längst Madrid. Aber immer noch ist der Name der Gründerfamilie in der 170.000 Einwohner zählenden Stadt präsent: das Centro Botin, eine Mischung aus Museum, Konferenz- und Kulturzentrum, wurde mit Geldern der Finanzaristokraten gebaut. Direkt am Wasser gelegen, saugt die Metallfassade des Zentrums für moderne Kunst, Fotografie und Videoinstallationen die wechselnden Farben von Meer und Himmel förmlich auf, verstärkt sie und wirft sie zum Betrachter zurück. Ein Hingucker, entworfen vom italienischen Stararchitekten Renzo Piano.

Santander ist der ideale Einstiegsort für die Entdeckung dieser kleinen spanischen Region, die vor Kontrasten geradezu strotzt. Breite Boulevards und noble Geschäfte verleihen der Stadt von der Größe Heidelbergs ein kosmopolitisches Flair. Daran ändert auch nichts, dass die Innenstadt über keinerlei historische Bausubstanz verfügt. Das Zentrum Santanders war 1941 bei einem Großbrand vollständig in Schutt und Asche gefallen.

Den eigentlichen Reiz der Stadt macht seine abwechslungsreiche Lage am offenen Meer und an einer großen, weit ins Land hineinreichenden Bucht aus. Vor allem im Sommer entfaltet diese Mischung ihren Zauber: mit kleinen Landzungen, vorgelagerten Inselchen, gepflegten Uferpromenaden und sanften Hügeln dahinter. Severiano Ballesteros, einer der weltbesten Golfspieler seiner Zeit, stammt aus einem der Dörfer am Rand der Bucht. Der kleine Flughafen Santanders trägt heute seinen Namen. Fußläufig vom Zentrum entfernt ziehen sich kilometerweit breite Strände mit feinem weißen Sand entlang des Golfs von Biskaya.

Kulturzentrum Centro Botin in Santander. Foto: Pfenning

Und: Santander ist grün. Sehr grün sogar. Nicht weniger als 30 öffentliche Parks gibt es hier. Der größte und zugleich schönste liegt am Ende der Peninsula de la Magdalena. An ihrem höchsten Punkt thront ein Schloss, das man architektonisch in England vermuten würde: der Palacio de la Magdalena, die Sommerresidenz des früheren, mit einer Halb-Engländerin verheirateten spanischen Königs Alfons 13. Auch das Hinterland Santanders kommt eher britisch als spanisch daher. Die sanften Hügel mit von Bäumen gesäumten Weiden verortet man eher in England, Wales oder Schottland. Das viele Grün kommt dabei nicht von ungefähr. An der Küste Kantabriens fällt im Jahresverlauf mehr als doppelt so viel Niederschlag als in Heidelberg.

Von Santander aus lohnt ein Abstecher ins Küstendörfchen Santillana del Mar: ein kopfsteingepflastertes Kleinod, eine Art kantabrisches Rothenburg ob der Tauber. Hier wie dort entfaltet sich der wahre Reiz erst am Abend, wenn die zahlreichen Tagestouristen dem Ort den Rücken gekehrt haben und die Gässchen in ein warmes Licht getaucht sind.

Keine halbe Autostunde von Santillana entfernt, wartet ein Spektakulum der anderen Art: die Höhle von Altamira mit ihren 15.000 Jahre alten Felsmalereien. Ähnlich wie im südfranzösischen Lascaux ist aber auch hier nur eine originalgetreue Replik der Öffentlichkeit zugänglich. Die Luftfeuchtigkeit, die die Besucher in die Höhle einbringen, würde die Malereien zerstören. Fast schon ehrfürchtig stehen wir vor den braun-rot-schwarzen Zeichnungen von mehr als 100 Bisons und Hirschen, die mit gemahlenem Ocker und Holzkohle auf Wände und Decken aufgebracht wurden. Je nach Relief wirken manche dreidimensional. Seit mehr als 30 Jahren ist Altamira Unesco-Weltkulturerbe.

Die Kliffküste vor Santander, Hauptstadt der nordspnischen Region Kantabrien. Foto: Getty

Daneben gibt es in Kantabrien noch etliche andere Höhlen, in denen Felsmalereien aus der Steinzeit gefunden wurden. Die Gegend ist durchlöchert wie ein Schweizer Emmentaler. Etwas tiefer im grünen und zunehmend bergigeren Hinterland kann man in ein 13 Kilometer langes System von Kalksteinhöhlen eintauchen, die Höhlen von El Soplao. Mit einer kleinen Schmalspurbahn geht es hinein in eine geheimnisvolle Wunder-Unterwelt, in der meterlange Stalaktiten von der Decke ebenso langen Stalagmiten am Boden entgegenstreben.

Die Höhle liegt in der Nähe des Camino Liebana. Er ist einer der zahlreichen Jakobswege, die nach Santiago de Compostela zum angeblichen Grab des Heiligen Jakobus führen. Diese weitgehend unbekannte Variante verbindet seit dem Mittelalter den an der Küste entlangführenden Jakobsweg Camino del Norte mit dem klassischen Camino Frances weiter im Süden. Im abgeschiedenen Zentrum des Wegs liegt das mächtige Kloster Santo Toribio. Pilger verehren dort bei der Messe das Lignum Crucis – der Legende nach ein Teil des Kreuzes, an das Jesus geschlagen worden sein soll.

Nicht nur Natur-, auch Architektur- und Kunstfreunde haben im ländlichen Kantabrien ihre Freude. Bei Comillas taucht plötzlich ein herrschaftliches Gebäude auf, eine Mischung aus Schloss und englischem College. Die Innenräume der Universidad Pontificia sind prächtig, ja fast schon verschwenderisch ausgestattet. Ehemals eine päpstliche Universität, in der früher der spanische Klerus ausgebildet wurde, ist sie heute ein Studienzentrum für die spanische Sprache.

Blauschimmelkäse aus der Bergregion. Foto: Getty

Nur einen kleinen Spaziergang entfernt wartet eines von drei Bauwerken, das der spanische Gute-Laune-Architekt Antonio Gaudi außerhalb seiner Heimatregion Katalonien errichtete. "El Capricho" ist eines seiner Frühwerke und sieht mit seinen unzähligen Sonnenblumen-Ornamenten auf den ersten Blick so gar nicht aus wie vom Großmeister gestaltet. Auch im benachbarten und nicht minder prächtigen Palacio Sobrellano hat Gaudi seine Spuren hinterlassen, wenn auch nur mit der Gestaltung einiger Möbel.

Mit gut 5000 Quadratkilometern – etwa doppelt so viel wie der Odenwald – ist Kantabrien eine der kleinsten Regionen Spaniens. Und auf dieser überschaubaren Fläche zweifellos eine der vielfältigsten. Unsere Entdeckungsreise führt uns weiter weg vom Meer, hinein ins immer schroffer werdende Küstengebirge. Tief eingeschnittene Schluchten erinnern an Südfrankreich. Über und sogar neben uns kreisen Dutzende von Geiern.

Ein Zentrum für Einheimische wie für Touristen ist der hübsche Ort Potes, der sich mit verwinkelten Gassen und vielen alten Steinhäusern entlang des Flüsschens Deva entlangzieht. Praktisch in jedem der zahlreichen Restaurants gibt es das typische Gericht der Bergregion: Cocido Lebaniero, ein Eintopf mit Kichererbsen, Chorizo und faserigem, geschmortem Rindfleisch. Nach dem nicht ganz leichten Mahl hilft bei der Verdauung ein Orujo: die kantabrische Variante des Grappa, der nicht nur wegen seiner knapp 50 Prozent Alkohol eine kleine Herausforderung ist. Unbedingt probieren sollte man auch einen der sehr kräftigen Blauschimmelkäse, wie er in etlichen kleinen Familienbetrieben hergestellt wird.

Höhlenmalereien von Altamira und der Picón Bejes-Tresviso. Foto: Pfennig

Abseits der Durchgangsstraßen ist das Land fast menschenleer. Nur vereinzelt ducken sich kleine Dörfer an die steilen Hänge. Wie in Cicera am Camino Liebana, das neben ein paar einfachen Restaurants einige noch einfachere Pilgerherbergen bereithält. Eine der kleinen Straßen führt ans gefühlte Ende der Welt, nach Fuente Dé. Der Drei-Häuser-Ort liegt in einem großartigen Talschluss, in dem die Felswände fast senkrecht 800 Meter hoch aufragen. Eine Seilbahn überwindet den Höhenunterschied in wenigen Minuten

Hinter der Bergstation beginnen alpine Wanderungen im Kalkgebirge der Picos de Europa, die mit dem Terro de Cerredo auf 2648 Metern ihren Höhepunkt finden. Zum Vergleich: in Deutschland gibt es gerade einmal zwei Berge, die höher sind. Der Gipfel bildet zugleich die Grenze Kantabriens zu den Nachbarregionen Asturien und Kastilien-Léon. Die Picos de Europa sind der krönende Abschluss einer Reise durch eine großartige Region voller Kontraste. Keine anderthalb Autostunden später liegen wir bereits wieder an einem der langen, weißen Sandstrände des Golfs von Biskaya.


Infos: 

Anreise: Am schnellsten mit dem Flugzeug; Umsteigeverbindung mit Iberia von Frankfurt oder Stuttgart über Madrid. Alternative: Mit Lufthansa nonstop nach Bilbao, von dort sind es ca. 100 Straßenkilometer bis Santander. Mit dem Auto sind es von Heidelberg bis Santander quer durch Frankreich und entlang des Golfs von Biskaya rund 1550 Kilometer. Eine Zugfahrt dauert zwei volle Tage und erfordert eine Zwischenübernachtung an der französisch-spanischen Grenze. In Kantabrien selbst bewegt man sich am besten mit einem (Leih-)Auto fort.

Unterkunft: Santander: hotelchiqui.comeurostars, hotelcompany.com; Santillana del Mar: losangelessantillana.com; Comillas: comillashotel.com; Fuente Dé: parador.es/de/paradores/parador-de-fuente-de; Potes: hotelvaldecoro.com

Unbedingt besuchen: Die zweistöckige Markthalle in Santander, das Küstenörtchen Santillana del Mar und die Altamira-Felsmalereien, die Tropfsteinhöhle von El Soplao, das Kloster San Toribio am Jakobsweg, Potes am Fuße der Picos de Europa und Fuente Dé mit seiner Seilbahn auf fast 2000 Meter Höhe.

Unbedingt probieren: In Santander: Pintxos, eine Art "Tapas de luxe"; an der Küste: alles, was aus dem Meer kommt, etwa gegrillter Tintenfisch; in den Bergen: Cocido Lebaniero (Eintopf) und Blauschimmelkäse