Bremen

Einzigartige Weinsammlung im Ratskeller

Im Keller des Bremer Rathauses lagern gut und gern 8000 Flaschen edelster Weine. Und das teilweise schon seit Jahrhunderten.

16.04.2024 UPDATE: 15.04.2024 04:00 Uhr 3 Minuten, 13 Sekunden
Im Allerheiligsten des Bremer Ratskellers: Unter idealen klimatischen Bedingungen reifen in der Schatzkammer ausgewählte Weinpreziosen aus fünf Jahrhunderten. Foto: Bremen Tourismus

Von Wolf H. Goldschmitt

An einer Ecke des Bürgerschaftshauses wachen die Bremer Stadtmusikanten über das Schicksal der Hansestadt. Nur ein paar Schritte fernab der Touristen, die sich tagtäglich vor den vier legendären Wappentieren knipsen lassen, liegt unscheinbar eine kleine Pforte. Wer sie durchschreitet, kommt dem Paradies ein Stückchen näher, sagt zumindest die Stadtführerin. Klingt widersinnig, denn zunächst steigt der Besucher ein paar Dutzend Treppen hinunter. Immer stärker schlägt ihm ein wohliger Geruch entgegen. Das Luftgemisch aus gereiftem Wein und altem Holz lässt dann nicht allein für Liebhaber des Rebenblutes tatsächlich Himmlisches entstehen. Sieben Meter unter der Erde liegt bei perfekten Temperaturen der wohl größte Schatz an deutschen Weinen.

Hintergrund

Infos: 

Anreise: Mit dem ICE dauert es von Mannheim nach Bremen etwas mehr als viereinhalb Stunden.

Unterkunft: Hotels und Pensionen gibt es in Bremen ab etwa 70 Euro pro Nacht. Empfehlenswert ist das

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Infos: 

Anreise: Mit dem ICE dauert es von Mannheim nach Bremen etwas mehr als viereinhalb Stunden.

Unterkunft: Hotels und Pensionen gibt es in Bremen ab etwa 70 Euro pro Nacht. Empfehlenswert ist das Vier-Sterne-Haus Atlantic Grand Hotel ab 120 Euro. Es liegt direkt im historischen Zentrum und nur fünf Minuten Fußweg vom Ratskeller entfernt: www.atlantic-hotels.de/grand-hotel-bremen-innenstadt 

Aktivitäten: Bremen entdecken entlang der Genussroute mit einem Gästeführer: Die Böttcherstraße und das Schnoorviertel mit Kneipen, Cafés, Handwerksläden , Galerien und Krimskrams-Shops sowie das historische Rathaus zählen zu den schönsten Sehenswürdigkeiten Bremens und sind Teil der Genusstour: www.bremen.de/tourismus/erlebnisse/kulinarisch/genussroute 

Ratskellerführungen: Führungen durch den Weinkeller lassen sich unter www.ratskeller.de buchen. 

Weitere Infos: www.wfb-bremen.de ; www.bremen.de 

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Schier unfassbar, wer hier im Bauch des Bremer Rathauses schon alles sein Glas erhoben hat: Theodor Fontane, Wilhelm II., Fürst Bismarck, Richard Wagner und andere berühmte Persönlichkeiten jener Tage. Unter dem prüfenden Blick von Ratskellermeister Frederik Janus lagern dort gut und gern 8000 Flaschen edelster Tropfen. Teils seit Jahrhunderten, gesichert hinter dicken Gitterstäben in Hochregalen aus Stein, peinlich genau gereiht nach Jahrgängen, eingehüllt in Plastikfolie zum Schutz der Etiketten. Eine feuchte Kühle von acht Grad schützt die flüssigen Kostbarkeiten. Alle sind mit Naturkorken verschlossen. Die zerbröseln nach 30 bis 40 Jahren, dann müssen die Flaschen neu verkorkt werden. In der ältesten ist ein Rüdesheimer Apostelwein, Jahrgang 1727. Und die Rarität ist tatsächlich noch zu kaufen: eine 0,35-Liter-Flasche kostet allerdings schlappe 2500 Euro. Doch nicht das Alter bestimmt die Qualität oder den Preis. Denn für eine Flasche aus dem Jahrtausendsommer 1959 der Marke "Joh. Jos. Prüm – Wehlener Sonnenuhr Riesling Trockenbeerenauslese" hat ein Enthusiast bereits eine fünfstellige Summe hingeblättert.

Der Bremer Ratskeller mit mehr als 5000 Quadratmetern ist nicht nur der mit Abstand größte in Deutschland, er beherbergt auch das weltweit umfassendste Magazin von edelsüßen Weinen aus heimischen Anbaugebieten. Es wäre in der Tat kein Problem, das kleine Bundesland mit dieser unterirdischen Vorratshaltung beschwipst zu machen. Über zwei Kilometer ziehen sich Gänge und Räume hin, unzählige Regale bieten Raum für eine halbe Million Flaschen, dazu kommt das Fasslager mit einer Kapazität von einer halben Million Liter, das heute allerdings kaum genutzt wird.

An den 800 Sitzplätzen im Restaurant über dem "Tresor" werden jährlich gut 12.000 Flaschen gepichelt. In den Verkauf wandert auch eine halbe Million. Bestellungen aus der ganzen Welt gehen online ein. Und schließlich zeigt das Emblem der Ratskellerweine auch überall Präsenz, wo sich die Promis von heute treffen und es gilt, die deutsche Weinkultur ins rechte Licht zu setzen. Bei Auslandsauftritten deutscher Konzerne beispielsweise oder in den VIP-Lounges des Formel-1-Zirkus oder des Deutschen Fußballbundes bei Spielen der Nationalmannschaft. Hier gab es jüngst hinreichend Gründe, sich Unerfreuliches mit einem edlen Schluck schön zu trinken.

Die beleuchteten Bremer Stadtmusikanten. Foto: dpa

Es gibt nur wenige Momente während der dreistündigen Führung hinter die Kulissen der Kellerei, in denen nicht gestaunt wird. Zum einen über die fünf leckeren Kostproben aus dem Repertoire des Hauses. Aber auch das, was sich in diesen dunklen, holzgetäfelten Hallen, im Bacchus- und Apostelkeller, im Senats- und Kaiserzimmer und wie sie sonst noch heißen, in Jahrhunderten so alles abgespielt hat, birgt Stoff für Überraschungen. In den weitverzweigten Gemächern im Bauch der Hansestadt, den sogenannten "Priölken" soll es besonders hoch hergegangen sein. So heißen die holzgeschnitzten Separees, deren Türen aus Sicherheitsgründen abgeschlossen worden sind, als mindestens drei Personen darin Platz genommen hatten. Dass es dort ausschweifend und weinselig hergegangen ist, Absprachen getroffen wurden, die heute beim Kartellamt die Alarmglocken läuten ließen und politisch Weichen gestellt wurden, steht außer Frage. Ein Blick auf die Liste der illustren Gäste bestätigt diese Theorie.

Berühmt waren die Besäufnisse von Friedrich Engels, des vollbärtigen Revoluzzers, der zusammen mit Karl Marx letztlich den Kommunismus als Gesellschaftsform glorifiziert hat. In seinen Bremer Jahren saß Engels oft im Ratskeller, legte sich mit den Honoratioren an und zechte, was das Zeug hielt. "Vorgestern Abend hatte ich große Knüllität im Weinkeller von zwei Flaschen Bier und zweieinhalb Flaschen Rüdesheimer 1794er", schrieb er in einem Brief. Auch Heinrich Heine fällt in einer Ode an das heutige Weltkulturerbe der Unesco ins alkoholische Delirium: "Die glühende Sonne dort oben/Ist nur eine rote, betrunkene Nase./ Die Nase des Weltgeists./ Und um diese rote Weltgeistnase/ Dreht sich die ganze betrunkene Welt."

Längst ist das Kellergewölbe ein Muss für Tagestouristen aus aller Welt. Nicht allein wegen des unbestreitbaren Highlights jedes Rundgangs, das im Fackelschein des unteren Gewölbes anfangs kaum zu erkennen ist: das Fass. Genau 1000 Liter Rebensaft passen in den ältesten "Weinbottich" Deutschlands. Und er ist beinahe noch voll mit einem weißen Rüdesheimer Mischsatz aus dem Jahr 1653. Trinkbar? Queen Elisabeth II. hätte es bestätigen können. Sie und einige Staatsoberhäupter haben überhaupt davon kosten dürfen. Und natürlich Frederik Janus, der aktuelle Bremer Ratskellermeister, der selbst ein Weingut in der Pfalz betreibt. Und wie schmecken über 370 Jahre Weingeschichte? Ein früherer "Hüter des Bremer Untergrundes" hat es einmal drastisch formuliert: "Ein Tropfen davon tapeziert Ihnen das ganze Maul wie mit Trockenfrüchten."