Marktredwitz in Bayern

Traditionelles Krippenschauen

In Marktredwitz, einem Städtchen am Rande des Fichtelgebirges, wartet auf Krippenfreunde eine Besonderheit.

24.12.2023 UPDATE: 24.12.2023 06:00 Uhr 3 Minuten, 48 Sekunden
Vor mehr als 100 Jahren gab es im bayerischen Marktredwitz in jedem Haushalt eine Krippe. Fotos: Traub

Von Ulrich Traub

Der Heilige Franziskus kam 1223 in der zwischen Assisi und Rom gelegenen Einsiedelei Greccio auf eine wegweisende Idee. Er ließ das Weihnachtsfest auf eine neue Art feiern, in dem er das Geschehen von lebenden Personen nachspielen ließ. Die Krippe war geboren, vor nun 800 Jahren. In Deutschland erfreuen sich seit einiger Zeit Krippenwege immer größerer Beliebtheit.

In Marktredwitz, einem Städtchen am Rande des Fichtelgebirges, wartet auf Krippenfreunde eine Besonderheit. Der dortige Krippenweg mit meist über 20 Stationen lädt nicht vorrangig in Kirchen und Museen, sondern in Privathäuser. Das sogenannte Krippenschauen hat eine lange Tradition und eine verbindende, soziale Bedeutung, die sich nicht nur an Einheimische richtet. Seit 2021 steht die Marktredwitzer Krippenkultur sogar auf der Liste des immateriellen Erbes in Deutschland.

Volker Dittmar, der Leiter des Egerland-Museums in Marktredwitz, hofft nicht nur auf überregionales Interesse. "Auch die Bevölkerung weiß nun um die Bedeutung der Krippenkultur und nimmt sie als wertvoller wahr." Denn natürlich gibt es auch unter den Kripperern, wie man die Krippenfreunde in Marktredwitz nennt, Fachkräftemangel oder anders ausgedrückt Nachwuchsprobleme. "Früher gehörte eine Krippe in jeden Haushalt, vor allem um das Jahr 1900", blickt Dittmar zurück. Aber das Aufstellen der teilweise riesigen Krippenlandschaften sei eine Arbeit, die viele nicht mehr leisten könnten oder möchten.

Einer, der sich gerne ans Werk macht, ist Albin Artmann. Nichts wie hin in die Wegener Straße. Es wird sofort geöffnet, man scheint auf Besuch zu warten. Der Weg durchs Haus führt vorbei an kleinen Krippen in die Kellerräume, wo sich das Highlight ausbreitet, eine 15 Quadratmeter große Landschaft, in der es jede Menge zu sehen gibt. Die Kulisse ist wie in den meisten Marktredwitzer Krippen alpenländisch geprägt, im Hintergrund ragen Berge auf. "Man hat sich diese Sehnsuchtsregion inklusive vieler Klischees ins eigene Heim geholt", erklärt Volker Dittmar diesen Trend aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Krippenkultur in Marktredwitz entstanden ist.

Albin Artmann erzählt freudig: "Bei mir gibt es immerhin einen Brunnenwastl aus dem Fichtelgebirge." Seine ältesten Figuren sind von 1840. Alles begann mit der Krippe, die ihm sein Opa geschenkt hat. Der gelernte Schlosser kaufte Figuren und Requisiten hinzu. So wuchs seine Krippe immer weiter. "Im Moment habe ich etwa 140 Kühe in der Landschaft verteilt." Und Figuren? "Die zähle ich schon nicht mehr, es sind so viele." Auch für die Spezialeffekte sorgt Artmann selber. Hier dreht sich ein Karussell, dort kommt Rauch aus einem Schlot und vor der Krippe, die am Rand der Landschaft ein wenig versteckt liegt, lodert ein Feuer.

Zu den vielen einzelnen Szenen, die die Krippenfreunde Jahr für Jahr stets anders arrangieren und die charakteristisch für die Marktredwitzer Krippen sind, werden Geschichten erzählt. Diese nennt man Stickla. Der "Schwitzerte", der sich den Schweiß mit einem Tuch von der Stirn wischt, taucht in den meisten Krippen auf, genauso wie Metzger und Schuster, Schmied und Schornsteinfeger, die immer was zu tun haben. Bauern säen und ernten. Ihre Produkte werden in schönster Buntheit auf Marktplätzen feilgeboten. Man sieht Menschen im Biergarten, die mit Maßkrügen anstoßen, andere nehmen lieber ein Sonnenbad an einem Bach. Damit alles natürlich wirkt, sind die Szenarien mit Baumrinde, Moos, Steinen und Wurzeln dekoriert. Die Grundlage wird aus Styropor geformt.

Hintergrund

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Anreise: Mit dem Auto dauert die Anfahrt in das 360 Kilometer entfernte Marktredwitz rund vier Stunden. Mit dem Zug dauert es in der Regel fünf Stunden.

Unterkunft: Ferienhäuser und Hotels für zwei

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Infos: 

Anreise: Mit dem Auto dauert die Anfahrt in das 360 Kilometer entfernte Marktredwitz rund vier Stunden. Mit dem Zug dauert es in der Regel fünf Stunden.

Unterkunft: Ferienhäuser und Hotels für zwei Personen kosten ab 60 Euro pro Nacht. Verschiedene Unterkünfte sind buchbar unter: www.kurzelinks.de/gza0

Krippenweg: Vom 26. Dezember bis 7. Januar ist der Krippenweg geöffnet. Führungen buchen: Tel: 09231 / 501128

Weitere Infos: www.marktredwitz.de

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In der Krippe der Familie Flügel trifft man einen Landschaftsmaler bei der Arbeit an. In der Nähe wird ein Strafzettel wegen unerlaubten Holzsammelns erteilt. Die Tochter des Hauses erzählt lachend, "vor lauter Figuren haben wir beim Aufbau schon mal das Jesuskind vergessen". Auch in der Krippe der Familie Geyer, bei deren Aufbau vier Generationen mithelfen, steht Jesu Geburt nicht im Zentrum. Wichtiger ist dagegen der Kammerwagen, ein typisches Element der Marktredwitzer Krippen. "Mit dem Wagen bringt der Bräutigam die Möbel der Braut ins gemeinsame Heim", erklärt Frau Geyer. Und der hat ganz schön geladen. Die Tochter weist auf das Einhorn hin, das die Krippenszene beobachtet. "Das finden Sie nur bei uns." Wieso ein Einhorn? Da schütteln die Damen den Kopf, das könne man beim besten Willen nicht herausfinden. Auf einmal sei es da gewesen – wie im Märchen.

Eine Kultfigur scheint ein freundlich daherkommender älterer Herr in Jägermontur und mit Rauschebart zu sein, der bayerische Prinzregent Luitpold. "Der war im 19. Jahrhundert im Volk aufgrund seiner Nahbarkeit beliebter als die Ludwigs", erzählt Volker Dittmer. Kaum eine Krippe komme ohne ihn aus. Trotz Alpenkulisse mit Bergsteigern, Menschen in oberbayerischer Tracht und Schuhplattlern sind auch viele Marktredwitzer Originale in den Krippen zu finden. "Der ‚Schwitzerte‘ ist zum Beispiel die Karikatur eines hiesigen Industriellen", weiß der Museumsleiter.

Für die mit 60 Quadratmeter größte Krippe wäre ein Personenregister keine schlechte Idee. Nicht weniger als 500 Figuren (und 50 Gebäude) hat Renate Dick im Schuppen hinter ihrem Haus versammelt. Sie lässt sie das Jahr über stehen. "Ich bin zu alt, um alles wieder ab- und aufzubauen." Spätestens angesichts dieses dreidimensionalen Wimmelbildes fragt man sich, wie diese Tradition entstanden ist. "Zu uns kamen die Krippen wahrscheinlich mit katholischen Söldnern zu Maria Theresias Zeiten", glaubt die alte Dame. Man muss wissen, dass Marktredwitz seit dem 16. Jahrhundert evangelisch geprägt war, also keine Krippenkultur kannte.

Es gibt auch andere Vermutungen. Vielleicht gehen die Marktredwitzer Krippen auf Einflüsse aus den katholischen Nachbarregionen Oberpfalz und Egerland zurück. Oder waren es katholische Emigranten, die Krippen sozusagen ein-führten? Oder der Handelsweg von Nürnberg nach Prag? Es bliebe unklar, weil schriftliche Aufzeichnungen weitgehend fehlten, führt Dittmer aus. "Von einer Marktredwitzer Krippenkultur kann man ab der Mitte des 19. Jahrhunderts sprechen, als es für die Arbeiter in der im Niedergang befindlichen Porzellanindustrie immer wichtiger wurde, einen Nebenerwerb zu haben." Sie fingen an, Krippenfiguren aus Ton herzustellen. Zahlreiche Exemplare aus jener Zeit gehören weiterhin zum "Personal" der Krippen.

Das Töpferhandwerk in Marktredwitz ist zwar längst ausgestorben, doch der ein oder andere Kripperer modelliert und brennt noch selber. Albin Artmann besitzt Originalformen aus dem 19. Jahrhundert und einen Brennofen. Der engagierte Kripperer hilft auch im Museum, wenn es darum geht, eine neue Krippe aufzubauen. Eine Neuheit ist eine Krippenlandschaft in 3-D, durch die man mit einer digitalen Brille spazieren kann. 20 Krippen hat man für dieses Projekt digitalisiert.