Der spektakulärste Flughafen-Strand
Nirgendwo sonst auf der Welt schweben Flugzeuge so tief über die Köpfe hinweg und werden bestaunt wie Pop-Stars.

Von Jochen Müssig
Maho Beach ist kein sonderlich schöner Strand. Trotzdem ist er voll, denn die Besucher warten auf ankommende Flugzeuge. In der Beachbar gibt’s Bier, Cocktails und die Ankunftszeiten. Je größer die Maschinen sind, desto lauter und greifbarer wird das Spektakel. Die Leute winken, machen Selfies, drehen Videos, kreischen wie beim Pop-Konzert. Und in der Kabine denken alle: Hoffentlich kommt die Landebahn noch … So tief fliegen die Maschinen ein – nur etwa 20 bis 25 Meter über die Köpfe der Maho-Besucher. Da fliegen Hüte, Strandtücher und Cocktailbecher weg wie beim Sturm. Je größer der Flugzeugtyp, desto tiefer der Anflug auf den Princess Juliana International Airport, weil die Maschine aufgrund der kurzen Landebahn sofort aufsetzen muss. Derzeit ist der größte Maschinentyp der Airbus A 330, geflogen von Air France und KLM. Beide sind die großen Stars; alle anderen Flugzeuge nur Vorgeplänkel.
St. Martin ist aber nicht nur eine Insel, auf der angesichts der Tiefflieger der Atem stockt, sondern auch eine zum Durchatmen. Das liegt daran, dass der Tourismus, von dem neben dem Handel fast alle leben, etwas angenehm Unaufgeregtes hat. Er ist ein Teil des Lebens: ohne Angaffen, ohne Anmachen, ohne unzählige und nervige Strandhändler, ohne gierige Taxifahrer, ohne überall lauernde Drogen-, Sex- und Souvenirverkäufer. Kein Ghetto-Tourismus wie politisch angeordnet (auf Kuba), wirtschaftlich gewollt (auf Jamaika) oder wie er sich im Laufe der Zeit in der Dominikanischen Republik eingebürgert hat. St. Martin ist kein Gimme-a-Dollar-Land. Jeder Besucher kann ohne Wegezoll überall hin, wann und wie er will, sicher, ohne Bedrängnis. Trotzdem ist die Insel immer noch ein weißer Fleck auf der touristischen Landkarte, zumindest im deutschsprachigen Raum …

Es ist um die Mittagszeit. Der Himmel ist strahlend blau. Eine schwüle Hitze hat sich über die Baie Longue gelegt. Luft 30, Wasser 28 Grad. Die Urlauber schwitzen in ihren Liegestühlen, schlürfen Kokosnüsse oder Rumpunsch – oder beides – und sind sichtbar glücklich, sogar mit Sonnenbrand. Am Wassersportcenter wird alles Mögliche angeboten. Handtücher liegen zerknüllt im Sand, ein paar Kinderschäufelchen, Bälle und auch das eine oder andere Buch. Eines liegt aufgeschlagen im Sand. Eine Seite bewegt sich sanft im Wind – da ist einer eingeschlafen. Ist das nicht herrlich? 37 Strände gibt es auf St. Martin. Die Baie Longue, die Orient Bay und die Strände auf der vorgelagerten Pinel Island sind die besten.
Mittagszeit herrscht auch bei den Leguanen in der Nähe vom Dawn Beach. Dort haben sich Dutzende in einem Gebüsch an einem Weiher angesiedelt und sich so perfekt getarnt, dass man erst bei genauem Hinsehen die Echsen erkennt: erst eine, dann zwei, zehn, zwanzig und mehr – viel mehr. Auf St. Martin guckt zwar aus fast jeder Ecke ein Leguan hervor, trotzdem ist der Leguan Tree bei jeder Inselrundfahrt ein Grund anzuhalten. So eine Rundfahrt kann man spielend in einem Tag machen, ist das Eiland doch nur unwesentlich größer als der bayerische Chiemsee. Sie zeigt eine recht karge Insel ohne die großen landschaftlichen oder kulturellen Reize. Die 80 Jahre alte Künstlerin Ruby Bute sieht das freilich anders: Mit ihrer naiven Malerei packt sie Landschaft, Leben und ihre Liebe zur Insel auf weniger als einen Quadratmeter. "Es ist der Blick des Künstlers auf die Dinge", sagt die Autodidaktin. Auch die vielen Wandgemälde von jungen Wall-Art-Künstlern porträtieren Insel und vor allem Inselbewohner. Alle Gesichter zeigen besonders eines: Menschen, die stolz und selbstbewusst sind. 120 Nationalitäten leben auf St. Martin, der kleinsten Insel weltweit, die von zwei Staaten verwaltet wird und auf der sich die Menschen dieser zwei Staaten auch wohlfühlen.

Die Spanier brachten 1640 ihre französischen und holländischen Gefangenen nach St. Martin. Als sich die Spanier zurückzogen, blieben Angehörige beider Nationen, und deren Mutterländer beanspruchten fortan die Insel. "Der Legende nach soll die friedliche Teilung 1648 durch einen Franzosen und einen Holländer vonstattengegangen sein", erklärt Christophe Enoch, der 1991 das erste Museum auf St. Martin eröffnete. "Von einem gemeinsamen Punkt aus gingen sie in entgegengesetzter Richtung die Küste entlang. Wo sie sich wieder trafen, wurde zum Ausgangspunkt die Grenze gezogen, die aber nie geschlossen wurde." So ist das kleine Eiland, knapp 7000 Kilometer von Paris entfernt, heute die Heimat des französischen Überseegebiets St. Martin und im südlichen Teil von Sint Maarten, einem autonomen Land innerhalb des Königreiches der Niederlande. Spannungen unter den insgesamt 90.000 Einwohnern gibt es wenige, wenngleich Weiße und Kreolen meist getrennte Wege gehen.
Bezahlt wird mit dem Euro, die weinroten EU-Pässe haben beide Seiten, die Grenze überfährt man häufig, ohne es zu merken, und sprachlich vermengt sich alles zwischen Französisch und Niederländisch, Englisch und Creole. Jean, vor 18 Jahren aus dem Bordeaux nach St. Martin ausgewandert, sagt: "Ich bin hier in der Karibik – und doch zu Hause in Frankreich." Wobei St. Martin nicht wie ein kleines Stück Frankreich in den Tropen wirkt, sondern eine Karibik-Insel mit einem Schuss Frankreich ist. "Ich kann zwar von hier aus Macron wählen, aber ganz ehrlich: Was in Paris passiert, interessiert mich nicht wirklich …"
Der Inselalltag geht behäbig vonstatten, im holländischen Teil vielleicht etwas schneller als im französischen Norden. Drängeln lässt sich keiner, auch nicht von den zwei Millionen Touristen pro Jahr, die vorwiegend aus den USA kommen. Die Preise sind auf mitteleuropäischem Niveau plus die anfallenden Transportkosten, denn praktisch alles wird eingeführt: aus Frankreich, den Niederlanden, USA, Kanada und Obst sowie Gemüse aus dem nahen Guadeloupe. Auch die Martinsgans kommt zum Sint-Maarten-Tag frisch aus Holland. Die Franzosen feiern den Tag weniger, aber Gans lieben sie ebenfalls. Und alles wird im Tiefflug auf die Insel gebracht. Jeden Tag und immer haarscharf über die Köpfe der Besucher des Maho Beaches hinweg.
Informationen:
> Anreise: Unbedingt mit Air France oder KLM ab Frankfurt via Paris oder Amsterdam fliegen, um umständliches und zeitaufwendiges Umsteigen (mit nötiger Imigration!) in den USA zu vermeiden. Kosten: ca. 700 Euro
> Einreise: Es ist kein Visum nötig, der EU-Reisepass genügt.
Inselrundfahrt: Mit Quads über Stock und Stein zu Stränden und Sehenswürdigkeiten, 7 Stunden ab 90 Euro; www.quadsandfurious.com
Mietwagen: Um die 25 Euro pro Tag bei allen großen, internationalen Vermietern.
> Währung: Zahlungsmittel ist der Euro, Kreditkarten werden fast überall angenommen. Das Preisniveau ist hoch, besonders bei den Hotels: Ein Doppelzimmer ist kaum unter 200 Euro zu bekommen. Die Restaurant- und Lebensmittelkosten sind etwas höher als in Deutschland.
> Unterkunft: Grand Case Beach Club, Mittelklasseresort im Norden mit zwei schönen Stränden direkt vor den Zimmern mit Balkon oder Terrasse, ab 220 Euro pro Nacht, www.grandcasebeachclub.com
> Restaurant: Hibiscus, Fine Dining im Zentrum mit Panorama-Blick. Zum Lunch schaut schon mal Oprah Winfrey vorbei. 5-Gänge-Menü 110 Euro; www.la-villa-hibiscus.fr.
Das Gegenteil sind Lolos, einfache, offene, typische Kneipen mit Grill, ab 10 Euro, in jedem größeren Dorf.
> Weitere Infos: www.st-martin.org, www.vacationstmaarten.com.