Asturien im Nordosten Spaniens

Paradies für Kajakfahrer

Eine Kanufahrt auf dem Fluss Sella genießen, während einen die schönsten Landschaften Asturiens umgeben.

23.09.2023 UPDATE: 23.09.2023 06:00 Uhr 4 Minuten, 21 Sekunden
Der Fluss Sella im spanischen Asturien ist ein Paradies für Kajaikfahrer. Foto: Martin Piris

Von Sven Rahn

Das quietschgelbe Kanu nimmt Fahrt auf. Mit zwei, drei kräftigen Schlägen haben die Fahrer das blaue Kanu überholt und spritzen mit dem Ruderblatt noch eine Schippe Wasser auf die Freundinnen. Gejohle und Geschrei. Von irgendwo fliegen den Jungs zwei Biere zu. Ein Klack öffnet die Dosen. Dann erfasst ein Strudel das Boot und lässt es kentern. Keine Gefahr: Die Strömung ist sanft, das Wasser kaum knietief. Schon stehen die beiden wieder, triefnass, während die Frauen gemächlich an ihnen vorbeiziehen - und sich demonstrativ einen großen Schluck Cerveza genehmigen.

Hintergrund

> Infos:
> Anreise: Lufthansa fliegt mehrmals die Woche von Düsseldorf, Frankfurt, Hannover, München und Nürnberg nach Asturien. Flüge gibt es ab 250 Euro.
> Unterkunft: Direkt am Fluss in Les Arriondes

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> Infos:
> Anreise: Lufthansa fliegt mehrmals die Woche von Düsseldorf, Frankfurt, Hannover, München und Nürnberg nach Asturien. Flüge gibt es ab 250 Euro.
> Unterkunft: Direkt am Fluss in Les Arriondes ist das Hotel Casona del Sella. Die Nacht im Doppelzimmer kostet dort ab 75 Euro; www.kurzelinks.de/2swe
Wer lieber campen geht oder in einem Bungalow schlafen möchte, kann den Urlaub am Camping Sella verbringen. Unweit vom Fluss Sella natürlich.
www.campingsella.com
> Ausflugstipps:Für Kanu- und Kajaktouren auf der Sella gibt es in Les Arriondes viele Anbieter. Bereits ab 20 Euro pro Person kann man an einer Kajakfahrt teilnehmen. Der Kanu-Wettbewerb auf der Sella findet meist am ersten Samstag im August statt.
> Essen & Trinken: Neben gutem Fisch und Wein hat Asturien viele Spezialitäten zu bieten. Etwa Fabada, eine Bohnensuppe mit Chorizo und Blutwurst.
> Weitere Infos: www.turismoasturias.es/de

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An einem sonnigen Samstag wie diesen verwandelt sich die Sella im Osten Asturiens in eine ausgelassene Partymeile. Dutzende Gruppen bevölkern auf ihren bunten Booten den Fluss zwischen Arriondes und der Mündung in Ribadasella. Die vielen Steinbänke entlang der rund 20 Kilometer langen Strecke sind belegt mit Hochzeitsgesellschaften, Abiturklassen, Vereinen und Firmen. Es fließt Bier und Sangria und aus den Boxen dröhnt Musik. "Am Sella”, erklärt Juan Feliz, "gibt es 25 Verleihunternehmer mit rund 4000 Kanus und Kajaks – mehr als an irgendeinem anderen Ort in Spanien”.

Und an Tagen wie diesen scheine es, als ob sie alle gleichzeitig im Wasser wären, so der 49-Jährige, der ein kleines Outdoor-Adventure-Unternehmen im Ort betreibt. Das ist natürlich übertrieben. Aber voll kann es schon werden. Zumindest die ersten vier bis acht Kilometer. Dann erst haben die meisten feierlaunigen Hobby-Kanuten genug von der Padellei und fahren eine der vielen Abholstationen an, wo Busse der Bootsverleiher wie Juan sie aufnehmen und zum Städtchen zurückbringen. Dann ist wieder Platz für alle, die die Flusslandschaft genießen wollen.

Dass die Sella bei Kanufahrern so beliebt ist, hat neben der guten touristischen Infrastruktur noch andere Gründe: Der Fluss ist relativ flach, die Ufer sanft abfallend. Gleichzeitig bieten Stromschnellen und Kaskaden eine gewisse Herausforderung. Vor allem aber ist er Austragungsort eines der bekanntesten Kanusportereignisse weltweit: der internationalen Abfahrt von Sella. "Seit 1930 – immer am ersten Samstag im August, werden die Wettkämpfe abgehalten”, erzählt Juan Manuel Feliz. Unterbrochen nur durch spanischen Bürgerkrieg und Pandemie.

"Mehr als 1000 Sportler aus 20 Ländern in fünf Kontinenten nehmen jährlich daran teil”, so der Präsident des Organisationskomitees, "begleitet von Tausenden Zuschauern”. Eine Riesengaudi: Das spanische Fernsehen ist mit einem Helikopter live dabei. Berühmte Grafiker, wie Javier Mariscal oder Francisco Ibáñez, bewerben sich um das Privileg, das offizielle Plakat zeichnen zu dürfen. Olympioniken und Weltmeister paddeln vorneweg. Und das anschließende Fest, das bis zum nächsten Morgen geht, gilt als Veranstaltung von internationalem touristischen Interesse – so wie die berühmten Fallas in Valencia, die Semana Santa in Sevilla oder die Sanfermines in Pamplona.

Langsam den Fluss hinuntergleiten. Das Grün und die Stille der Natur genießen – das kann man auf den sieben großen wassersporttauglichen Flüssen Asturiens natürlich auch. Zum Beispiel auf dem Rio Navia. Während seines rund 175 Kilometer langen Weg von der Sierra de los Ancaes im benachbarten Galicien bis zum Kap San Augustín bei Ortiguera hat sich das Wasser hier tief in das Tal gefressen und einen mächtigen Canyon geschaffen. Mal ragen die Felsen steil in den Himmel, dicht bewachsen mit uralten Kastanienbäumen und Eichen. Mal steigen sie sanft an und bieten den Kühen der Bauern saftig-grüne Weiden. Dort, wo die Talsperre das Wasser staut, hat es eine Tiefe von bis zu 35 Metern. An anderen Stellen kann man mit der Hand die Flussmuscheln vom Grund aufsammeln - was man natürlich nicht tun sollte. Es gibt wilde, rafting-taugliche Abschnitte und solche, an denen der Fluss zu ruhen scheint.

Der Fluss Sella im spanischen Asturien ist ein Paradies für Kajaikfahrer. Foto: Martin Piris

Bei Serandinas, einem kleinen Flecken mit gerade mal 68 Einwohnern im Gemeindebezirk Boal, lässt Juan Carlos Menéndez, Spitzname Kaly, seine Boote zu Wasser. Der 63-Jährige ist ein Pionier im Aktivtourismus, seit er 1987 Kaly Aventura gründete – heute gibt es 225 Unternehmen in Asturien, die sich diesem Segment widmen. "Mein Vater fragte mich damals: Glaubst du ernsthaft, jemand wird dich bezahlen, weil du ihn durch die Berge scheuchst und fertigmachst?”, erinnert sich Juan Carlos lachend. Dabei geht es ihm gar nicht um sportliche Höchstleistungen. Die Philosophie ist eine andere: "Es geht darum, die Natur und sich selbst zu entdecken” – egal ob auf Kanufahrten entlang der Navia, auf Spaziergängen durch die Täler, Wanderungen oder Radtouren in den Bergen. "Aber auch die Industriearchäologie, die Geschichte und Wirtschaft, die das Navia-Tal geprägt haben, sollen erfahrbar werden”.

Dabei schließt Juan Carlos niemanden aus: Er bietet Kurse nur für Kinder, für Eltern mit Kindern und für Eltern und Kinder getrennt. "Wir bringen Blinde in die Berge und Rollstuhlfahrer ins Boot”. Für das dafür eigens konstruierte Kanu gab es eine Auszeichnung der spanischen Reisemesse "Fitur" für barrierefreien Tourismus.

Nach einer kurzen Einweisung an Land, der Verteilung der Schwimmwesten und wasserdichten Kanistern macht sich die achtköpfige Gruppe auf den Weg. Das ungelenke Platschen der Paddel auf dem Wasser lässt einen Eisvogel aufschrecken. Spechte schimpfen aufgeregt in den Kronen der Bäume, die bis dicht an das Ufer reichen. Juan zeigt mal nach oben: Ein Milan, der am Himmel kreist. Lenkt dann die Aufmerksamkeit der Gruppe auf eine seltene Libelle, die dicht über der Wasseroberfläche schwirrt. Eine unscheinbare Felsspalte entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Unterschlupf des seltenen Wassermaulwurfs – "Bewohner gerade nicht zu Hause”. Eine Höhle weiter oben im Fels wird bevölkert von Fledermäusen – "die schlafen jetzt”.

Nach rund zwei Kilometer lässt Juan Carlos anhalten, ruft die Boote zu sich und zeigt auf eine Reihe sorgsam gestapelter Steine am Gestade. "Das sind Trockenmauern. Wir befinden uns mitten in einem Terrassenweinberg”. Die so natürlich erscheinende Flusslandschaft ist auch Ergebnis des Baus der Staumauer "Arbon". "In den 50er-Jahren wollte der Diktator das Land mit Wasserkraft elektrifizieren”, erzählt Kaly – und nahm dabei wenig Rücksicht auf die Bevölkerung.

38 Dörfer und Gehöfte versanken im angestauten Wasser. Die Menschen wurden enteignet, vertrieben und zur Zwangsarbeit verpflichtet. "38 von ihnen starben bei der schweren Arbeit – ein wahres Trauma”. Es gab aber auch Proteste, manche erfolgreich. Weil die Bauarbeiter jeden Tag nur Lachs zu essen bekamen, traten sie Ende der 50-Jahre in den Streik. Einer der ersten Arbeitskämpfe unter Franco. Die Bauleitung änderte daraufhin den Speiseplan und servierte nur noch an drei Tagen die Woche den Fisch, der damals im Rio Navia noch in Massen vorkam.

Eine halbe Stunde später macht die Gruppe Rast auf einer Sandbank. Juan Carlos verteilt die belegten Brote, Äpfel und gießt Sidra, das Nationalgetränk der Asturianer, in einem weiten Bogen in die breiten Gläser. Auch an Kaffee in der Thermoskanne hat der Guide gedacht. Und natürlich Schokolade – "Wir Asturianer lieben Süßes”.

Ein von der Sonne gebleichter Knochen – "vielleicht der Unterschenkel eines Wildschweins” – erinnert daran, dass es in der Region auch Bären und Wölfe gibt. "Die gehen den Menschen aber im Allgemeinen aus dem Weg”. Beruhigend dennoch, dass zum Rückweg geblasen wird. Die quietschgelben, giftgrünen und blauen Kanus nehmen Fahrt auf. Zwei, drei Ruderschläge, dann ist die Gruppe wieder mitten auf dem Fluss.