Wo ein grandioses Skigebiet wartet
Erste Sahne für Pisten-Neulinge und erfahrene Ski-Fahrer.

Von Julia Scholz
Gstaad. Der Anruf vom Bruder (und Onkel) kam unerwartet an einem tristen, kühlen Sonntagnachmittag Ende Januar. Ob wir nicht Lust hätten, kurzfristig Ski-Urlaub mit ihm zu machen? Was für eine Frage. Klar wollen wir uns das nicht entgehen lassen und sagen spontan zu. Der kleine Haken: Wir können überhaupt nicht Skifahren!
So buchen wir Unterricht in der Skischule vor Ort: 24 Gruppenstunden fürs Kind und zwölf Stunden Einzelunterricht für mich. Mit voll bepacktem Auto starten wir für sechs Tage Pistenerlebnis in die Schweiz. Auch die Schwester, (beziehungsweise Tante), die längst gut Ski fährt, kommt kurz entschlossen auch mit in die Berge.
Hintergrund
Anreise: Mit der Bahn: einfache Fahrt pro Person von Heidelberg Hbf nach Zweisimmen, Schönried oder Gstaad mit drei bis vier Umstiegen in circa fünf bis sechs Stunden ab circa 82 bis 130 Euro pro Fahrt und Erwachsenem. Mit dem Auto: viereinhalb Stunden reine Fahrzeit. Nicht
Anreise: Mit der Bahn: einfache Fahrt pro Person von Heidelberg Hbf nach Zweisimmen, Schönried oder Gstaad mit drei bis vier Umstiegen in circa fünf bis sechs Stunden ab circa 82 bis 130 Euro pro Fahrt und Erwachsenem. Mit dem Auto: viereinhalb Stunden reine Fahrzeit. Nicht vergessen, spätestens am Grenzübergang die Vignette für circa 40 Euro zu erstehen. Ab Heidelberg über die A 5 für 234 km Richtung Karlsruhe/Stuttgart, weiter auf der A 2/A 3 und später Richtung Lausanne/Bern, dann auf der A 6 Richtung Zweisimmen/Wimmis bis nach Saanen.
Ski-Unterricht: Im Rahmen des Konzepts Schweizer Skischulen bei Snowsports Saanenland: Kinder-Gruppenunterricht in Schönried zum Beispiel sechs halbe Tage (12 Stunden) für 260 Euro oder 350 Euro für 30 Stunden in sechs Tagen; das Mittagessen kostet zusätzlich 13 Schweizer Franken pro Tag. Einzelunterricht/Privatstunden gibt es ab 95 Franken die Stunde. Ganztages-Ski-Pass für das Skigebiet Gstaad circa 70 Franken, Parkgebühr an den Talstationen der Lifte 5 Franken für 12 Stunden; das Parkticket ist auch bei Wechsel des Parkplatzes am selben Tag weiterhin gültig (www.snow-sports.ch).
Übernachten: Eine Liste privater Chalets und Appartements mit Selbstversorgung ist erhältlich über www.gstaad.ch. Weitere Unterkünfte: Palace Hotel, Gstaad (www.palace.ch), Zimmer für 700 bis 1450 Franken/Nacht; Eremitage, Schönried (www.ermitage.ch), Zimmer für zwei Personen mit Halbpension ab 647 Euro; Hotel Kernen, Schönried (www.hotel-kernen.ch), Standard-Doppelzimmer mit Frühstück ab 214 Euro: Jugendherberge Saanen-Gstaad (www.youthhostel.ch), Mehrbettzimmer ab 48 Franken oder Doppelzimmer inklusive Frühstück ab 162 Franken.
Uns erwartet ein grandioses Skigebiet rund um den auf 1050 Metern hoch gelegenen, exklusiven Ferienort Gstaad, wo sich die VIPs gerne tummeln und Berühmtheiten wie Madonna, Julia Andrews, Jehudi Menuhin oder Fürst Rainier sich den Traum vom Schweizer Ferienwohnsitz erfüllt haben. Das verkehrsbefreite Zentrum im Dorf Gstaad ist gespickt mit Luxusboutiquen. Über allem thront auf einem Hügel herrschaftlich das Hotel "The Palace", einem Märchenschloss nachempfunden.
Zweisimmen ist Hauptort des Obersimmentals und markiert den Anfang des Skigebiets, welches, beginnend mit dem Rinderberg, über das sonnenüberflutete Hochtal von Saanenmöser, Schönried und Saanen bis nach Gstaad reicht, mit dem eindrucksvollen Zackenkranz der Schneeberge von Diablerets und Oldenhorn im Hintergrund. Mittels 41 Bahnanlagen erschließen sich hier den Urlaubern per Gondel und Lift insgesamt 200 Kilometer Pisten, Schlittenbahnen und Winterwanderwege in 1270 bis 1950 Metern Höhe.
Von Bern aus pendeln wir allmorgendlich in das westliche Berner Oberland, wo wir die Alpen pur erleben. Früh aufstehen, schnell machen, gut konzentrieren, dass die komplette Ausrüstung im Kofferraum ist. Den Skiverleih Intersport Matti in Zweisimmen steuern wir am ersten Morgen auf dem Hinweg an, ein Geschäft, das gerade sein 130. Jubiläum gefeiert hat. Hier werden wir ausgestattet mit dem, was uns an Skiausrüstung noch fehlt.
Täglich führt uns die Anfahrt durch die Bilderbuchlandschaft des Simmentals, das uns in die Bergwelt eintauchen lässt, die sich links und rechts der Straße eindrucksvoll emporstreckt. Vereinzelt auf den großen Freiflächen oder in Ansammlungen in den Ortschaften stehen stolz und urig die ausschließlich im Chalet-Stil erbauten Holzhäuser. Die Landschaft ist geformt durch die Beweidung mit Milchvieh, weite Wiesenflächen mit Streusiedlungen, von einzelnen Baumgruppen, Solitärbäumen oder nur von kleineren Waldflächen unterbrochen.
"Ahifahren" steht auf dem Werbeplakat an einer Scheunenwand; es zeigt eine strahlende Skifahrerin bei der Abfahrt auf frisch präparierter Piste. Mir wird wieder mulmig, nicht nur wegen der Straßenkurven, sondern wegen der Bedenken, ob ich als Erwachsene jetzt noch Skifahren lernen kann. Meine Bedenken, ob die Tochter im Skikurs zwischen lauter Fremden wohl zurechtkommt, lösen sich sogleich in klarer Bergluft auf. Um zehn Uhr in Schönried im Kinder-Skiparadies am Fuß des Horneggli in die Hände von Skischullehrerin Dori übergeben, geht sie in ihrer neuen Aufgabe voll auf. Schon schwebt sie inmitten der anderen Kinder auf einem Förderband, dem "Teppich" hangaufwärts im abgezäunten Bereich der Kinderskischule und signalisiert uns, dass wir hier jetzt überflüssig sind.
Uns Erwachsene lockte das Tal zwischen Schönried und Saanenmöser mit einer in der Sonne gleißenden Schneedecke zum Spaziergang. Wir laufen entlang des glitzernden Wasserlaufs der Saane und lassen uns auf einer Bank die Sonnenstrahlen ins Gesicht scheinen.
Am nächsten Morgen beginnt mein Einzelunterricht. Während mein Bruder schon im Sessellift sitzt und sich wie ein Schneekönig auf die Abfahrten freut, entscheidet sich meine Schwester, die länger nicht gefahren ist, auch beim Skilehrer zu bleiben, um sich warm zu machen. Die Kleine ist ohnehin wieder voll in ihrem Element, im Kinder-Skiparadies eben. Das passt, denn schon steht mein Skilehrer vor mir.

Harry ist ein Saanenländer Urgestein – zeitlebens hier in den Bergen zu Hause und mit Skiern an den Füßen vermutlich schon zur Welt gekommen. Selbstredend sportlich, locker, kernig, blauäugig. Und was mir gefällt: Er blickt offenbar auf etliche Jahre Erfahrung als Skilehrer zurück. Mit seiner Familie wohnt er in Schönried in einem Chalet direkt am Fuße der Horneggli-Piste, auf die ich schon die ganze Zeit ängstlich hinüberäuge. "Ein Stück rote Piste", wie ich eben von ihm erfahre. Erstaunlich, denke ich, wie die sich das bloß alle trauen, den Hang hinunterzurauschen. Und wie machen sie es, dabei noch eine so lockere Haltung einzunehmen? Unter denen, die dort so elegant abwärts wedeln, sind auch immer wieder die an ihrer Ski-Uniform erkennbaren Schüler des Nobelinternats "Le Rosey", das seine Winter-Dependance hier vor Ort hat. Es gilt als das teuerste und begehrteste Eliteinternat weltweit. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen werden hier nach dem Schulunterricht schon zu perfekten Skifahrern ausgebildet. Angeleitet und begleitet von den Skilehrern – immer in roter Uniform – unter anderem auch von meinem Lehrer Harry.
Harry nimmt mir alle Sorgen: "Jetzt schau nicht nach den anderen! Wir zwei beginnen heute ohnehin auch erst im Kinderski-Paradies." Gut so, denn die Bretter sind enorm rutschig und noch ungewohnt unter den Füßen. Dafür muss ich erst mal ein Gefühl entwickeln. Genau wie die ganz Kleinen nebenan, lerne ich zunächst das Anhalten mit dem Pflug und weiß nun, was mit dem "Pizza, Pizza"-Zuruf der Gruppenleiter an die Kinder gemeint war. In den ersten zwei Stunden höre ich genau auf Harrys Anweisungen und lande dennoch mehrfach auf dem Hosenboden. Im Gegensatz zu mir ist Harry nach dieser ersten Doppelstunde vollauf zufrieden mit mir und verabschiedet sich mit den Worten: "Morgen treffen wir uns nicht mehr auf dem KinLderhügel, sondern auf der Piste!"
Aufgeregt finde ich mich beim vereinbarten Treffpunkt am Zückerli-Lift in Gstaad ein, und die folgenden Tage geht es immer besser auf den Skiern. Harry merzt mir unerbittlich die Fahrfehler aus; mit dem Effekt, dass es an Tag vier "Klick" macht, als wäre ein Schalter umgelegt worden. Nicht wirklich elegant, aber ohne Stürze, gelingt es mir, die Piste zu bewältigen. Und dann fängt es an, richtig Spaß zu machen.
Meine Tochter hat mich mit ihren Fortschritten in der Skischule bereits an Tag drei im Skigebiet "überholt" und ist mit der Gruppe auf die Bergstation des Horneggli gefahren – es ist mir ein Rätsel, wie sie den ganzen Berg wieder heruntergekommen ist. Die letzten hundert Meter vom Fuße der Piste aus beobachten wir, wie die Gruppe aus vier Kindern wie Perlen an einer Kette aufgereiht hinter Skilehrerin Dori hinuntergleitet.
Mit mir wagt sich Harry Tag für Tag immer höher auf die Pisten, während wir nebeneinander im Schlepplift hängen, frage ich meinen Skilehrer am letzten Tag noch: "Was heißt eigentlich ‚Ahifahren‘?""Ahifahren ist ein original Saanenländer Ausdruck und bedeutet ‚herunterfahren’ – sowohl körperlich, wie mental." Und genau das ist hier geglückt, denke ich, als ich mich von Harry nach der letzten Doppelstunde verabschiede.
Es ist halb eins und die Sonne strahlt an diesem klaren letzten Tag. Mein Bruder, der sich hier oben auszukennen scheint, wie in seiner Westentasche, nimmt mich mit Gondel und Schlepplift nach ganz oben zum Hüenerspli auf 1927 Metern mit. Mit Blick auf das alpine Bergpanorama stellt sich ein pures Glücksgefühl ein. Und jetzt etwa eine Abfahrt ohne Harry? "Auf geht’s, Schwester, jetzt vertrau mir mal." Ich gebe mir einen Ruck und siehe da, es geht in ordentlichen Bögen den Berg hinunter nach Schönried. Dort nehmen wir meine Tochter in Empfang, die stolz ihre Medaille präsentiert. Noch vor der Rückreise beschließen wir unseren nächsten Aufenthalt in diesem Schneesport-Paradies. Die Kleine will schnell den nächsten Grad erreichen und "Blue Princess" werden – und auch ich will mich weiter auf den Skiern verbessern.