Von Antje Urban
Seit den 1960er Jahren, den Heilsbringern der Emanzipation, hat es die Antibabypille dieser Tage nicht leicht. Dabei verlassen sich laut der Techniker Krankenkasse etwa 70 Prozent der Frauen im Alter von 20 bis 29 Jahren und 40 Prozent der über 30-Jährigen auf die Verhütung mit sogenannter hormoneller Kontrazeptiva. In den vergangenen Jahrzehnten kamen Studien bereits zu dem Ergebnis, dass der Pille ein erhöhtes Risiko für Thrombose, Migräne oder gar Libido-Verlust zuzuordnen ist. Doch die aktuelle Annahme, dass sie Depressionen verursachen kann und sogar für Selbstmordversuche verantwortlich sein könnte, alarmiert Frauen und Medien gleichermaßen.
In der Tat beunruhigen die Studienergebnisse von Prof. Ojvind Lidegaard und dem Gynäkologenteam des Universitätsklinikums Kopenhagen: Die Wissenschaftler werteten dänische Daten von circa 500.000 jungen Frauen zwischen 15 und 34 Jahren aus und kamen zu dem Schluss, dass bei den Frauen, die hormonell verhüteten, der Anteil der Suizide und Suizidversuche fast doppelt so hoch war wie unter den Frauen, die nie hormonell verhütet hatten. Über einen durchschnittlichen Beobachtungszeitraum von 8,3 Jahren kam es zu 6999 ersten Suizidversuchen und 71 Suiziden.
Dass viele Studien oftmals keinen eindeutigen Beweis erbringen können, ist hinlänglich bekannt. Auch in diesem Fall konnte "ein eindeutiger Kausalzusammenhang auf Basis der Gesamtheit der Daten der dänischen Untersuchung im Jahr 2017 nicht ermittelt werden", heißt es beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizintechnik. Dennoch haben die Ergebnisse zu einer neuen Risikobewertung auf europäischer Ebene und ab sofort zu einer Ergänzung in Beipackzetteln geführt.
Der Berufsverband der Frauenärzte sieht das Ergebnis aus Dänemark skeptisch: "Die Zahlen beschreiben einen zeitlichen Zusammenhang, aber mehr auch nicht", sagt Dr. Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte. "Es wäre ebenso denkbar, dass bei den jungen Mädchen und Frauen, die wegen ihrer Verhütung zu einem Arzt gingen, häufiger eine Depression erkannt und behandelt wurde als bei Frauen, die zwar an einer Depression erkrankt sind, aber keinen Arztkontakt hatten; denn eigentlich sind Depressionen viel häufiger, als es die Zahlen aus der Studie vermuten lassen."
Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) bezeichnet die Depression als häufigste, aber gesellschaftlich meistunterschätzte Erkrankung. Das Risiko, im Laufe des Lebens an einer der zahlreichen Depressionsformen zu erkranken, läge national wie international bei 16 bis 20 Prozent.
Nach der Veröffentlichung aus Dänemark führte auch die Siemens Betriebskrankenkasse eine Online-Umfrage unter 1054 Frauen durch. Hier gab jede zehnte Frau an, in Folge der Einnahme von Pille, Hormonspirale & Co. unter Depressionen zu leiden oder gelitten zu haben. Fast ein Drittel der 18- bis 24-Jährigen gibt an, diese Nebenwirkung (gehabt) zu haben. Als weitere häufige Nebenwirkungen wurden Gewichtszunahme, Kopfschmerzen/Migräne oder sexuelle Unlust genannt. Allerdings gaben über alle Altersklassen hinweg auch 51 Prozent der Befragten an, keine Nebenwirkungen wahrgenommen zu haben.
Viel schwerwiegender und mittlerweile nachweisbarer ist unter hormoneller Verhütung das Risiko, an einer Thrombose oder Embolie zu erkranken. So heißt es im Ärzteblatt der Bundesärztekammer, dass pro 10.000 Anwenderinnen in Folge einer Arteriellen Thrombose 2,1 Schlaganfälle und 1,7 Herzinfarkte auftreten können. Venöse Thromboembolien seien wiederum etwa drei- bis viermal häufiger als Arterielle Thromboembolien. Allerdings sei das Risiko abhängig von der Zusammensetzung der Hormone in den einzelnen Antibabypillen.
Erneute Aufmerksamkeit erlangte diese Tatsache als vor drei Jahren zwei junge Frauen gegen den Hersteller Bayer prozessierten, weil sie an einer Lungenembolie erkrankt waren. Sie waren der Ansicht, dass Bayer der Informationspflicht auf dem Beipackzettel nicht ausreichend nachgekommen sei. Offensichtlich sollen derartige Probleme jetzt im Falle des erhöhten Depressionsrisikos im Vorfeld vermieden werden. Die dänischen Wissenschaftler haben die Menge an gesammelten Daten auch als Kohortenstudie für Erkrankungen, wie Brust- oder Eierstockkrebs genutzt.
In Bezug auf Ovarial-Krebs scheint das Ergebnis erfreulicher: "In dieser Studie von Frauen im gebärfähigen Alter, die in Dänemark leben, haben wir herausgefunden, dass jegliche Einnahme von modernen Kontrazeptiva zu einem geringeren Risiko von Ovarialkarzinomen führt. Dieser Effekt der Risikoreduktion nahm bei längerer Einnahme der Kontrazeptiva zu und dauerte sogar noch nach Einnahmestopp einige Jahre an", sagt Lidegaard.
Bei der Auswertung der dänischen Daten in Bezug auf ein erhöhtes Brust-krebsrisiko sind die Zahlen weniger eindeutig: In der Gruppe der Frauen, die nie hormonell verhütet hatten, traten drei Brustkrebserkrankungen weniger auf als bei der Gruppe der Frauen, die in ihrem bisherigen Leben länger als sechs Monate hormonell verhütet hatten. Trotzdem: Schon länger ist bekannt, dass Östrogene das Brustkrebswachstum fördern.
"Auch in den Fachinformationen aller hormonellen Kontrazeptiva wird seit langem darauf hingewiesen, sowohl bei Kombinationspräparaten als auch bei Gestagen-Monopräparaten, und auch unabhängig von der Applikationsart," so Albring. Bis heute sei jedoch nicht klar, welche Faktoren für die Zunahme der Brustkrebs-Erkrankungen wesentlich seien.
Ob nun die Daten aus Dänemark auf Deutschland übertragbar sind oder nicht, erneut zeigt sich, dass es sich, angesichts der Fülle der möglichen Nebenwirkungen, bei der Antibabypille um kein Lifestyle-Produkt handelt. Reinere Haut, schöneres Haar und größere Brüste, das alles kann kein Grund sein, ein hormonelles Verhütungsmittel zu schlucken. Allerdings zeichnet sich ein Rückgang im Verkauf hormoneller Verhütungsmittel ab. Laut Berufsverband der Frauenärzte sank er über vier Prozent pro Jahr.
Wiederum sei die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche im Jahr 2017 wie auch schon im Vorjahr angestiegen. Hier sieht Albring einen Zusammenhang: "Selbst wenn zwei Prozent davon dem demografischen Wandel geschuldet sind, ist zu fragen, wie die Frauen, die keine hormonelle Antikonzeption mehr verwenden, heute unerwünschte Schwangerschaften verhindern." Auch, dass Frauen seit letztem Jahr die "Pille danach" rezeptfrei ohne ärztliche Beratung in der Apotheke erhalten, sieht er als Grund dafür.