Eremitage in Waghäusel

Von Einsiedelei zum Schauplatz der Revolution

Die Eremitage in Waghäusel war einst Ort, um sich zurückzuziehen. Später dienten die Gebäude als Unterkunft für die Arbeiter der anliegenden Zuckerfabrik.

29.06.2024 UPDATE: 01.07.2024 04:00 Uhr 4 Minuten, 45 Sekunden
Drei der vier Kavalierpavillons stehen noch heute. Eines wurde als Melassetank für die ehemalige Zuckerfabrik verwendet. Foto: Werner Riehm

Von Heiko P. Wacker

Die A5 gibt sich in fast jeder Verkehrsmeldung die Ehre, oft staut es sich nahe der Anschlussstelle Kronau. Dass sich diese von einer Allee ableitet, die einst das Schloss Kislau mit der Eremitage bei Waghäusel verband, das wissen jedoch nur die wenigsten. Wer also heute von Kronau nach Kirrlach rollt, oder eben von der Autobahn zur Eremitage, der tut dies auf barocken Bahnen.

Errichtet wurde die Einsiedelei, der Begriff "Eremitage" stammt aus dem Französischen, als Rückzugsort ins Private, "stilprägend war auch hier mal wieder der Sonnenkönig, Ludwig XIV.", erklärt Dr. Antje Gillich, die sich im Auftrag der Stadt Waghäusel auch um die Eremitage kümmert, die heute der Stadt gehört. "Eine fürstliche Anlage in der Hand einer Kommune, also der Bürger – wo gibt‘s das schon", freut sich die promovierte Archäologin.

In Waghäusel war es Damian Hugo Philipp von Schönborn, der 1724 den Grundstein legte. "Er war bis 1743 Fürstbischof von Speyer und hatte schon 1720 ein Jahr nach seinem Amtsantritt, die Residenz nach Bruchsal verlegt." Parallel wurde das Hochstift mit einem Alleensystem versehen, "das die neue Residenz Bruchsal mit herrschaftlichen Anlagen wie Schloss Kislau und eben unserer Eremitage verband, und den Wald erschloss. Denn bei der Jagd Entspannung zu finden, das war zumindest ebenso wichtig wie religiöse Übungen."

Die erste Anlage wurde in fünf Jahren errichtet: Neben dem ursprünglich sechzehneckigen Hauptbau gab es acht "Eremitenpavillons". An deren Stelle traten indes schon 1730 vier zweistöckige Kavalierpavillons, vermutlich geht diese Idee auf den bekannten Barockbaumeister Balthasar Neumann zurück. "Den beauftragte auch Franz Christoph von Hutten, von 1743 bis 1770 Fürstbischof, mit einer Erweiterung des Hauptbaus, so entstand der kreuzförmige Grundriss. Die Kavalierhäuser wurden ebenfalls erweitert, und nun rechteckig."

Heute sind nur noch drei der Häuser erhalten, das nordwestliche wurde 1968 abgerissen, um einem Melassetank Platz zu machen. Warum? Nun, 1803 wurde das Fürstbistum ebenso durch den Reichsdeputationshauptschluss aufgelöst wie die Kurpfalz, der badische Staat trat auch hier die Nachfolge an. 1837 dann erwarb die "Badische Gesellschaft für Zuckerfabrikation" die rund 13 Hektar große Anlage, bis 1995 war die Zuckerfabrik eine wichtige Wirtschaftskraft. Die ersten Produktionsgebäude für die Zuckerherstellung entstanden im ehemaligen Ökonomiehof. Zwischen den Industrieanlagen blieben einzig der Eremitage-Hauptbau, der von der Fabrikverwaltung genutzt wurde, und die Kavalierhäuser, die als Werkswohnungen dienten, stehen. Drei immerhin – eines musste ja für den Melassetank weichen, der abgerissen wurde.

Das Freiheitsdenkmal im Park der Eremitage.

Für die Menschen in der Region war die Eremitage freilich die meiste Zeit ein Schloss im Dornröschenschlaf. Auf dem Werksgelände gelegen, und bis vor Kurzem nicht frei zugänglich, wurde das Ensemble immerhin bewohnt und somit erhalten. Ein Glück, muss man sagen, war doch vor exakt 175 Jahren auch noch die Kriegsfurie in die Fabrik gekommen, wie Artur J. Hofmann ausführt, der nicht nur ortskundig, sondern sich gut mit den Geschichte(n) der Eremitage auskennt.

Denn Ende der 1840er-Jahre brodelte es in Europa. Mitbestimmung wollten die Bürger, Demokratie gar. Unerhört! In den Jahren 1848 und 1849 kam es zu Unruhen wie die "Badische Revolution". Denn Österreich und vor allem Preußen lehnten die Verfassung der "Frankfurter Paulskirche" ab, die beiden Hegemonialmächte wussten wohl, dass dies eine Revolution entfachen mochte. Dass indes fast die komplette Badische Armee die Seiten wechselte, das war ein neuer Aspekt. Diese stand schließlich bei Heidelberg und Mannheim, doch die Preußen rückten von Germersheim her über den Rhein. Aus dieser Situation heraus kam es zum Gefecht bei Waghäusel. Dabei gelang es den Revolutionstruppen, die Preußen aus der Zuckerfabrik zu verdrängen und zu verfolgen.

Doch wurde diese Verfolgung jäh und zu früh beendet. Denn über den Rhein kamen neue Invasionstruppen, das brachte die Reihen in Unordnung. Und plötzlich galt es nicht, einen Sieg zu feiern – sondern eine Umschließung zu verhindern, in Eilmärschen zogen sich die Revolutionstruppen in Richtung Süden zurück, die Schlacht bei Waghäusel markiert einen Wendepunkt der Badischen Revolution, die mit der Kapitulation in Rastatt am 23. Juli 1849 zu Ende war. Tausende wurden inhaftiert, viele hingerichtet, die badische Armee aufgelöst, und später unter preußischer Führung neu aufgebaut.

Angedenken oder gar Denkmäler für die badische Seite waren strikt verboten, Denkmäler für die preußischen Soldaten hingegen allenthalben zu finden. Erst seit Kurzem tritt nun auch die unterlegene Seite der Badischen Revolution wieder ins öffentliche Gedächtnis. Und wieder war Waghäusel ein Bezugspunkt, zum Gedenken an "40 Jahre Grundgesetz" wurde hier die Verfassungssäule errichtet. "Zum 150. Jahrestag der Schlacht bei Waghäusel wurde dann auch unser Freiheitsdenkmal eingeweiht. Die beiden Freiheitskämpfer repräsentieren die Freiheitsbewegung, eine Sense wurde zur Waffe umgeschmiedet, die nach Friedrich Hecker benannten Heckerhüte symbolisieren die Revolution. Der Adler mit einem gebrochenen Flügel steht für das Scheitern – aber auch den ungebrochenen Willen zur Freiheit", erklärt Artur J. Hofmann.

Wenn denn am kommenden Wochenende rund um die Eremitage das Freiheitsfest gefeiert wird, dann "erinnern wir außerdem auch daran, dass Waghäusel seit drei Jahren einer der ‚Orte der deutschen Demokratiegeschichte‘ ist", betont Oberbürgermeister Thomas Deuschle. Ein durchaus passender Ort ist die Eremitage auf alle Fälle. Erbaut zu fürstlichem Pläsier war sie Schauplatz eines Freiheitskrieges und befindet sich heute in der öffentlichen Hand, das bisher leider nur einmal im Monat zugängliche Museum thematisiert denn auch all diese Facetten.

Denn das, was im Sommer 1849 in der Region geschah, war "nicht weniger als ein Meilenstein demokratischer Traditionen", meint der OB. Aktiv an diese zu erinnern – und daran, dass unser Leben in einem freien, in einem demokratischen Land absolut keine Selbstverständlichkeit ist, das wird auch kommendes Wochenende wichtig sein. "Wir dürfen seit Jahrzehnten in Frieden und Freiheit leben, das sollten wir schätzen – gerade auch, wenn diese Freiheit von Gegnern im Inneren wie Äußeren bedroht wird", fügt Antje Gillich an. Doch sowohl sie als auch Artur J. Hofmann und der OB sind von der Beharrlichkeit einer starken und wehrhaften Demokratie überzeugt, für die letztlich auch in Waghäusel gekämpft wurde.


Revolutionsfest und Festival der Demokratie

Am 7. Juli findet rund um die Eremitage und in Erinnerung an die badischen Freiheitskämpfer das "Revolutionsfest und Festival der Demokratie" statt. Das Fest wird aber auch die Frage in den Raum werfen, was eine Demokratie heute aushalten muss. Theaterstücke, Vorträge, eine Sonderschau im Schloss und eine "Revolutionsrallye", aber auch Podiumsdiskussionen werden die Eremitage sowie das Freigelände beleben, der Eintritt ist frei.

Der Festakt zum 300. Geburtstag der Eremitage wird vom 27. bis 29. September gefeiert. Zudem vernimmt man aus gut unterrichteten Kreisen, dass das 1946 bei einem Brand zerstörte Deckenfresko der Zentralrotunde im Rahmen einer kunstvoll-farbigen Projektion wieder zum Leben erweckt werden soll.

Die Veranstaltung in Waghäusel ist indes nicht die einzige im doppelten Jubiläumsjahr, das die "KulturRegion Karlsruhe" begeht. "Es jährt sich ja nicht nur die Badische Revolution zum 175. Mal, wir feiern auch 75 Jahre Grundgesetz", erklärt Antje Gillich. "Das sind beides echte Meilensteinen der Demokratiegeschichte – und Grund genug für über 100 Veranstaltungen und ein halbes Dutzend Ausstellungen zwischen Waghäusel und Gernsbach." Eine eigene Broschüre gibt Auskunft zum Programm, das noch bis Ende des Jahres läuft. Die 56-seitige Broschüre "Freiheitsliebe" liegt in den beteiligten Gemeinden aus, und steht unter: www.kulturregion-karlsruhe.de  kostenlos zum Download zur Verfügung.

Jenseits aller Jubiläen ist die Eremitage an jedem letzten Sonntag im Monat geöffnet – das Café hat generell mittwochs und sonntags geöffnet – und auch der "Humorpark" (www.humorpark-eremitage.de) ist stets einen Besuch wert. Die Außenanlagen sind täglich und rund um die Uhr frei zugänglich. Parkplätze finden sich nahebei (Friedrich-Hecker-Allee 3, 68753 Waghäusel), vom Bahnhof Waghäusel sind es zu Fuß rund zehn Minuten.

Weitere Infos:www.waghaeusel-eremitage.de.